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Peter Brooks Meisterschüler

Joël Pommerat hat das Theaterhandwerk beim großen Peter Brook gelernt. Das allein sicherte ihm bei seinen Auftritten Aufmerksamkeit, vor zwei Jahren zum Beispiel in Halle, wo er Gespräche mit jungen Müttern aus den Banlieues in einer theaterverfremdeten, gleichwohl verstörenden Künstlichkeit auf die Bühne brachte. Sein neuestes Stück wurde gestern im Pariser Théâtre des Bouffes du Nord aufgeführt.

Von Eberhard Spreng | 27.01.2010
    Man mag den Titel der neuen Arbeit von Joël Pommerat als ästhetisches Programm verstehen. Denn in einem Kreislauf entwickeln sich die Szenen, in einer Manege der Einbildungen und Autosuggestionen, einem runden Ritualraum der theatralischen Verzauberungen. Auch in den Bühnenraum des alten Théâtre des Bouffes du Nord hat man Zuschauerränge gebaut, sodass die Schauspieler dem Publikum auf einem runden Spielfeld wie Zirkuswesen vorgeführt werden, merkwürdige Tiere, verstrickt in merkwürdige Versuche der Verständigung: Eine Gruppe von Dienstboten ist aus der Finsternis in dieses Spielfeld eingetreten und empfängt die Verhaltensmaßregeln einer Dienstherrin: Gefragt sind nicht das menschliche Mitgefühl, nicht die Intuition, nicht die traditionelle Emotionalität, sondern eine nicht weiter umrissene kalte Kompetenz. Wiederum führt uns Pommerat in subtilen szenischen Skizzen in die grundlegenden Widersprüche der zeitgenössischen Gesellschaft: Die neuen Normen stehen nicht im Einklang mit traditionellem, spontanem Verhalten. Und bei Zuwiderhandlung drohen unmittelbar Ausschluss und Kündigung.

    Zunächst scheinen hier lose aneinandergereihte, unverbundene Szenen Musterbeispiele einer erkaltenden Zwischenmenschlichkeit vorzuführen, bevor sich einzelne Leitmotive abzeichnen: Da ist ein junger Top-Manager, dem eine stinkende Pennerin prophezeit, am Folgetag noch bedeutender zu werden. Die sich selbst als Dornröschen bezeichnende Gestalt, die zudem unverblümt den sexuellen Kontakt mit dem Mann sucht, mag man verstehen als Wiedergängerin der Hexen aus Shakespeares Macbeth, die Frau des Managers als nunmehr eifersüchtige Lady Macbeth; den Manager selbst peinigen Schuldgefühle, als er erfährt, dass direkte Vorgesetzte ohne sein Zutun sterben und sich so der schnelle Weg des Aufstiegs in die Vorstandsetage öffnet. Wunschdenken und Verwirklichungen gehen hier eine bedrohliche Allianz ein. Da ist andererseits der erfolgreiche, mit dem Eigenengagement protzende Geschäftsmann, der eine Gruppe von Langzeitarbeitslosen in die Beschäftigung zurückcoachen soll und in einer späteren Szene in einer Gruppe phlegmatischer Obdachloser nach einem Organspender für seinen vom Tode bedrohten Sohn sucht. Zu durchaus komischen Missverständnissen führt die Konfrontation der so unterschiedlichen Milieus und sprachlichen Codes. Da ist aber auch ein alternder Gigolo, ein Conférencier, der sich in die Mitte des Kreisspielfeldes auf ein drehendes Podestchen stellt und behauptet, nach Jahren unnützer Bewegung die Mitte, sein Zentrum gefunden zu haben. Ganz am Ende tritt er noch einmal auf, um sich selbst jemandem aus dem Publikum als Lebensbegleitung anzubieten, besser sich selbst herzugeben. Die Ökonomie des Verschenkens und die Ökonomie des Verkaufens stoßen in Pommerats neuer Arbeit immer wieder als unvereinbare Prinzipien aufeinander. Dazwischen tritt aber auch die Frage, ob Werte eine Beteiligung am Krieg begründen können, Fragen des christlichen Glaubens, ein Kaleidoskop von Themen und Motiven, die sich am Ende dann doch nicht ganz runden wollen.

    Wieder hat der Autor und Regisseur, für den Schreiben und Inszenieren ein und derselbe Vorgang der Schöpfung von Theater sind, zwischen dem ganz leisen Wort und dem lauten Effekt, der Kammerspielskizze und dem Kabarettauftritt, dem Dokumentarischen und dem Chanson eine große Bandbreite szenischer Lösungen aufgeboten. Aus dem totalen Dunkel zwischen den einzelnen Szenen tauchen seine Bilder auf wie Schemen, Träume, Ahnungen und es ist gerade die große Behutsamkeit und Zartheit seiner Sprache, aus der die Härte und Kälte des Gesagten besonders kontrastreich hervortritt.

    Er habe in "Cercles / Fictions" Erinnerungen an authentische Menschen und Situationen verarbeitet, Momente und Gestalten, die sein Leben geprägt haben, sagt Pommerat in der Ankündigung und im Programmheft. Aber als autobiografisches Stück ist die neue Arbeit kaum zu erkennen, zu sorgfältig ist hier wiederum Realität in eine grandios verkörperte Theaterwirklichkeit übersetzt, die eigenen Regeln und einer eigenen Poesie gehorcht. In Pommerats Theater werden selbst reale Menschen zu Phantomen, um von den tiefen, verborgenen Wahrheiten des Lebens zu erzählen.

    Information:

    "Cercles / Fictions" im Théâtre des Bouffes du Nord