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Peter Spork. Der Mann, der die Epigenetik populär machte

Genetik. - Als vor zehn Jahren das Erbgut des Menschen entziffert wurde, machte sich die Vorstellung breit, der molekulare Code beherrsche unser Leben. Dabei wussten die Fachleute schon damals, dass es Mechanismen gibt, die das Erbgut in jeder Zelle steuern und kontrollieren: Die Epigenetik - damals weitgehend unbekannt, heute eines der großen Schlagworte in den Biowissenschaften. Für den Neurobiologen, Wissenschaftsjournalisten und Buchautor Peter Spork ist die Epigenetik der "zweite Code".

Von Michael Lange | 24.06.2010
    "Wir lesen jetzt die Sprache, in der Gott das Leben schuf." Diese Worte fand US-Präsident Bill Clinton als er gemeinsam mit Wissenschaftlern am 26. Juni 2000 die Entzifferung des menschlichen Genoms feierte. Er und andere kündigten damals eine medizinische Revolution an.

    "Diese Worthülsen, die haben damals schon nur Kopfschütteln ausgelöst. Dass man sagt: Wir können in kürzester Zeit alle möglichen Krankheiten heilen. Da war von Anfang an klar, dass das so einfach nicht sein wird."

    Der Biologe Peter Spork ist kein Gegner der Genom-Entzifferung. Sie ist für ihn der erste Code der Biologie.

    "Die Entschlüsselung des Genoms war ein absolut notwendiger Schritt. Ein Kraftakt, der zu diesem Zeitpunkt einfach gemacht werden musste. Und diese Erkenntnisse schafften dann erst die Möglichkeit, dass die Genetiker weiter forschten, dass sie sich neue Gedanken machten: Jetzt ist eine Zwiebelschale abgeschält und jetzt geht es an die nächste Schicht. Und da kommen Dinge wie die Epigenetik ins Spiel, die Genregulation bis hin zur Systembiologie. Das ist alles erst möglich, wenn man die Blaupausen für die Bausteine des Lebens hat."

    Für Peter Spork steht fest: Es gibt nicht nur den einen Code, das Genom. Ebenso wichtig ist die Epigenetik. Sie ist das Thema seines Buches "Der zweite Code". Dessen Information lässt sich jedoch nicht so einfach lesen wie das Genom. Denn verschiedene Mechanismen wirken hier zusammen. Dazu gehören die Proteine, die das Erbgut verpacken: die Histone. Und kleine Moleküle, so genannte Methylgruppen, die einzelne Bereiche des Erbguts markieren und stilllegen können. Der zweite Code kontrolliert den ersten Code. Über die Epigenetik gewinnt die Umwelt Einfluss.

    "Man hat immer versucht, die Umwelt und die Genetik gegeneinander auszuspielen. Man hat immer gefragt: Was ist Umwelt? Was ist Genetik? Was das eine ist, kann das andere nicht sein. Und die Epigenetik schlägt im Grunde die Brücke zwischen beiden Seiten. Denn die Epigenetik erklärt, wie Umwelteinflüsse die genetische Programmierung, die Aktivierbarkeit von Genen beeinflussen können."

    So sind Übergewicht oder Bluthochdruck kein unabwendbares Schicksal. Die Gene für diese Krankheiten sind zwar in den Zellen gespeichert, aber sie lassen sich beeinflussen: aktivieren, bremsen oder stilllegen. Den Menschen als Sklaven seiner Erbmoleküle darzustellen, sei ein Denkfehler. Das zeigen, so Peter Spork, viele neue Forschungsergebnisse.

    "Diese ganze genzentrierte Sicht hat ein wenig zu einer fatalistischen Einstellung geführt. Ich kann ja eh nichts ändern. Die Epigenetik zeigt jetzt, dass Umwelteinflüsse die Programmierung der Gene so entscheidend verändern können, dass schon durch Ereignisse im Mutterleib, aber auch durch Ereignisse später im Leben, wir wirklich unser Schicksal selbst in die Hand nehmen können ein ganzes Stück weit."

    Die Macht der Epigenetik über die Genetik gibt dem Menschen die Möglichkeit, seine Biologie zu beeinflussen und sogar zu beherrschen. Peter Spork zieht daraus auch persönlich Konsequenzen. Er achtet mehr auf sein Körpergewicht und sorgt für Bewegung – auch und gerade bei seinen zwei Kindern.

    "Ich versuche natürlich noch mehr als früher darauf zu achten, dass die Kinder Sport machen, dass sie sich gesund ernähren, dass sie ausreichen schlafen, dass sie Entspannung finden. Diese Sachen, die man eigentlich schon kennt. Dank der Epigenetik weiß ich heute, dass sie noch viel wichtiger sind, weil sie eben nicht nur darüber entscheiden, wie die Kinder sich jetzt fühlen und welche Krankheiten sie heute kriegen, sondern auch welche Krankheiten sie vielleicht erst in 40, 50 oder 60 Jahren bekommen können."

    Das Bild, das sich die Biologen vom Innern einer Zelle machen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren grundlegend geändert. Suchte man in den 90er-Jahren noch den linearen Code, der alles kontrolliert, so spricht man heute meist von Netzwerken. Viele Elemente beeinflussen sich gegenseitig. Und das bedeutet: Alles ist komplizierter als gedacht.

    Zur Sendereihe "Ich | Mensch | Genom"