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Peter Stein inszeniert Schillers "Wallenstein - Alle 3 Teile"

Klaus Maria Brandauer war das Ereignis von Peter Steins Wallenstein-Inszenierung in einer ausgedienten Brauerei von Berlin-Neukölln. Brandauer belastetE sich nicht mit darstellerischen Komplikationen und spielerischen Differenzierungen: Sein Wallenstein war durchgängig kraftmeierisch.

Von Eberhard Spreng | 20.05.2007
    Der Theatermarathon beginnt mit einem harten Kontrast. Erst liest ein gebrechlicher Walter Schmidinger mit etwas schütterer Stimme und leicht zitternden Händen den Prolog zu Wallensteins Lager, und dann stapfen wackere Burschen über Theaterschnee, schneiden Gemüse in einen großen Topf und schupsen, rüpeln und krakeelen. Eine Versammlung von lauter Räubern Hotzenplotz erklärt ihre Liebe zum großen Feldherrn Wallenstein aus ihrer Verhaftung zu einer rauen aber irgendwie auch lustigen Lebensweise: Der große Krieg bietet für die armen Jünglinge aus den versprengten Ecken Europas eine Chance, erhebt sie über die Bauern und Bürger - und der Garant für das Fortdauern dieses Zustandes erscheint ihnen der Herzog zu Friedland, dieser kaiserliche Generalissimus, der selbst von ganz unten kam und dem ebenfalls der Krieg die große Karriere bescherte.

    Aber so als schlüge die volkstümliche Anmutung des Knittelverses ungebrochen in eine bunte volkstümliche Theatrei mit wackeren Operetten-Auftritten um, entgleitet Stein der Anfang der Trilogie zur Folklore, entlässt er sein Publikum etwas konsterniert in die erste Pause. Dann aber sind die Zelte, die Tische und anderes szenisches Beiwerk weggeräumt - die Beitaten für diesen skurrilen Realismus - und in den folgenden acht Stunden gliedern einfache Paneelen die riesige Bühne und werden in immer neuen Konstellationen zu Raumfluchten zusammengefügt. Einige von ihnen haben durchscheinende Wände und leuchten einfarbig in blau, rosa oder weiß. Der stete Wechsel von Szenen mit privatem, beziehungsweise politischem Inhalt wird so markiert, die überbreite Bühne in beherrschbare Spielräume abgeteilt. Ein fast abstraktes Dekor fasst also die aufwändigen, historisierenden Kostüme der Moidele Bickel.

    Vieles an der Bildwelt dieser Inszenierung wirkt hölzern und ausgedacht, viele Gänge und Figurenkonstellation durch die Regie arrangiert und kaum aus szenischer Logik heraus motiviert und erspielt. Ist das das alte, durch den Dekompositionswahn der letzten Jahrzehnte zerstörte, werktreue Regietheater der Vergangenheit, das vielen so sehr fehlte und das nun rehabilitiert werden soll? Nein, was hier überzeugt, ist ein Theater, das seine Kraft aus physischer Redemächtigkeit bezieht, auf Mikroports und Verstärkung weitgehend verzichtet, das Wort also aus dem privaten, beiläufigen Sprechen und der Mitteilung innerer Seelenzustande zurückholt in die theatereigene Sphäre der Veröffentlichung, des politischen Sprechakts. Am überzeugendsten ist diesbezüglich Jürgen Holtz, der den Chef des Dragonerregiments verkörpert:

    "Uns ist in treuem Angedenken noch,
    Wie das Kommando kam in Friedlands Hände.
    Wars etwa kaiserliche Majestät,
    Die ein gemachtes Heer ihm übergab? -
    Noch gar nicht war das Heer. Erschaffen erst
    Musst es der Friedland, er empfing es nicht,
    Er gabs dem Kaiser!
    "

    Anders als in der lange vergangen Zeit an der Schaubühne ist es Peter Stein in diesem Wallenstein nicht gelungen, alle zentralen Figuren zu solch wirkungsmächtigem Spiel zu bringen. Der junge Max Piccolomini, die moralische Gegenfigur zum taktierenden und zögernden Feldherren ist im Spiel des Alexander Fehling nicht durchgängig überzeugend und auch Friedrike Becht, die Wallensteins Tochter Thekla als unendlich junge, unendlich unschuldige Frau verkörpert, verblasst ein wenig mehr mit jeder Szene, die sie ihrem Tode näher bringt. Wiederum wird deutlich, dass Peter Stein ein Theaterbauherr der politischen und weniger einer der emotionalen Vorgänge ist. Da außerdem der Autor selbst seine Figuren nicht mit einer allzu komplizierten Psychologie ausstattet und sie in einer klaren höfischen Intrige ihre Kreise ziehen lässt, konzentriert sich der Blick natürlicherweise immer mehr auf den in sich widersprüchlichen und komplexen Protagonisten:

    "Jetzt werden sie, was planlos ist geschehen,
    Weitsehend planvoll mir zusammenknüpfen,
    Und was der Zorn und was der frohe Mut
    Mich sagen ließ im Überfluss des Herzens,
    Zu künstlichem Gewebe mir vereinen
    Und eine Klage furchtbar draus bereiten,
    Dagegen ich verstummen muss. So habe ich
    Mit eigenem Netz verderblich mich umstrickt,
    Und nur Gewalttag kann es reißend lösen. "

    Klaus Maria Brandauer belastet sich nicht mit darstellerischen Komplikationen und spielerischen Differenzierungen: Sein Wallenstein ist durchgängig kraftmeierisch, ein Mann mit langen, strähnigen Haaren und lappigem Ledermantel, ein bisschen Drogenhändler oder Zuhälter vom Balkan, und eigentlich keiner der hadert, keiner, der Entscheidungsschwierigkeiten hat. Zunehmend ermattet folgt also das Publikum seinem Untergang und verliert den Kontakt zu den Motiven seines Handels oder Nicht-Handels. Gerne folgte man Stein, der den Wallenstein als durchaus zeitgenössisch zu verstehendes Opfer einer politischen Fehleinschätzung sieht, und glaubte gerne an die Virulenz des Theaters jenseits aller mutwilligen Aktualisierungen. Wenn aber dieser Wallenstein nicht in der Gegenwart ankommt, dann liegt das nicht an fehlender Aktualisierung, und nicht an einer altmodischen Ästhetik, sondern daran, dass die einzige potenziell zeitgenössische Figur, eben Wallenstein selbst, in Brandauers Spiel gerade das Geheimnis und die Komplexität verliert, die die Phantasie der Zuschauer entzündet.