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Peter Stein inszeniert wieder in Schottland

Mit "Troilus und Cressida" hat Shakespeare eine Liebesgeschichte im Umfeld des Trojanischen Krieges erzählt, die allerdings eher als Lesestoff taugt denn als Bühnenstück. Es ist ein atypisches Werk, das von den Shakespeare-Forschern einer depressiven Phase des Dichters zugerechnet wird. Nun hat es Peter Stein in Edinburgh inszeniert, zum Auftakt des Festivals, zu dem er in früheren Jahren schon so manches beitrug.

Von Susanne Lettenbauer |
    Peter Stein lässt es in Edinburghs King´s Theatre noch einmal richtig krachen. Holzschwerter gegen Holzschilde, Mann gegen Mann im sportlichen Zweikampf, bekleidet nur vom Gemächt betonenden Lederschurz. Dies ist keine dieser Schlachten zwischen Spürpanzer und Kampfbomber, dieses Abschlachten anonymer Söldner. Bei Steins Shakespeare geht es klassisch zu, in Shakespeares Troja gibt man sich vor der Schlacht noch die Hand, dann wird der imposante Blechhelm übergestülpt zur Rettung von Ehre und Frauen.

    Troilus und Cressida, um 1601 entstanden, zählt zu den schwierigsten Werken Shakespeares. Ein bisschen Komödie, ein bisschen Tragödie, ein bisschen Königsdrama. Schwer einzuordnen im Werkefundus des damals zeitweise depressiven knapp 40jährigen Autors. Ein Zwitterwerk zwischen den großen Tragödien wie Macbeth, Othello, King Lear und den Komödien wie As you like it. Den Hamlet schrieb er kurz zuvor, dann die Hinwendung zur Antike:

    Troilus, Junior unter den 4 Söhnen Priamos, des Königs von Troja überkommt die Liebe zu Cressida - im Gegensatz zur vergnügt mit Bruder Paris flirtenden Helena eine Einheimische und keine Griechin. Hübsch ins Flatterkleid gepackt von Kostümbildnerin Anna Maria Heinrich - ein ebenso wie der für die karge Bühne verantwortliche Ferdinand Wögerbauer Bestandteil der altbewährten Peter-Stein-Crew. Cressida ist das Geschenk zur Volljährigkeit Troilus vom Kuppleronkel Pandarus. Eilfertig schleppt dieser Matratze und Laken herbei, hält das Händchen beim ersten Kuss.

    Im Griechenlager hingegen berät der Agamemnon-Kreis auf seinen Anglerhockern samt angejahrtem, immer wieder hinwegdämmerndem Nestor die neuesten Angriffsstrategien. Ein Testosteron gedopter Ajax brüllt seine Kampfeslust von der Bühne. Nur der tuntig aus dem Zelt schreitende Achilles, gefolgt vom spärlich bekleideten Patroklos verweigert sich dem Schlachten.

    Genau das richtige Werk für den Sarkasmus von Peter Stein. "Männer sind Machos und Frauen sind Schlampen" ließ er vorab verkünden. Seine Schauspieler sehen dementsprechend wie aus dem Modelkatalog aus, selbst die Älteren - Hector, Nestor und Aeneas. Stringtanga und Muskeln auf der einen, bloße Busen und blonde Locken auf der anderen Seite. Dazu altväterlicher Steinscher Slapstick, erst recht wenn Cressida, im Austausch mit einem Trojaner bei den Griechen gelandet, sich dem nächsten Mann bereitwillig hingibt. Zu den Proben lud Stein sämtliche 33 Mitwirkende in sein italienisches Landhaus ein, ließ den Schwertkampf üben.
    Wären da nicht die durchweg hervorragenden Royal-Shakespeare-Company-erfahrenen Schauspieler, die Rededuelle wären in der einlullenden Musik von Arturo Annecchino versandet.

    Den Abend trägt vor allem die Entscheidung Steins, die Inszenierung in der Originalsprache von 1601 aufzuführen. Dem ausweglosen Sarkasmus eines in Italien lebenden legendären falschverstandenen Regisseurs eine "Kulisse aus Wörtern", die berühmte "word scenery" Shakespeares entgegenzusetzen. Für dieses Vorhaben die Hauptrolle mit dem gerade 23 jährigen aus Edinburgh stammenden Henry Pettigrew zu besetzen, mag an der programmatischen Hinwendung von Edinburghs International Festival zu schottischen Künstlern gelegen haben. Der Sprachgewalt Shakespearscher Originalverse war er hingegen nicht gewachsen, ebenso wenig die fast gleichaltrige Cressida-Darstellerin Annabel Schooley. Dass der schmollende Jungmann seine Cressida rächt, dafür braucht es mehr als einen hantelgeübten Waschbrettbauch.

    Glaubt man dem 69jährigenPeter Stein, der gern und oft auf das Desinteresse Deutschlands an seiner Person verweist, wird er nach Troilus und Cressida nicht mehr in Edinburgh arbeiten, denn auch in Edinburgh geht in diesem Jahr ein letzter Freund, Sir Brian McMaster, Festivalchef seit 15 Jahren, ein Stein-Intimus seit den 80er Jahren an der Welsh Opera.

    Anders als bei Shakespeares bekannteren Werken endet Troilus und Cressida passenderweise ohne eine Massenschlacht. Die Wut läuft einfach aus, vorbei. Man könnte es Gleichgültigkeit nennen.

    Weitere Vorstellungen
    Edinburgh King's Theatre 15.-26 August, 19 Uhr (außer 16. und 22.8.), Matineen 15., 19., 24., 26.8.2006
    Royal Shakespeare Theatre Stratford-upon-Avon 1.-9. September 2006

    Weitere Infos auf der Homepage des Edinburgh International Festival