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Peter Stein und die Besetzer

Der Begriff "Besetzung" bedeutet im Bühnenbetrieb, dass ein Schauspieler eine Rolle bekommt. In Rom ist das anders. Dort wurde das altehrwürdige Teatro Valle von Demonstranten gegen die Kulturpolitik besetz. Kürzlich kam der deutsche Regisseur Peter Stein vorbei und spielte gratis mit seiner Frau.

Von Thomas Migge | 24.09.2011
    Das Theater war bis auf den letzten Platz ausgefüllt. Der in Italien lebende Regisseur Peter Stein erklärte, warum er die Besetzung des Teatro Valle in der Nähe der Piazza Navona gut findet. Der Protest gegen das kulturelle Desinteresse der politischen Klasse, so Stein vor applaudierendem Publikum, muss militant sein. Dann präsentierte er zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Maddalena Crippa, ein Beispiel dafür, wie man eine Rolle aus einem antiken Drama einstudiert:

    In der für Stein typischen rauhen, belehrenden und zuweilen arroganten Art probte er mit seiner Frau einen Dialog der Medea aus dem gleichnamigen Drama von Euripides.

    Stein und Maddalena Crippa traten gratis auf. Das Publikum entrichtete am Eingang ins Theater einen Obulus für die gute Sache. Alle gaben etwas. Manche sogar 100 Euro.

    Das römische Teatro Valle ist seit dem 14. Juni besetzt. Von Schauspielern, Theaterarbeitern, Studenten und Regisseuren, die sich selbst finanzieren. Die Nachwuchsschauspielerin Valentina Carnelutti gehört zu den rund 200 Besetzern. Auch sie lebt seit Juni in dem Theater, wo sie im zweiten Rang in einer Loge campiert:

    "Das Theater ist besetzt, weil es notwendig geworden ist, dass wir die Kultur in die Hand nehmen, um sie vor denen zu retten, die sie durch Desinteresse und mit hemmungslosen Sparmaßnahmen kaputtmachen wollen. Wir nehmen uns dieses Theater, weil es unseres ist."

    Besetzer wie Valentina wollen nicht, dass das über 300 Jahre alte Theater privatisiert wird. Ein berühmtes Theater, das seit der Uraufführung von Luigi Pirandellos Stück "Sechs Personen suchen einen Autor" 1921 den Ruf eines Ortes für experimentelles Theater genießt. Das Haus unterstand in den letzten 60 Jahren der staatlichen Behörde Ente Teatrale Italiano, kurz ETI. In den letzten Jahren hatte sich die ETI im Valle auf zeitgenössischen Tanz, auf Nachwuchsförderung und junge Theatergruppen konzentriert.

    Der Theatermacher Stefano Pierpaoli vom Kulturnetwork "Conseguenze":

    "Das Valle war für uns alle sehr wichtig. Ende 2010 wurde aber die Theaterbehörde ETI aufgelöst. Eine Vielzahl von Theatern sollte daraufhin privatisiert werden. Es heißt, dass die Stadt Rom das Valle übernehmen wolle, aber nichts ist bisher geschehen. Wir kämpfen hier gegen die kulturelle Verarmung Italiens. Und mit uns viele Künstler, die hier auftreten."

    Der Regisseur Nanni Moretti, der Krimischriftsteller Andrea Camilleri, berühmte Schauspieler wie Franca Valeri, Komiker wie Roberto Benigni und, und, und ...

    Das Teatro Valle ist zu einem für die römische Kulturszene alternativem und gut besuchtem Theaterzentrum geworden, wo regelmäßig Künstler auftreten, wo Musik gemacht und diskutiert wird, wo man nach Auswegen aus der Theaterkrise sucht.

    Dumm ist nur, dass von offizieller Seite aus nichts geschieht. Weder das Kulturministerium noch die Stadt oder private Sponsoren tun sich hervor, um das Valle zu retten. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, wie lange die Besetzer ausharren können - und wollen. Noch fühlen sie sich siegessicher, hoffen auf ein kulturpolitisches Wunder - aber gut sieht es angesichts des für Italien immer dramatischeren Haushaltsdefizits in Sachen Kulturförderung gar nicht aus.