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Peterchens Mondfahrt

Mit einer szenischen Einrichtung von Schönbergs Liederzyklus "Pierrot lunaire" feierte der Regisseur Peter Konwitschny in Leipzig seinen Einstand als neuer Chefregisseur der Oper. Zusammen gespannt wurde das Stück mit Poulencs Monodram "Die menschliche Stimme". Nach einer überraschenden Absetzung des bisherigen Intendanten Henry Maier war Konwitschny im Frühjahr zum Chefregisseur der Leipziger Oper berufen worden.

Von Georg-Friedrich Kühn | 21.09.2008
    Heikel, eher der Not gehorchend wie improvisiert denn brillant war dieser Auftakt. Eine im Winter für eine halbszenische Aufführung in Barcelona erarbeitete Produktion von Arnold Schönbergs "Pierrot lunaire" wählte der im Frühjahr zum Leipziger Opern-Chefregisseur berufene Peter Konwitschny für seinen Einstand - wieder einmal ganz sich ausliefernd.

    Die Folge von dreimal sieben symbolistischen Gedichten des Belgischen Dichters Albert Giraud, die Schönberg 1912 in Form eines damals neuartigen Sprechgesangs für eine Schauspielerin und ein kleines Instrumental-Ensemble komponierte, verpflanzt er auf die große Bühne der Leipziger Oper und formt daraus ein Gleichnis über die Weltenwende am Beginn des 20.Jahrhunderts.

    Vor einer auch als Requisit benutzten Brecht-Gardine aus durchsichtigem Plastik, die immer mal wieder beiseite geschoben oder auch als Umkleide-Schirm zugezogen wird, agiert die exzellente Koreanische Sängerin Young-Hee Kim: erst als weiblicher Clown - eine Frau, die aus der Rolle gefallen ist und ihre Enttäuschungen im Suff ertränkt -, dann in Männerkleidung mit einem Endlos-Einstecktuch, das als Ariadne-Faden in den Pillentod oder in die Flucht aus dieser Welt führen soll.

    Kern- und Wendestück ist das vierzehnte Gedichte, "Heilg‘e Kreuze sind die Verse", das Konwitschny dann noch mit einem eingeblendeten Text von Ingeborg Bachmann akzentuiert. Bachmann postuliert darin das Amt des Schriftstellers: nicht über Schmerzen hinweg täuschen solle er sondern sie benennen. Der Pierrot, oder für Konwitschny der Künstler schlechthin, wird hier zum Menschen-Erzieher. Seine gefundenen Fragen und Erkenntnisse malt er mit rotem Lippenstift auf die Plastikwand. Und auch das Saal-Licht wird angeknipst.

    Das ist insgesamt denn doch mehr gut gewollt als überzeugend gelungen. "Pierrot lunaire" ist ein Kammerstück nicht große Oper. Vom hier so wichtig genommenen Text versteht man in dem großen Leipziger Opernraum fast nichts. Sogar auf eine stichwortartige Einblendung der Anfangszeilen hat man verzichtet. Und man kann auch fragen, ob dieser Text überhaupt solch erzählerisches Ausagieren verträgt, wenn die poetische Hülle abgestreift ist.
    Die wenigen Musiker auf der Bühne lassen sich unter Johannes Harneit flexibel in das clowneske Spiel der Sängerin einbinden, auch wenn aus den 35 Minuten des Liederzyklus doch etwas überfrachtete 60 Minuten wurden.

    Vorgespannt hatte man Françis Poulencs "La voix humaine", die "menschliche Stimme", das Monodram einer Frau, die ihren Geliebten an eine andere verloren hat und verzweifelt am Telefon versucht, die Beziehung zu retten. In der Einrichtung durch den bisherigen Leipziger Operndirektor Christoph Meyer ist das freilich eher eine Erinnerung an die vorsintflutliche Telefontechnik früherer Zeiten, als die "Fräuleins vom Amt" ständig falsche Leitungen zusammen stöpselten.

    Die Produktion entstand ursprünglich für Barcelonas Oper, das Gran Teatre del Liceu. Eher pathetisch leitet Josep Vicent das auf der Bühne hinter einer Gaze-Wand spielende Gewandhausorchester. Angeles Blancas mit leicht knödeliger Stimme spielt die Frau am Abgrund, trippelt gleichmütig meist immer nur wieder um ihre weiße Couchgarnitur. Einmal mehr erweist sich, dass die Fassung dieses Stücks mit Klavier die passendere wäre.
    Das Publikum im gut halb gefüllten Saal spendete indes reichlich Beifall, Vorschusslorbeeren für Konwitschny und die neue Leitung. Die eigentliche Feuerprobe kommt erst in der nächsten Spielzeit, wenn der Regisseur sich dann auch mit einer großen Neuproduktion präsentieren wird.