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Vorbild WikiLeaks: Die WAZ-Mediengruppe hat einen elektronischen Briefkasten eingerichtet, über den potenzielle Informanten via Internet anonym Kontakt zur Redaktion aufnehmen und geheime Dokumente senden können.

Von Brigitte Baetz | 23.12.2010
    David Schraven ist Leiter des Ressorts Recherche bei der WAZ-Mediengruppe in Essen. Er hat einen guten Ruf als investigativer Reporter und hält die Enthüllungsplattform WikiLeaks für eine zwar interessante Informationsquelle – aber für mehr eben auch nicht. Mit Journalismus habe WikiLeaks nur am Rande zu tun. Ein Dokument sei immer nur ein Hinweis auf eine Nachricht, aber noch lange nicht die Nachricht selbst. Und die müsse erst von Journalisten recherchiert und aufbereitet werden bevor man sie an die Öffentlichkeit gebe. Sie nur auf die Homepage zu stellen, reiche nicht.

    "Das, was ich auch persönlich unverantwortlich finde, ist, dass man ohne Rücksicht auf Datenschutz, ohne Rücksicht auf schützenswerte Interessen bislang Dokumente veröffentlicht hat, die Leben gefährden, die Menschen gefährden und die die Privatsphären verletzen, und das ist genau der Unterschied, den wir machen: Wir blasen nicht einfach diese Dokumente raus, ganz im Gegenteil: Wir gehen erst mal den Geschichten auf den Grund und werden dann die Dokumente auch veröffentlichen, aber gereinigt um sicherheits- bzw. privatsphärenrelevante Dinge."

    Schon vor einem halben Jahr hatte Schraven die Idee, ein elektronisches Postfach einzurichten, über das potenzielle Informanten via Internet anonym Kontakt zu seiner Redaktion aufnehmen und geheime Dokumente senden können - eine Art Babyklappe für Informationen also. Umgesetzt werden konnte die Idee erst jetzt. Denn die Redaktion wollte sichergehen, dass man den Absendern technisch auch wirklich größtmögliche Anonymität gewährleisten könne – was im Internet schwierig ist, da jede Handlung dort unweigerlich Spuren hinterlässt.

    "Wir haben verschiedene Server, die im Ausland auch stehen, in verschiedenen Ländern stehen. Die Datenübertragung auf diese Server läuft dann über noch andere Länder und diese ganzen Übertragungen selber laufen auch verschlüsselt und da werden keine Lockfiles angelegt, also IP-Adressen und andere Identitätsträger werden nicht registriert, und deshalb bin ich sehr sicher, dass das nicht nachvollziehbar ist, woher die Sachen kommen."

    Wer als Informant allerdings noch sicherer sein will, sollte trotz allem aufpassen, von wo aus er sendet. Im Klartext bedeutet das: Er sollte sogenannte Proxy-Server nutzen, also Rechnernetze, die die Adresse des eigenen Computers nicht weitergeben. Doch Sicherheit hin oder her: Schon jetzt werde der elektronische Briefkasten der WAZ gut angenommen, erklärt David Schraven. Es sei eben einfacher, ein 400-Seiten-Dokument im Internet hochzuladen als es per Fax zu verschicken.

    "Wir haben in den ersten anderthalb Wochen gut und gerne so 50, 60 verschiedene Sachen bekommen, davon waren so grob geschätzt 20 Datenmüll, also irgendwelche Leute, die Witze machen wollten und irgendwelche komischen Fotos hochgeladen haben, aber es war auch reihenweise gutes Material dabei. Um ein Beispiel zu geben: aus dem Innenministerium ne Aufstellung über terroristische Vereinigungen, die so nicht bekannt sind, die auch in Deutschland arbeiten und aktiv sind. Ist gut. Gutes Material."

    Material, das noch bearbeitet werden, das auf Relevanz abgeklopft und vor allem auf Authentizität überprüft werden muss. David Schraven hat allerdings in seiner Rechercheredaktion nur vier Mitarbeiter. Der WAZ-Konzern hat in den letzten Monaten über 300 Arbeitsplätze und damit journalistische Kompetenz abgebaut. Manche Kritiker, auch innerhalb des Hauses, halten deshalb den elektronischen Briefkasten der Mediengruppe für ein Feigenblatt. Er könne nicht den direkten Kontakt von Redakteuren zur Bevölkerung ersetzen, die Informationen, die sich aus der Verwurzelung vor Ort ergäben, höchstens ergänzen.

    Auch David Schraven, der selbst erst seit Juni bei der WAZ beschäftigt ist, hält den Weg über das Internet nur für eine Möglichkeit unter vielen, um an Informationen zu kommen. Als Journalist sollte man jedoch alle Chancen nutzen, die sich bieten. Auch andere Zeitungen sind schon bei der WAZ vorstellig geworden, um das System des elektronischen Briefkastens zu übernehmen. Vielleicht gibt es sogar schon so etwas wie einen Wettlauf zwischen den Zeitungen und einer nicht-kommerziellen Plattform wie der in Gründung befindlichen Openleaks. Daniel Domscheit-Berg, der im Streit mit Julian Assange bei WikiLeaks ausgestiegen ist, möchte Openleaks für Deutschland etablieren. Im NDR sagte er dem Prinzip Enthüllungsplattform eine bedeutende Zukunft voraus:

    "Das Leaken oder das Veröffentlichen von Geheiminformationen ist aus meiner Sicht mittlerweile fast salonfähig geworden. Es gibt überall auf der Welt ähnliche Projekte oder zumindest Bestrebungen, ähnliche Projekte zu schaffen und es ist insgesamt so etwas wie ein Wandel in der Gesellschaft erkennbar, und das halte ich für die wichtigste Sache, die das Projekt auslösen konnte."

    Fraglich ist nur, wie eine langfristige Finanzierung einer solchen eher nationalen Plattform wie Openleaks aussehen könnte. Es sei ein Unterschied, so David Schraven von der WAZ, ob eine weltweite Organisation wie WikiLeaks Spenden sammele oder eine nur deutschsprachige.

    "Openleaks hat in meinen Augen keine Chance, weil es kein Geschäftsmodell ist für irgendeinen Verlag, sich an irgendeiner Seite zu beteiligen, denen Geld zu bezahlen, um Arbeit zu machen, die ein Verlag auch allein erledigen kann."

    Man muss Enthüllungsplattformen vielleicht nicht gutheißen: aber möglicherweise führt die Aufmerksamkeit, die WikiLeaks weltweit erregt hat, dazu, dass die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage dem Wert der Recherche wieder mehr Bedeutung beimessen.