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Petzolds neuer Film "Phoenix"
Mehr als ein stimmiges Melodram

Christian Petzolds neuer Film "Phoenix" erzählt die Geschichte einer Holocaust-Überlebenden, die - zurück in der Heimat - erkennen muss, dass sich niemand an die Gräuel-Taten der Hitler-Diktatur erinnern will. Der Film beeindruckt. Das liegt vor allem an einer Frau.

Von Josef Schnelle |
    "Nelly erinnerst Du dich wie es dir vor drei Monaten ging? Wie verzweifelt du warst? Das ist doch beeindruckend war Dr. Bombartz geschafft hat. Schau und in ein paar Tagen werden die Pflaster abgenommen." – "Würdest du mich erkennen? Würdest Du mich erkennen?" – "Ja."
    Nelly hat Auschwitz überlebt. Mit einem zerstörten Gesicht. Freundin Lene, Mitarbeiterin der Jewish Agency hat ihr einen Chirurgen vermittelt, der ihr Antlitz wieder herstellt. Nun mit ihrem neuen Gesicht macht sie sich auf die Suche nach ihrem Mann Johnny, der – davon ist sie fest überzeugt – sie lange vor Verfolgung geschützt hat. Als sie ihn findet, erkennt er sie nicht - aber er hat einen Plan.
    "Kommen Sie! Ich hab nicht viel Zeit. Wir können Geld verdienen. Viel Geld. Sie sehen jemand sehr ähnlich." – "Wem?" – "Meiner Frau. Jetzt wo sie tot ist hat sie Geld. Als sie noch lebte hatte sie keins. Sie und ihre ganze Verwandtschaft sind umgebracht worden. Hier lang."
    Regisseur Christian Petzold bekennt freimütig, dass er bei diesem Film an Alfred Hitchcocks Meisterwerk "Vertigo" gedacht hat. Wie James Stewart 1958 als pensionierter Polizeioffizier seine offenbar gestorbene Geliebte – gespielt von Kim Novak - zu rekonstruieren versucht und genau dadurch alles verliert zerstört auch Johnny in Petzolds Film alle Chancen zu einem Neubeginn weil er sich in eine fixe Idee verrennt. Dass eine Gaunerei ihn verblendet und Nelly ihn schließlich gar nicht über die wahren Umstände aufklären will, macht die Sache nicht leichter. Christian Petzold will in diesem Film auch den tiefen Riss in der Gesellschaft erklären, den die Nazibarbarei hinterlassen hatte. So bleiben Johnnys Motive auch deswegen dunkel weil er Nelly vielleicht damals verraten hat. Die Annäherung der beiden ist von Anfang an "vergiftet". Nicht nur weil es Johnny um eine dubiose Erbschaft geht. In den Ruinen Berlins ist für wahres Mitempfinden kein Platz. Johnny will Nelly verstecken bis er sie mit allen Varieté-Tricks der Öffentlichkeit präsentiert.
    Mehr als nur ein stimmiges Melodram
    "Sie können den hinteren Raum hier haben. Ich schlafe hier vorne. Ich komme nicht an die Erbschaft ran. Es gibt keinen Nachweis, dass sie tot ist." – "Vielleicht lebt sie ja noch." – "Sie ist tot. Sie sollen meine Frau spielen. Ich werde ihnen alles beibringen. Und dann werden Sie als Überlebende zurückkehren und das Erbe antreten. Und wir teilen. 20 000 Dollar sind sicherlich für Sie drin."
    Christian Petzold ist mit seinem Kernteam aus Kameramann Hans Fromm und dem Darstellerpaar Nina Hoss und Ronald Zehrfeld mehr gelungen als nur ein stimmiges Melodram um Liebe in Zeiten der Unrast. Insbesondere Nina Hoss zeigt sich als Darstellerin noch der kleinsten Gefühlsnuancen perfekt. Während der kammerspielartigen Dialoge mit Zehrfeld als fremde Komplizin der Erbschleicherei muss sie zugleich die verletzt Liebende mitspielen. Dazu bleiben ihr nur kleine Gesten und Blicke, die kein Regisseur tatsächlich inszenieren, die ihm nur eine kongeniale langjährige darstellerische Partnerin schenken kann. Petzold trotzt der tristen Lebenswelt der Übrig gebliebenen außerdem immer wieder Bilder der Hoffnung ab und wenn es nur ein bisschen Grün der Natur ist oder das knallige Rotlicht der Bars. Irgendwie wird es weitergehen trotz Hunger und Not. So ist es gekommen. Aber was hat man empfunden, damals in den Kellern des zerbombten Berlins. Petzold gelingt es, Spuren dieses Gefühls der Stunde Null sichtbar zu machen. Im düsteren Ambiente spiegelt sich eine Nachkriegswelt wieder, wie sie so noch niemand rekonstruiert hat. Nicht nur Johnny ist auf der Suche nach einem neuen Leben, in dem das alte Vorkriegsleben noch zu erkennen ist. Ein ganzes Land in Schutt und Asche ist es. Als Phoenix will es wieder auferstehen.
    "Sie haben doch selbst gesehen wie die Leute hier vorbei gehen an all den Heimkehrern und Versehrten mit Verbrennungen und zerschossenen Gesichtern. Niemand schaut sie an. Niemand will etwas zu tun haben mit denen. Aber Ihnen sollen sie ja ins Gesicht schauen und sagen: Da ist Nelly. Sie lebt. Sie hat´s geschafft. Sie ist zurück. Sie freut sich. Sie hat ein luftiges Kleid angezogen und wunderbare Schuhe – weil sie sich freut. Nur so bekommen wir das, was wir wollen."