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Pfeifen an der Ostsee

Der Norden ist nicht gerade bekannt für seine reichhaltige Kulturlandschaft. Als in anderen Regionen die Theater und Museen aus dem Boden schossen und begeisterte Anhänger fanden, standen in den ländlichen Gebieten noch Gottesdienste im kulturellen Mittelpunkt. Nicht zuletzt deshalb haben zahlreiche namhafte Orgelbauer im Nordosten des Landes dankbare Abnehmer gefunden. Viele dieser musikalischen Bauwerke sind in ihrer ursprünglichen Form erhalten und werden derzeit mit hohem Aufwand restauriert. Über diese Arbeit und den wissenschaftlichen Hintergrund der Orgel beraten seit gestern Experten und Musiker aus dem Ostseeraum auf der "Musica Baltica" in Demmin bei Greifswald.

    Die Konferenz über Orgelbau, Orgelmusik und Organisten des Ostseeraumes hat gleich mit einem Höhepunkt begonnen. In Demmin bei Greifswald wurde die größte erhaltene Buchholz-Grüneberg Orgel nach drei Jahren Restaurierung wiedereröffnet. Der in Amerika geborene Orgelexperte Kurt Lueders spielte darauf Werke vornehmlich aus dem 19. Jahrhundert unter anderem von Henri Smart und Gustav Adolph Thomas. Außenseiter im Repertoire, der finnische Komponist Aulis Sallinen. Der noch lebende Musiker, bekannt durch mehrere zeitgenössische Opern, gilt in der Fachwelt als Exot.

    Die Orgel hat eine der erstaunlichsten Entwicklungen unter den Musikinstrumenten sowohl technisch, kulturell als auch gesellschaftlich unternommen. Sie erlebte in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine enorme Renaissance. Damals entwickelte sie neben der musikalischen Faszination gerade auch eine technische Meisterschaft, schwärmt der schwedische Orgelwissenschaftler Ibor Ottgieß. Er ist einer der etwa 40 Teilnehmer der Konferenz und forscht in Göteborg an einem ganz besonderen Institut. Dort widmet sich ein ganzes Wissenschaftlerteam allein den Klängen und vor allem den technischen Eigenschaften der sogenannten "Königin der Instrumente."

    Wir haben sogar eine eigene Orgelbau-Forschungswerkstatt, in der wir selbst Instrumente bauen können. Die Orgel hat ja einen Riesen-Vorteil gegenüber allen anderen Instrumenten, weil sie im Grunde für jeden etwas bietet. Der eine interessiert sich für die musikalische Seite, der andere vielleicht für die kulturhistorische oder die kunsthistorische Seite. Und dann gibt es natürlich auch die Technik, die sehr interessant ist. Wenn wir ans 17. oder 18. Jahrhundert denken, dann ist das im Grunde eine Spitzentechnologie ihrer Zeit gewesen.

    Ibor Ottgieß ist schon seit Jahren ein interessierter Beobachter der Greifswalder Universität. Der gute Ruf des Instituts für Kirchenmusik ist in Fachkreisen rund um die Ostsee hinlänglich bekannt. Denn das relativ kleine Institut bietet neben wissenschaftlich anerkannten Untersuchungen zur Geschichte der Orgel auch eine außergewöhnliche Form der Ausbildung. Etwa 20 Studenten studieren regulär in Greifswald. Weitere 40 sind inzwischen in einem Bachelor Studiengang eingeschrieben. Auch sie genießen in Greifswald den Vorteil an den Originalen alter Meister üben zu können, so Matthias Schneider, einer der drei Professoren des Greifswalder Instituts.

    Wir gehören zu den Orgellandschaften, die dadurch gewonnen haben, dass lange Zeit kein Geld da war, Orgeln umzubauen, und dadurch sehr viel historische Substanz erhalten geblieben ist. Die Studenten profitieren in erster Linie davon, dass sie auf Originalen spielen können, und sich dann wirklich vorstellen können, wie hat eine Sonate von Mendelssohn oder ein Choralvorspiel von Ritter wirklich geklungen.

    Während die Ausrichter der Konferenz nicht ohne Stolz ihre heimischen Kulturschätze präsentieren, hoffen vor allem die polnischen Teilnehmer auf ertragreiche Unterstützung ihrer Projekte. In Danzig haben die Unterstützer der Orgelinitiativen schon gute Erfahrungen mit deutscher Beteiligung gemacht. Auch ein Ergebnis der Orgel - Konferenzen, sagt die polnische Musikwissenschaftlerin Danuta Poppinigies.

    Ein gutes Beispiel der Zusammenarbeit ist in der Danziger Marienkirche, wo seit 1985 eine rekonstruierte Orgel steht. Die Orgel stammt aus der Johanniskirche und die Mechanik ist nach den alten Plänen rekonstruiert.

    Noch zwei Tage stehen viele Vorträge und Konzerte auf dem Programm der Konferenz. Alle Veranstaltungen sind übrigens für Gäste offen. Höhepunkt ist unter anderem ein Konzert im Greifswalder Dom, mit Musik, ausschließlich von greifswalder Komponisten.

    Termin: Dienstag, 10.9.2002, 19:30 Uhr, im Dom St. Nikolai Greifswald