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Pfeifer bricht aus

Pfeifer heißt der Held in Thomas Hoeps Debüt "Pfeifer bricht aus". Der Mann ohne Vornamen ist ein erschreckend genügsamer und angepaßter Mensch. Er tritt nur aus seinem Schattendasein als kleiner Briefträger heraus, wenn er der Glückspostbote der Nation sein kann. Alle sechs Wochen bricht er auf und aus seiner häuslichen Tristesse, wo ihm Ehefrau Lisbeth im ewig klagenden Singsang-Ton in den Ohren liegt. So steht er über zwanzig Jahre neben den wechselnden Show-Mastern vor der Kamera. Klein, unscheinbar und pflichtbewußt: ein Stück deutsche Fernsehgeschichte. Wer von den heute 30- bis 90jährigen erinnert sich nicht an den Postboten Walter Spahrbier, der aus seiner überdimensionierten Umhängetasche den verheißungsvollen Umschlag zog und Peter Frankenfeld gab? Thomas Hoeps, Jahrgang 1966, läßt noch einmal Szenen aus diesen unvergeßlichen Familien-Fernsehabenden auferstehen. "Ich habe die Spahrbier-Figur als Kind wahrgenommen, als einen armen Hanswurst, der da irgendwo am Rand steht, aber das habe ich dann irgendwann wieder vergessen", erzählt Thomas Hoeps. "Später, als ich mit einem Freund was trinken gegangen bin, kamen wir immer auf Fernseh-Geschichten zu sprechen. Und Spahrbier war dann auch immer ein Thema, daß er eben so eine traurige Figur war, der übel mitgespielt wurde. Wir haben uns darüber kräftig amüsiert. Ich habe darüber eine Kurzgeschichte geschrieben. Der Roman ist entstanden aus dieser Kurzgeschichte, weil ich Fragen hatte, die in der Kurzgeschichte nicht beantwortet waren. Und weil mir niemand anders das erzählen konnte, mußte ich das dann eben selbst tun."

Sabine Barth |
    Thomas Hoeps erzählt ein deutsches Leben. Pfeifer, der als junger Mann ein unwiderstehliches Willy-Fritsch-Lächeln hat, träumt von einer Filmkarriere. Doch der Führer, Freund der kleinen Leute, entdeckt ihn nicht als Star für die Ufa, sondern als pflichtbewußten Gefreiten für den Krieg: Endstation Stalingrad. Erst 1953 kommt Pfeifer zurück, ohne Filmträume, ohne Lächeln, ohne Rückgrat. In Köln beginnt er als Briefträger, wohnt bei einer entfernten Verwandten, Isabelle, und wird fürs Fernsehen entdeckt. Fast scheint es, als käme langsam Ordnung in sein Leben. Doch da taucht wie eine Megäre Lisbeth auf und möchte Teil haben an Pfeifers Fernsehruhm. Da Pfeifer noch nie aktiv eine Entscheidung getroffen hat, begibt er sich in ihre Fänge. Mit "Neckermann macht's möglich" richtet Lisbeth das Heim ein und besänftigt mit Käufen ihre Sehnsucht, die Pfeifer nicht befriedigen kann. Er ist mit seinem Beruf, der kleinen Wohnung, den regelmäßigen Auftritten in der Eckstein-Show vollauf zufrieden. Während um sie herum der Wohlstand wächst, wachsen bei ihnen nur die Schulden aufgrund von Lisbeths ausufernden Bestellungen. Thomas Hoeps zeigt eine Beziehung, deren schreckliche Ödnis Strindbergsche Züge hat. Streit oder Anschweigen sind die herrschenden Kommunikationsformen der beiden. Hin und wieder wird die Tristesse unterbrochen, wenn auch sie sich ein kleines Stück von dem Wohlstandskuchen abgeschnitten haben. So überrascht Pfeifer Lisbeth an ihrem 50sten Geburtstag mit einem Auto, einem Lloyd 250, im Volksmund liebevoll "Leukoplastbomber" genannt.

    Der Roman "Pfeifer bricht aus" umfaßt 48 Jahre, in vier ungleiche Abschnitte geteilt, die jeweils eine Entwicklungsphase Pfeifers darstellen. Der dritte Teil, von 1956 bis 1976, ist der zentrale. Neben der schon erwähnten Beziehungstragödie und den zahlreichen Fernsehanspielungen verweist Hoeps auch immer auf den historischen Background. Die verhärtete Beziehung spiegelt sich in den festgefrorenen Denkschemata der Zeit wider. "Ich glaube, daß die 50er, 60er Jahre eine Zeit der Stagnation sind", so Hoeps. "Man glaubt zwar immer, damals hätte ungeheuere Bewegung geherrscht, einfach durch diese ganzen Wohlstandanhäufungen, die Leute fingen an, in Urlaub zu fahren, es scheint alles sehr dynamisch, aber inhaltlich ist es doch sehr stagnierend, was ja bis zu den 68ern sich eben entwickelt, wo es dann aufgebrochen wird und dann eben wirklich diese "Keine Experimente"-Geschichte gelaufen ist. Insofern finde ich diese Beziehung von Lisbeth mit Spahrbier wesentlich paradigmatischer für die Zeit als eine Aufstiegsgeschichte, die dann sehr erfolgreich verläuft und die vielleicht nur verkleistert, daß an Bewegung nicht viel da ist."

    Später im Roman läßt Thomas Hoeps Lisbeth zur Terroristenjägerin werden. Wenn Pfeifer schon nicht das große Geld nach Hause bringt, dann eben sie, so ihre Überlegungen. Das unverarbeitete kleinbürgerliche Gedankengut aus den frühen 30er Jahren wird unbeeinfluß von allen zeitlichen Veränderungen weiter transportiert. Doch Hoeps hat keine politische Parabel geschrieben, sondern einen Fernsehroman. Amüsant wird das Buch immer an den Stellen, wenn die frühen Fernseherlebnisse noch einmal Revue passieren.

    Thomas Hoeps schreibt in einer rhythmisierten Sprache, die den Leser mitnimmt. Wer seine früheren Texte und Gedichte kennt, weiß um seine sprachliche Begabung und sein Formgefühl. Gezielt setzt er Rhythmus und Wortspiele ein, um mit wenigen Formulierungen die Bilder der Vergangenheit zu zeichnen. Aber trotz aller Komik ist der Roman eine tieftraurige und bitterböse Geschichte von ungelebten Leben. Die genauen Beobachtungen entlarven eine Epoche, die von vielen heute gern verklärt wird.