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Pferd statt Schlafgemach

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat einer populären Fernsehserie den Kampf angesagt: "Das prächtige Jahrhundert", so der Serientitel, verunglimpft aus seiner Sicht einen Helden der Türkei.

Von Luise Sammann |
    Wer wird es als nächstes in das Schlafgemach des Sultans schaffen? Welche von den vielen Schönheiten in seinem Harem wird er auswählen? Welche wird sich gegen den Neid der anderen durchsetzen können?

    Mehr als 150 Millionen Zuschauer in mehr als 22 Ländern sitzen allwöchentlich vor dem Fernseher, wenn es in der erfolgreichsten türkischen Serie aller Zeiten um Liebe und Intrigen, Aufstieg und Fall am osmanischen Sultanspalast geht. Alle Türken, so scheint es, fiebern mit. Nur einer nicht: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan:

    "So einen Vorfahr haben wir nicht! Der Sultan Süleyman, den wir kennen, verbrachte 30 Jahre auf dem Rücken eines Pferdes und nicht im Harem, so wie es diese Serie weismachen will. Ich verurteile die Regisseure und die Besitzer des Senders vor der ganzen Nation!""

    Dass der Ministerpräsident kein Fan der Sultans-Serie ist, scheint bei immer weiteren Quotenrekorden zunächst unwichtig. Doch wer sich an ähnliche Diskussionen erinnert, der weiß, dass das in Erdogans Türkei anders ist: Ein Wort von ihm genügte, damit im Jahr 2011 eine Skulptur abgerissen wurde, die dem Völkermord an den Armenien gewidmet war. Erdogan gefiel sie nicht – sie musste weg!

    Wie groß die Macht seiner Worte auch diesmal ist, zeigte sich kurz nach seinem Auftritt: Der Abgeordnete Oktay Saral, ein Parteifreund Erdogans, kündigte prompt einen Gesetzesentwurf an, der das Ansehen der Sultane in Zukunft schützen soll:

    ""Dieses Thema steht schon lange auf unserer Agenda. Die Leute kommen wegen dieser geschichtsverdrehenden Serien an unsere Wahlkampfstände und sagen: Um Gottes Willen, wir verlieren unsere Jugend! Sie kennen ihre Geschichte nicht mehr! Unsere Jungen glauben, der Sultan war ein sexbesessener Mann, der nie den Harem verließ..."

    Schon zu Beginn der Serie vor bald zwei Jahren meldeten aufgebrachte Historiker, dass nicht alles, was da allwöchentlich über den Bildschirm flimmert, auf Fakten basiere. Deswegen, so rechtfertigte sich die inzwischen verstorbene Drehbuchautorin damals, sei es ja auch ausdrücklich eine Serie und kein Dokumentarfilm! Genauso schlimm, findet Politiker Oktay Seral.

    "Von jetzt an werden Serien entstehen, die besser zur türkischen Familienstruktur passen und die unserer Jugend nicht die Köpfe verdrehen. Wenn das Gesetz erstmal da ist, werden solche Dinge verschwinden. Das wird ein Neubeginn, ein Meilenstein! Ab jetzt wird sich jeder zwei Mal überlegen, ob er solche Serien dreht."

    Ob, wie und wann das Gesetz tatsächlich in Kraft tritt, steht noch nicht fest. Doch schon die Diskussion darüber zeigt Wirkung, meint Ömer Kavili von der Istanbuler Anwaltskammer. Er wirft dem türkischen Ministerpräsidenten vor, mit seinen Forderungen nach rechtlichen Schritten gegen die Serie die Arbeit der Judikative zu beeinflussen. Das, so befürchten oppositionelle Künstler und Intellektuelle im Land, könnte dann viel mehr betreffen, als nur die beliebte Sultans-Serie. Auch Bücher und Zeitungskommentare, Skulpturen und Kinofilme könnten mit einem Schutzgesetz für die türkische Geschichte im Sinne der AKP gleichgeschaltet werden. Anwalt Kavili:

    "Allein die Ankündigung, dass sie daran arbeiten werden, beeinflusst die Gesellschaft. Das ist eine verkappte Drohung nach dem Motto: Wenn ihr so denkt, wie wir, dann herrscht für euch Meinungsfreiheit. Aber wenn ihr eine Meinung oder ein Stück Kunst veröffentlicht, das wir nicht mögen, dann akzeptieren wir es nicht! So etwas führt zu Selbstzensur und ist eine Gefahr für die Gesellschaft."

    Und tatsächlich – Gesetz hin oder her: Der ausstrahlende Sender Star-TV hat bereits angekündigt, die erfolgreichste türkische Serie aller Zeiten früher auslaufen zu lassen, als eigentlich geplant…