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Pflanze verdaut Pflanze

Im Badesee sind Algen eher unerwünscht, es gibt aber auch Algenwachstum, das positive Effekte mit sich bringt. Manche Grünalgen zum Beispiel könnten eines Tages in großen Industrieanlagen Biotreibstoff produzieren. Bei der Forschung an einer solchen Art haben Bielefelder Biologen eine besondere Fähigkeit entdeckt: Die Alge kann Zellulose verwerten.

Von Jochen Steiner |
    Sie sind klein und grün, kommen aber nicht vom Mars, sondern von einem Kartoffelacker im US-Bundesstaat Massachusetts.

    "Der ursprüngliche Laborstamm ist in den 1940er-Jahren auf einem Kartoffelacker in Massachusetts gefunden worden und hat dort auch seinen Namen bekommen"

    - der da lautet: Chlamydomonas reinhardtii -

    "und ist jetzt in vielen Varianten, sogenannten Wildtyp-Varianten in Labors unter Benutzung."

    Professor Olaf Kruse von der Universität Bielefeld forscht mit Chlamydomonas reinhardtii, einer Mikroalge, die so klein ist, dass man sie mit bloßem Auge nicht sehen kann. In einem Labor am Zentrum für Biotechnologie vermehren die Forscher den Einzeller.

    "Was man hier sieht, sind 2,5-Liter-Säulen, die auf Rührern stehen, sodass die Kulturen durchgerührt werden. Sie sind mit Schläuchen versehen, damit sie mit CO2 begast werden und mit einer Lichtanlage, damit sie das Licht bekommen, sodass sie da vernünftig wachsen."

    Mit der Zeit wird auch klar, warum Chlamydomonas reinhardtii zu den Grünalgen gehört.

    "Kulturen, die gerade erst angezogen werden, sehen noch sehr blässlich aus, fast durchsichtig. Sie werden dann nach einem Tag so blass-grün, man erkennt also, dass Zellen sich teilen. Nach zwei Tagen sieht die Kultur schon recht grün aus und nach drei bis vier Tagen haben wir eine wirklich dunkelgrüne Kultur, die dadurch gekennzeichnet ist, dass man faktisch da nicht mehr durchschauen kann."

    Die Grünalge ist ein Modellorganismus für die pflanzliche Bioforschung: Wissenschaftler untersuchen, wie effizient der Winzling Fotosynthese betreibt, aber auch, wie die Alge Wasserstoff produziert oder Lipide, die zu Biotreibstoff verarbeitet werden könnten. Eines Tages machten Olaf Kruse und seine Kollegen eine besondere Entdeckung:

    "Wir haben vor wenigen Jahren, wie es oft in der Wissenschaft so vorkommt, eher durch Zufall entdeckt, dass diese Mikroalge offensichtlich Enzyme aus ihrem zellulären System heraus stößt, also man spricht von sekretiert, und diese Enzyme sind in der Lage, zellulosehaltiges Material zu verdauen."

    Damit ist Chlamydomonas reinhardtii die erste Alge, die Zellulose verwerten kann. Bislang war das nur von Pilzen, einigen Bakterien, Holzwürmern und von Schnecken bekannt - nicht aber von einem pflanzenähnlichen Organismus, der Fotosynthese betreibt. In den letzten Jahren haben die Bielefelder Biotechnologen versucht herauszubekommen, wie die Mikroalge die Zellulose für sich nutzbar macht.

    "Die Fähigkeit, zellulosehaltiges Material zu verdauen, hat diese Alge offensichtlich behalten, sage ich jetzt mal, um mit Situationen umzugehen, in der die Kohlenstoffquelle limitiert ist."

    Was schnell geschehen kann: Chlamydomonas kommt im Süßwasser vor. In einer kleinen Pfütze ist das Kohlenstoffdioxid schnell verbraucht. Dann kann die Alge den Kohlenstoff der Zellulose aus verrottendem Pflanzenmaterial nutzen. Dazu sondert sie Enzyme ab, Zellulasen genannt. Diese zersetzen die Zellulose zu weniger komplexen Zuckerkomponenten, zu Disacchariden. Die nimmt die Grünalge wieder auf und spaltet sie in ihrem Innern zu Glucose. Doch warum so kompliziert?

    "Ein Hintergrund dieser Strategie könnte sein, dass damit diese Alge verhindert, dass außerhalb ihres Zellsystems Glucose hergestellt wird, was von möglichen Konkurrenten gerne aufgenommen wird."

    Den Kohlenstoff der Glucose nutzt Chlamydomonas, um Proteine, Öle und Fettsäuren herzustellen. Zurzeit untersuchen Kruse und sein Team, mit welchem zellulosehaltigen Pflanzenmaterial die Grünalge am besten gedeiht. Dann könnte sie eines Tages in großen Anlagen Pflanzenreste verwerten und Zuckerverbindungen produzieren, die zum Beispiel in der chemischen Industrie benötigt werden oder aus denen Biotreibstoff in Form von Ethanol hergestellt werden kann.