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Pflanzenblatt-Ökonomie

Biologie. - Ein Unternehmer kann schnelles Geld machen mit kurzlebigen Saisonartikeln, billig produziert und zum Spottpreis auf den Markt geworfen. Oder er kann auf Qualitätsprodukte setzen, eine Menge in Entwicklung und Herstellung investieren. Der Profit kommt dann erst später, hält aber auch länger an. Auch in der Natur gibt es in ähnlicher Weise unterschiedliche "Geschäftskonzepte". Forscher aus der ganzen Welt haben in einer groß angelegten Studie die "Ökonomie der Pflanzenblätter" untersucht und die Ergebnisse jetzt in der Zeitschrift "Nature" vorgelegt.

Von Michael Gessat |
    Im heißen und extrem trockenen "Death Valley", in der feuchten Schwüle des Amazonas-Regenwaldes, auf kargen, kalten Hochebenen in Tadschikistan oder in den schattigen Laubwäldern Kanadas: An all diesen Orten wachsen Pflanzen. Und so trugen Botaniker weltweit das umfangreiche Datenmaterial für die neue Studie zusammen: 2548 Arten an 175 Standorten wurden auf ihre Blattbeschaffenheit hin analysiert. Wie Pflanzenblätter aussehen können, da gibt es völlig verschiedene Konzepte in der Natur. Und das, so Ian Wright von der australischen Macquarie University, lässt sich mit Begriffen aus der Wirtschaftstheorie beschreiben.

    Pflanzen bilden Blätter gewissermaßen als Investition; verschiedene Arten produzieren verschiedene Blatttypen, und jeder Blatttypus hat unterschiedliche Herstellungskosten. Die Investitionsrendite fließt dann in Form der Photosynthese. Pflanzen bauen ihre Blätter aus Kohlenstoff auf und füllen sie dann mit Proteinen und Nährstoffen, und sie gebrauchen die Blätter, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen. Mit dem Kohlendioxid sind sie dann in Lage, wieder neue Blätter oder Stämme oder Wurzeln produzieren, oder sich fortzupflanzen.

    Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf einige besonders wichtige Charakteristika eines Blattes. Pro Pflanzenart legten sie sechs Messwerte fest. Zwei chemische: Die Konzentration von Stickstoff und von Phosphor. Zwei dynamische Parameter: Die maximale Photosyntheserate und die Respirations- oder Atmungsrate. Und schließlich zwei physikalische Werte: Das Gewicht eines Blattes und seine durchschnittliche Lebensdauer. Diese sechs Parameter stehen offensichtlich untereinander in einem genau austarierten Abhängigkeitsverhältnis. Wie die einzelnen Eigenschaften bei einer konkreten Blattkonstruktion gewichtet sind, das charakterisiert das jeweilige "Geschäftsmodell" der Pflanze. Wright:

    Die Auswertung der Messergebnisse zeigt, dass Pflanzen innerhalb eines genau umrissenen Spektrums variieren. Man könnte das ein "Spektrum der Blatt-Ökonomie" nennen. An seinem einen Ende, dem des "schnellen Profits", sind Arten mit dünnen, weichen Blättern, die einen hohen Ertrag abwerfen, aber nur eine kurze Lebensdauer haben. Am anderen Ende sind Arten mit viel robusteren Blättern, zwar mit geringerer Photosynthese- und Atmungsrate und niedrigerer Nährstoffkonzentration, aber dafür hält dann die Ertragsphase viel länger an. Das sind die beiden Extreme. Was äußerst faszinierend ist; es macht keinen Unterschied, wo die untersuchten Arten herkommen, ob aus der Wüste oder der Savanne, ob aus der arktischen Tundra oder aus Wäldern, die Arten sind in einem solchen Spektrum überall auf ähnliche Weise verteilt.

    Natürlich bedingen extreme Lebensbedingungen bei einzelnen Arten extreme Anpassungen. Aber die Spannbreite von möglichen "Geschäftsmodellen" bei der Blattkonstruktionen ist offenbar eng umrissen, sowohl bei globaler Betrachtung als auch bei Sortierung nach Standort, Klima oder konkreter Wachstumsform. Das Klima spielt übrigens eine geringere Rolle bei der Ausprägung von Blatteigenschaften als bislang angenommen, so die Studie. Die Beziehung zwischen Blattgewicht und Blattlebensdauer ist dabei noch am deutlichsten von Feuchtigkeit und Temperatur abhängig. Natürlich ist das Blatt nur ein, wenn auch ein sehr wichtiger Teil des Gesamtsystems "Pflanze". Und so arbeiten Ian Wright und seine Kollegen auch schon daran, die ökonomischen Konzepte zu erforschen, die bei der Produktion von Samen und beim Umgang mit Wasser auf dem "freien Markt" der Natur zu finden sind.