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Pflanzensamen per Anhalter

Dass sich Pflanzensamen über den Wind, Vögel oder Fledermäuse verbreiten, ist bekannt. In den letzten Jahren scheint aber ein neues Fortbewegungsmittel hinzugekommen zu sein: das Auto. In einer Studie untersuchten Forscher der Technischen Universität Berlin, welche Strecken Pflanzensamen per Anhalter zurücklegen können und welche Rolle dem steigenden Verkehrsaufkommen in Deutschland bei der Verbreitung zukommt. Der Ort, an dem die Pflanzensamen gesammelt wurden, war recht ungewöhnlich, aber nur dort konnten die Wissenschaftler herkömmliche Verbreitungswege wie Wind oder Vögel ausschließen.

Von Nadine Querfurth |
    " Die Samen, die wir im Tunnel gesammelt haben, werden erstmal ausgesät und wir beobachten, wie groß sie werden und danach können wir Pflanzen bestimmen."

    Die Pflanzensamen, die der Gärtner Joga Natan in den Gewächshäusern des Institutes für Pflanzenökologie der TU Berlin zu Keimlingen herangezogen hat, klebten einst an Stoßstangen, Radkästen oder Autoreifen. In so genannten Samenfallen, das sind lange Rinnen mit Trichtervorrichtung, haben die Berliner Forscher in drei Autobahntunneln das Material gesammelt, was sonst vom Auto abfällt und auf die Seitenstreifen der Fahrbahnen transportiert wird. Die Ergebnisse waren beeindruckend: Auf acht Quadratkilometern fanden die Wissenschaftler in einer Vegetationsperiode, also in einem Jahr, mehr als 11.000 keimfähige Samen, die mehr als 200 Arten angehörten. Von den Funden gehörte gut die Hälfte zu nicht einheimischen Arten

    " Wir haben festgestellt, dass die natürliche Ausbreitungsfähigkeit der Arten von der Ausbreitung durch den Autoverkehr um Längen übertroffen wird zum Teil und wir nehmen an, dass das einer der Hauptgründe dafür ist, dass sich nicht einheimische Pflanzen an Verkehrswegen zum Teil sehr schnell und rasant ausbreiten, dafür gibt es viele interessante Beispiele. Das hat uns dann doch überrascht, weil das Ausmaß dieses Transports bisher nicht bekannt war."

    fasst der Landschaftsökologe und Leiter der Studie Moritz von der Lippe die Erkenntnisse zusammen. Zu den besonderen Funden zählte die Kapstachelbeere, auch unter dem Namen Physalis bekannt und eigentlich in Südamerika beheimatet.

    " Das ist eben eine Art, die für die Stadt Berlin nicht nachgewiesen ist als wild wachsende Pflanze. Da haben wir mehrere keimfähige Samen in den Proben gefunden. Das heißt das ist ein Beispiel einer Art, die in die Stadt importiert wird mit wahrscheinlich Fruchttransporten, wir wissen den genauen Weg nicht, aber auf jeden Fall eine Neueinführung, die letztlich über den Autoverkehr passiert."

    Unter den ausgekeimten Pflanzen war auch das dänische Löffelkraut, das in Berlin noch nicht verbreitet ist und eigentlich einen anderen Lebensraum bevorzugt.

    " Das ist ein Salzwiesengewächs, das an die hohen Salzkonzentrationen der Küsten angepasst ist. Und offenbar auch gefördert wird, durch das Streusalz, das im Winter auf den Strassen ausgebracht wird, aber auch eben sehr schnell an Straßenrändern wandert. Die haben wir jetzt schon im Berliner Umland und auch vereinzelt in unseren Samenfallen und können sehen, dass die Ausbreitung weitergeht und bald auch das Berliner Stadtgebiet erreicht hat."

    Dass Pflanzensamen an Autos haften bleiben und mehrere hundert Kilometer per Anhalter mitfahren, ist bei dem Verkehr heutzutage kein seltenes Ereignis. Wie schwerwiegend sind die Konsequenzen für die Natur, wenn sich rasant Neulinge ausbreiten?

    " Generell muss man sagen, gibt es natürlich eine gewisse Gefährdung durch die Ausbreitung neuer Pflanzen in der Flora, und zwar immer dann, wenn diese Pflanzen in der Lage sind, heimische Pflanzen zu verdrängen. Wir haben in unserer Studie nicht viele sehr ausbreitungsstarke Arten gefunden. Die Gefahr, die jetzt letztlich vom Autoverkehr als Ausbreitungsvektor ausgeht, schätze ich als nicht ganz so hoch ein."

    Das bewertet man in anderen Ländern allerdings ganz anders und greift schon viel früher zu kontrollierenden Maßnahmen.

    " Zum Beispiel Neuseeland hat für den Import von Gebrauchtwagen aus dem Ausland ganz rigide Vorschriften, wie die Wagen von der Unterseite sowohl von der Lüftungsanlage zu reinigen sind, um auszuschließen, dass Samen fremder Arten ins Land kommen."

    Das Auto scheint ein Vehikel zu werden oder zu sein, mit dem Pflanzensamen durchaus viele Kilometer zurücklegen und sich so verbreiten können. Ob eine Art bekämpft werden muss, sollte im Einzelfall bewertet werden. Moritz von der Lippe.

    " Hier ist großer Forschungsbedarf, um eben auch, wenn man sich entscheidet Arten zu bekämpfen, das eben auch auf einer fundierten wiss. Grundlage tun zu können und eben auch erfolgsorientiert, dass heißt, dass man weiß, wie die Arten letztendlich zu bekämpfen sind."