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Pflanzliche Kletterer

Umwelt. – Seit vielen Jahren verzeichnen die Wissenschaftler einen Anstieg der Jahresmitteltemperatur, doch die Folgen vor Ort sind nur selten klar fassbar. Für die französischen Gebirge haben jetzt Forstwissenschaftler nachvollzogen, wie sich die Vegetationsgrenzen verschieben. In der aktuellen "Science" berichten sie darüber.

Von Volker Mrasek | 27.06.2008
    Das Phänomen ist aus den Alpen bekannt: Unter dem Einfluss steigender Temperaturen entwickeln sich Gebirgspflanzen immer mehr zu Gipfelstürmern. Die Baumgrenze stieg zuletzt um knapp 28 Meter pro Jahrzehnt, wie eine Studie aus dem Jahr 2005 vorrechnete. Jetzt zeigt sich: Nicht nur die alpine Vegetation tritt die Flucht nach oben an. Auch Pflanzen aus tieferen Sphären verlegen ihre Verbreitungszonen in größere Höhen, und das praktisch im gleichen Ausmaß. Darüber berichten französische Forscher jetzt in einer neuen Studie. Jonathan Lenoir von der Hochschule für Agrar- und Forsttechnik AgroParisTech in Nancy gegenüber dem Wissenschaftsmagazin "Science":

    "”Wir können zum ersten Mal belegen, dass der Klimawandel einen starken Einfluss auf eine Vielzahl von Pflanzen ausübt – nicht nur in sensiblen Ökosystemen. Wir haben den Effekt in allen Höhenstufen von montanen Wäldern in Frankreich nachweisen können. Im Schnitt wandern die von uns untersuchten Waldpflanzen alle zehn Jahre um 29 Meter nach oben.""

    Der Forst-Ingenieur und seine Kollegen stützten sich auf historische und aktuelle Verbreitungskarten, die ältesten von 1905. Sie stammen unter anderem aus den West-Alpen, den Pyrenäen, den Vogesen und dem französischen Zentralmassiv, und sie decken einen Höhenbereich bis zu 2600 Meter über dem Meeresspiegel ab. Lenoir:

    "”Wir haben über 170 Waldpflanzen in unserer Analyse berücksichtigt. Es handelte sich um die meistverbreiteten Arten der französischen Gebirgswälder. Wenn man den Einfluss des Klimawandels herausarbeiten will, dann braucht man große Datenmengen und Langzeitbeobachtungen.""

    Die stärksten Verschiebungen zeigten sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Zwei Drittel der erfassten Pflanzenarten verlegten ihr Wuchsgebiet nach oben, ein Drittel nach unten. Insgesamt ergab sich ein starker Aufwärtstrend – eine Art Flucht in die etwas kühlere Höhe, um steigenden Temperaturen im angestammten Revier auszuweichen. Lenoir:

    "”Nicht alle Arten reagieren in derselben Weise. Langlebige Pflanzen wie Bäume zeigen kaum eine Veränderung. Bei kurzlebigen wie Gräsern und Farnen dagegen sehen wir eine starke Höhenzunahme in ihrer Verbreitung. Das bedeutet, dass Bäume und Sträucher durch den Klimawandel stärker bedroht sind als zum Beispiel Gräser mit ihren kurzen Generationszeiten. Sie stellen sich viel schneller darauf ein.""

    Nicht nur die Länge des Generationszyklus – auch die Höhenstufe beeinflusst die Reaktion aufs Klima. So erwiesen sich Waldpflanzen der kollinen Stufe, also des Hügellandes, häufiger als standorttreu. Dagegen zeigte die Vegetation der montanen Stufe, also die des Berglandes, einen verstärkten Klettertrieb. Ihre Studie, sagen die französischen Forscher, liefere starke Indizien dafür, dass Waldpflanzen längst dabei sind, mit dem Tempo des Klimawandels Schritt zu halten.