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Pflege als Unterrichtsfach
Blutdruck messen statt Vokabeln pauken

Deutschland droht der Pflegenotstand. Ein Grund, warum eine Magdeburger Schule bereits in der 9. Klasse das Unterrichtsfach Pflege anbietet. Schüler sollen erfahren, dass die Pflegeberufe auch schöne Seiten haben - entgegen der öffentlichen Meinung, die nur ein schwarz-weißes Bild zeichnet.

Von Christoph Richter | 02.02.2018
    Die Lehrerin für Altenpflege am Institut für Weiterbildung in der Kranken- und Altenpflege zeigt in Magdeburg in einem Klassenraum zwei Schülerinnen den Umgang mit einem Blutdruckmessgerät
    Die Lehrerin für Altenpflege am Institut für Weiterbildung in der Kranken- und Altenpflege zeigt zwei Schülerinnen den Umgang mit einem Blutdruckmessgerät (dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Heute geht es um Schlaganfall-Patienten. Erst mal wird erklärt, was ein Schlaganfall überhaupt ist, was die Folgen sind und was bei der Pflege zu beachten ist.
    An der Integrierten Gesamtschule "Regine Hildebrandt" im Magdeburger Norden lernen Schülerinnen und Schüler seit vergangenem Schuljahr etwas, was es anderswo so nicht gibt. In Zusammenarbeit mit dem sachsen-anhaltischen Institut für Weiterbildung in der Kranken- und Altenpflege und dem Wohlfahrtsverband Volkssolidarität wird der Wahlpflichtkurs "Pflege" angeboten. Einmal pro Woche wird den Schülern beigebracht, wie man Verbände anlegt, Puls misst oder den Blutdruck kontrolliert.
    Einblicke in die alltägliche Praxis
    Aber sie bekommen auch einen ganz praktischen Einblick in den Alltag der Pflegeberufe, erzählt Dagmar Bielau. Sie ist die die Koordinatorin für den Wahlpflichtkurs an dieser Gesamtschule.
    "Die wissen nicht, dass es Ergotherapeuten gibt, wenn sie nicht schon mal direkt damit zu tun hatten. Physiotherapie kennt man noch, aber Logopädie kennt man auch schon nicht mehr. Der Unterricht findet oft gemeinsam mit Auszubildenden statt. So waren wir letztens in einer Altenpflegeklasse."
    Unterrichtet werden die Schüler nicht von klassischen Lehrkräften, sondern von Profis, die auch aus dem Alltag berichten können.
    Junge Leute motivieren
    Ausgedacht hat sich das bundesweit einzigartige Projekt Anja Gischick, Personalleiterin beim Landesverband der Volkssolidarität in Sachsen-Anhalt.
    "Wir haben festgestellt, dass relativ viele Leute vom Gesundheitswesen profitieren, aber keiner richtig bereit ist, in dem Bereich zu arbeiten. Und da sind wir als Arbeitgeber herangegangen und wollen verschiedene Wege gehen und gerade an die jungen Leute herantreten, die sich gerade in der Berufsfindung befinden."
    Pflegeunterricht statt zweite Fremdsprache
    Der Wahlpflichtkurs Pflege besteht aus wöchentlich zwei Schulstunden. Das heißt, statt einer zweiten Fremdsprache können Sekundarschüler Grundlagen der Pflege lernen. Mit enthalten ist auch ein Praktikum, um den Alltag in Pflegeeinrichtungen kennenzulernen, erläutert Geografie- und Geschichtslehrerin Dagmar Bielau.
    "Zensuren bekommen die Schüler natürlich auch. Der Kurs ist ja ein Unterrichtsfach für sie, der im Zeugnis generell erscheint. Sie bekommen aber auch ein Zertifikat, dass sie teilgenommen haben, dass sie Pflege- und Erste-Hilfe-Stunden absolviert haben. Sie bekommen auch ein Zertifikat für den Erste-Hilfe-Kurs."
    Einer der Schüler ist der 15-jährige Justin, 9. Klasse.
    "Bevor ich in diesen Kurs kam, wollte ich Polizist werden. Aber in dem Kurs hatten wir auch ein Praktikum. Das hat mich komplett umgestimmt, auf einmal wollte ich Krankenpfleger werden."
    Der Teenager ist begeistert. Auch weil der auf zwei Jahre angelegte Kurs so praktisch sei. Man lerne wirklich was fürs Leben, sagt Justin noch.
    "Im Krankenhaus haben sie gesagt, dass sie auch gerne ein paar Männer hätten."
    Pflegenotstand mildern
    Dass man bei Schülern so massiv um Pflegeberufe wirbt, ja fast buhlt, hat einen handfesten Grund und der nennt sich Pflegenotstand. Denn in der Branche fehlt qualifiziertes Personal. Allein in den nächsten Jahren werden nach Angaben des Magdeburger Sozialministeriums in Sachsen-Anhalt knapp 40 Prozent mehr Personal in der Pflege gebraucht. Die Zahl der Auszubildenden in der Altenpflege ist nach Angaben der Arbeitsagentur seit 2012 stetig gesunken. Weshalb man nun verstärkt um Schüler wirbt.
    "Allerdings wird der Pflegenotstand nicht ganz behoben werden durch unseren Kurs."
    Ergänzt lakonisch Lehrerin Dagmar Bielau.
    Sinnvolle Berufsorientierung
    Mit der Kritik, dass jetzt an Schulen gar einseitig für Berufe geworben werde – denn es würden im Land ja auch Lehrer, Polizisten und Ärzte gebraucht –, damit kann CDU-Bildungsminister Marco Tullner wenig anfangen. Er unterstützt das bundesweit einzigartige Modellprojekt.
    "Wir werden hier nicht zum Mammon von jedem ökonomischen Interesse, das ist völlig klar. Aber dass man sich im Sinne von Berufsorientierung und wie geht es danach weiter auch stärker öffnet, finde ich den richtigen Weg und ist doch ein tolles Beispiel."