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Pflegebegleiter

Über eine Million pflegebedürftiger Menschen werden heute zu Hause betreut: von ihren Angehörigen. Ohne professionelle Hilfe - und dies oftmals über einen langen Zeitraum hinweg. Was als spontane Hilfeleistung begann, wird mitunter zu einer harten Belastungsprobe für die pflegenden Angehörigen. Sie stoßen körperlich und seelisch an ihre Grenzen, verausgaben sich und können sogar selbst krank werden. Ein bundesweites Modellprojekt widmet sich erstmals diesen Angehörigen. So genannte "Pflegebegleiter" bieten den Familien Unterstützung an.

Von Andrea Kalbe |
    "Tag, na wie geht's?

    Ja, muss, muss.

    Muss, wie immer.

    Ja, wie immer.

    Wie war die Nacht?

    Kurz.

    Kurz, wie immer. Hat sie ein bisschen Sperenzien gemacht, die Mutti? Na, dann gehen wir erst mal rein. "

    Potsdam, ein Neubaugebiet im Südosten der Stadt. Zielstrebig betritt Hannelore Mann die Wohnung im ersten Stock. Einmal in der Woche ist sie zu Besuch bei Andreas J., der seit Jahren seine demenzkranke Mutter pflegt. Der stämmige Mann mit den nach hinten gekämmten Haaren bittet Hannelore Mann ins Wohnzimmer, wo sie an einem Tisch mit weißer Spitzendecke Platz nimmt. Die 60-Jährige kennt sich gut aus bei Andreas J. Seit einigen Monaten ist sie seine Pflegebegleiterin. Sie hört ihm zu, redet mit ihm über seine Probleme, sagt ihm, wo er Unterstützung bekommen kann.

    "Haben Sie denn schon Bescheid bekommen von der Pflegekasse?

    Nein, noch nicht.

    Hm, haben Sie noch nicht Bescheid bekommen. Na, da müssen wir abwarten, da wird man dann ja antworten.

    Ja, da wird dann Antwort kommen.

    Sodass wir dann überlegen können, welche Möglichkeiten nehmen wir in Anspruch, um Sie zu entlasten. Eine Möglichkeit haben wir ja schon herausgefunden, dass wir eventuell eine Selbsthilfegruppe der Alzheimergesellschaft in Anspruch nehmen, wo sie dann mit Ihrer Mutti hingehen können."

    So wie Hannelore Mann unterstützen rund 1.400 Pflegebegleiter bundesweit Menschen, die sich selbst um ihre kranken Angehörigen kümmern. Die Pflegebegleiter arbeiten ehrenamtlich und bieten ausschließlich eine psychosoziale Betreuung, pflegen also nicht selbst und sind auch kein Besuchsdienst im klassischen Sinn.

    "Sie sind auch keine professionellen Pflegeberater, sondern sie sind einfach erst mal nur für die Angehörigen da, weil wir herausfinden konnten, dass nicht nur pflegende Angehörige häufig dazu neigen, sich hart zu fordern, sondern auch ganz, ganz häufig sich selbst zu überfordern, sich selber nicht mehr sehen, für sich selber gar keine Zeit mehr haben und manchmal oder auch sehr häufig, ich sag mal auch vereinsamen oder isoliert sind, auch keinen Ansprechpartner mehr haben. Und da genau in diese Lücke, in dieses Defizit geht die Pflegebegleitungstätigkeit,"

    sagt Horst Weipert von der Sozialakademie Potsdam, die für das Projekt in den neuen Bundesländern zuständig ist. Um die Qualität der Arbeit sicherzustellen, organisieren die Initiatoren Fortbildungskurse und Praktika. Die Motivation für das ehrenamtliche Engagement ist unterschiedlich. Die einen wollen sich auf eine mögliche eigene Pflege eines Angehörigen vorbereiten. Die anderen waren - so wie Hannelore Mann - selbst betroffen und möchten ihre Erfahrungen jetzt weitergeben.

    "Ich habe selbst meine krebskranke Mutti gepflegt, und ich fühlte mich sehr, sehr oft allein. Ich hatte zwar immer meine Familie im Rücken, aber mein Mann hat gearbeitet, meine Tochter hat zu der Zeit gelernt, und meine drei Brüder, die jünger sind als ich, die haben das einfach nicht gepackt. Und allein aus dieser Hilflosigkeit, als ich das dann entdeckt habe in der Zeitung, hier geht's um die pflegenden Angehörigen, habe ich gedacht, ja, da hätte dir so manchmal ein Gesprächspartner helfen können, denn all das wollte ich ja meiner Familie auch nicht immer aufbürden."

    Noch sind die "Pflegebegleiter" ein Modellprojekt. Das Programm läuft zunächst bis zum Herbst dieses Jahres und wird von den Spitzenverbänden der Pflegekassen und vom Bundesfamilienministerium finanziert. Doch auch danach soll es weitergehen: So haben die Pflegekassen und die zuständigen Bundesministerien ihre Bereitschaft signalisiert, das Projekt weiterzufördern.


    Link:
    www.pflegebegleiter.de