Bruni: "Mein Ehemann ist ein Mann, der alles gibt."
"Er unterbricht nie. Er arbeitet die ganze Zeit, 20 Stunden am Tag. Ich hatte Angst, er stirbt."
Sarkozy: "Ich möchte den Franzosen sagen, dass ich alles getan habe, um sie nicht zu enttäuschen."
Das ist Nicolas Sarkozy nicht gelungen. Kein Präsident vor ihm ist schnell und so tief gesunken in der Achtung seiner Landsleute.
"Sarkozy ist eruptiv, will eins und dann bald wieder das Gegenteil. Und ich glaube, er hat nicht viel Gutes angerichtet."
sagt der renommierte Politologe Alfred Großer:
"In der Nacht der Wahl, das Volk wartete auf dem Place de la Concorde, und er verbrachte anderthalb Stunden mit seinen Freunden im sehr vornehmen Restaurant Fouquet."
"Fouquet's Brasserie" an den Champs-Elysée. Dass Nicolas Sarkozy dort, im Nobellokal, seinen Wahlsieg 2007 feierte, wird ihm bis heute nachgetragen. Das Etikett "Präsident der Reichen" haftet an ihm.
Großer: "Sarkozy ist auf der Seite der Reichen und Mächtigen."
Auch im ersten großen Fernsehinterview außerhalb des Elysée-Palastes muss sich der frischgebackene Kandidat Sarkozy dem Thema stellen. Wo er denn diesmal feiern werde, sollte er die Wahl gewinnen?
"Diesmal habe ich eine Familie. Eine solide Familie. Und ich weiß, wie ich den Wahlsieg diesmal feiern würde, mit denen, die ich liebe, mit meiner Frau und meinen Kindern und eventuell ein paar Freunden."
Eine Anspielung auf sein Privatleben: Die Ehe mit Cecilia stand, was am Wahlabend 2007 nicht öffentlich bekannt war, auf der Kippe. Privates aus dem Leben eines Präsidenten, in Frankreich ist das heikle Ware, Diskretion wird bevorzugt. So musste Sarkozy vorsichtig sein, als er, um sein Image aufzupolieren, aus dem Nähkästchen plauderte:
"Ich habe darüber nie gesprochen, weil ich glaube, das ist Teil meines Privatlebens. Unter den Millionen Zuhörern heute Abend gibt es sicher viele, die erlebt haben, was ich erlebt habe. Die Seite ist umgeblättert, aber ich will fragen, wenn man so was durchlebt hat, will man das noch einmal erleben? Diese enorme Ehre, gewählt worden zu sein und meine Familie, die auseinanderbrach."
"Wahltaktik" ruft die Opposition umgehend. Und Francois Hollande, der Kandidat der Sozialisten und starke Herausforderer Sarkozys, meint, derart entblättern dürfe man sich als Staatspräsident nicht, auch nicht im Wahlkampf.
2007 zum Präsidenten gewählt, tritt zu Beginn seiner Amtszeit der Privatmann Sarkozy in den Vordergrund: Zunächst die Trennung von Cecilia, dann die stürmische Verbindung mit der italienisch-französischen Schlagersängerin Carla Bruni, gemeinsame Reisen im Blitzlicht der Kameras, wenig später das Medienspektakel um die Hochzeit, Urlaub auf der Luxusjacht eines Freundes. Sarkozy habe das Amt beschädigt, lautet die Kritik. Mitterrand, Chirac, sie alle hätten Schwächen gehabt, auch Frauengeschichten, aber Sarkozy sei zu weit gegangen. Niemand nehme den Mann mehr ernst, dessen Porträt in jedem Rathaus hänge, sagt nahezu jeder, den man in Paris um eine Meinung zu Sarkozy bittet. Mit Ausnahmen:
"Das ist doch eher sympathisch."
Der Philosoph André Glucksmann findet die Charakterschwächen des Präsidenten menschlich und bürstet damit gegen den Strich der veröffentlichten Meinung. 2007 hatte er Sarkozy im Wahlkampf unterstützt, von seiner Politik ist er enttäuscht, dennoch: Glucksmann nimmt den Menschen Sarkozy bis heute in Schutz.
"Er ist nicht konform mit der großen Idee, dass das französische Weltklasse ist, und dass an der Spitze Frankreichs der weltbeste Franzose stehen muss. Nein, er verkörpert diese Zerbrechlichkeit der Dinge. Das heißt nicht, dass er immer recht hat, weit entfernt!"
Nicolas Sarkozy - Sohn ungarischer Einwanderer, Wirtschaftsanwalt, Bürgermeister des noblen Pariser Vorortes Neuilly, Innenminister, Staatspräsident, einer, der sich hochgearbeitet hat, ein Vollblutpolitiker. Als Präsident wird er im ersten Teil seiner Amtszeit zum Fall für die Karikaturristen: In Europa spricht man über seine erhöhten Absätze, über seine Art, das Gesicht zu einem Grinsen zu verziehen, bei noch so ernsthaften Fragestellungen. Sarkozy habe sich zuweilen nicht im Griff, sagen nicht nur die politischen Gegner.
Kaum im Amt beschimpft er auf der Landwirtschaftsmesse einen Mann mit Vokabeln aus der Gosse, weil dieser ihm den Händedruck verweigert. Weil ihm das bis heute vorgeworfen wird, beginnt Sarkozy seinen Wahlkampf 2012 mit Reue:
"Das hätte ich nicht sagen dürfen, da auf der Landwirtschaftsmesse","
räumt Sarkozy ein. Er habe erst in die Rolle des Präsidenten hineinwachsen müssen. Die Medien, viele seiner Wähler und natürlich die Opposition, nehmen Sarkozy nicht ab, dass er sich geändert habe.
Manche möchten auch gar nicht, dass er sich ändert. Sie sind mit der Bilanz ihres Präsidenten zufrieden.
Ein Markt an der Küste östlich von Marseille. Pascal verkauft hier bunte T-Shirts, Hemden, er gehört zu dem Drittel der französischen Wähler, das schon jetzt entschlossen ist, Sarkozy wieder zu wählen. Bei allen objektiven Problemen, die das Land hat:
""Ich bin dennoch für Präsident Sarkozy","
sagt Pascal, der lässig auf seinem Hocker zwischen den Kleiderständern kauert, die Kappe tief ins Gesicht gezogen, zum Schutz gegen die grelle Mittagssonne.
""Hier kommen keine Reichen hin. Das sind einfache Leute, die haben nichts mehr im Portemonnaie, selbst die Mittelklasse ist geschwächt."
Die Arbeitslosigkeit ist deutlich gestiegen, das Wachstum der französischen Wirtschaft stagniert, die Menschen klagen über zu teuren Wohnraum, die Kaufkraft schwindet, viele Wahlversprechen des Nicolas Sarkozy sind unerfüllt geblieben.
"Sicher, es muss sich etwas ändern, die Menschen brauchen einen Wechsel, aber sie wollen nicht extrem wählen, das macht ihnen Angst. Aber als Händler kann ich auch nicht die Sozialisten wählen oder noch weiter links. Ich bin einer, der viel arbeitet, um mein Auskommen zu haben. Leider arbeitet man heute viel, um wenig zu verdienen."
Wenn die Bilanz so schlecht ist, warum also will er Sarkozy wieder wählen?
"Es ist richtig, was er zu Schengen gesagt hat. Wir leben doch in Europa, um es gut zu haben. Jetzt rede ich ein bisschen wie Marine Le Pen. Wir können hier nicht die ganze Welt aufnehmen."
Sarkozy: "Wenn nach einem Jahr nichts geschehen ist, wird Frankreich den Schengen-Raum verlassen."
Einwanderung, Immigration. Mit diesem Thema punktet Sarkozy. Kaum, dass er in das Gewand des Kandidaten geschlüpft ist, greift der Präsident zentrale Wahlkampfthemen der politischen Konkurrenz auf: Die Sozialisten wollen den europäischen Fiskalpakt nachbehandeln, versprechen ein anderes Europa. Sarkozy stellt den Vertrag von Schengen infrage und stellt Brüssel ein Ultimatum. Der rechte und radikale Front National klagt, Frankreich ächze unter der Zuwanderung. Sarkozy verspricht, die Asylantenzahlen zu halbieren. Der linke Front de Gauche wettert gegen Globalisierung und Arbeitsplatzabwanderung. Sarkozy fordert Vorfahrt für europäische Waren und sagt besseren Schutz für französische Unternehmen zu.
Sarkozy: "Mein ganzes Leben war ich ein überzeugter Europäer."
Europa à la francaise, bevor die anderen damit punkten können. So setzt Sarkozy europapolitische Akzente in seinem Wahlkampf. Ein Zufall ist das nicht.
Im Hafen geht es auf Mittag. Die Netze sind eingeholt, die Fischer verabreden sich zum Essen in den Kneipen rund herum. Auch dieser hier hat es eilig, nur eines will er loswerden. Wenn es Probleme gebe in Frankreich, dann wegen Europa.
Die da in Paris sind doch unter sich, in ihrem Mikrokosmos, fällt eine gut gekleidet Frau dem Fischer ins Wort. "Wir existieren doch für die in Paris gar nicht."
Hier, unweit der italienischen Grenze, war der Druck der Einwanderung besonders zu spüren, als der arabische Frühling die Flüchtlinge auf das europäische Festland spülte. Aber auch weiter im Westen, im Hafen von Marseille, dem Tor zu Afrika, ist die Stimmung schlecht. Finanzkrise, Arbeitslosigkeit, alles dreht sich darum. Nicolas Sarkozys Versprechen zu Europa, zur Einwanderung, zur Wirtschaftspolitik – der Imbissbesitzer ist nicht überzeugt, dass die Rechnung aufgeht:
"Nicolas Sarkozy ist seit zehn Jahren an der Macht. Jetzt, wo er wiedergewählt werden will, sagt er, ich mache dies, ich mache jenes. Wo war er denn in den letzten zehn Jahren, erst als Innenminister und dann als Präsident?"
Die Leute hier haben die Nase voll, sagt er, das Fleischmesser in der Hand. Die Mieten steigen, die Löhne stagnieren, die Jugend hat keine Perspektive.
Gleich nebenan die Stammkneipe von Olympique Marseille. An der Theke geht die Rotweinflasche rum, die Stimmung ist deshalb nicht besser:
"Jetzt spüren die auch in Nordfrankreich, was wir hier schon seit 30 Jahren spüren, seit unserem Hafen, der Lunge dieser Region, die Luft ausgeht."
Am Tresen gibt es nur einen, der Nicolas Sarkozy unterstützen will und das offen zugibt. Andere sprechen entweder vom "Wechsel", dem zentralen Schlagwort im Wahlkampf der Sozialisten, viele deuten an, dass sie rechts außen, beim Front National, ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel machen werden. Der Süden tickt anders als der Norden.
In einer Kleinstadt nördlich von Paris strömen Tausende in die Turnhalle eines Gymnasiums, Ältere, Paare, aber auch junge Leute. Nicolas Sarkozy ist der Redner an diesem Samstagnachmittag:
"Ich denke, er kann am besten auf die Herausforderungen von heute antworten, auf die Lage Frankreichs in dieser globalisierten Welt. Francois Hollande mag ja im Inneren einiges bewirken können, aber für die Rolle Frankreichs in der Welt ist Sarkozy der Bessere."
Francois Hollande, alles Gerede, sagt eine Frau, der Spitzenkandidat der Sozialisten habe doch keine Erfahrung auf der internationalen Bühne, sei nur Regionalpräsident in der Corrèze gewesen. Es brauche einen, der das Land führen könne. Sarkozy kommt durch den Seiteneingang. Junge Frauen und Männer säumen seinen Weg. Alle tragen Fan-T-Shirts. Zwei Mädchen, deren Familien aus dem Senegal eingewandert sind, jubeln dem Präsidenten zu, schießen Fotos mit dem Handy. "Die schicken wir in den Senegal", rufen sie. Ein Samstagnachmittag im Departement Hauts-de-Seine.
Eine halbe Stunde lang wird Nicolas Sarkozy reden. Kraftvolle Worte fallen, die Anschläge von Toulouse und Montauban mit sieben Opfern liegen erst wenige Tage zurück. Sarkozy tummelt sich auf seinem Lieblingsfeld, der inneren Sicherheit. Seine Rede handelt von Frankreich, von den Werten der Republik, vom Stolz eines Landes, das sich vom Terrorismus nicht in die Knie zwingen lasse. Und wieder geht es um Europa, das unter ihm, Sarkozy, ein neues Gesicht, neue Einwanderungsregeln bekomme. Alle "Macht den Regierungschefs" ist seine Devise. Die Halle tobt. Das Publikum ist auf Sarkozys Seite und singt aus voller Brust zum Abschied die Hymne.
Nicolas Sarkozy wird vor allem für eines bewundert: für seine Energie. Er sei schon als Junge, als Jugendlicher, so gewesen. Er sehe das als Geschenk, sagt er selbst. Viel Sport, vor allem: kein Alkohol. Mancher Winzer im Weinland Frankreich beklagt die strenge Abstinenz des Präsidenten. In seinem beruflichen Umfeld heißt es, er sei stets exzellent vorbereitet, stecke tief in den Themen, arbeite unermüdlich. Unermüdlich auch sein Taten- und Ideendrang. Das Rezept seines Wahlsieges 2007.
Eine exzellente Kampagne sei das damals gewesen, sagt Vincent Giret, Journalist beim links-liberalen Blatt "Libération". Sarkozy habe die Themen, den Rhythmus vorgegeben. Mit einem Feuerwerk an Ideen wurde die Opposition damals unter Druck gesetzt. 2012 läuft es ähnlich ab: Sarkozy bestimmt das Tempo. Lange als der sichere Verlierer gehandelt, steigen die Umfragekurven für den Amtsinhaber. "Sarkozy der Mann, der nicht aufgibt", titeln einige Zeitungen. In jeder Woche, in jeder Situation, reagiert der Wahlkämpfer Sarkozy sofort. Ein Ideenreichtum, der für politische Gegner wie für politische Freunde schwer zu fassen ist.
Merkel: "Er hat mich schon im Wahlkampf unterstützt. Und insofern ist es ganz natürlich, dass ich auch ihn im Wahlkampf unterstützen würde."
Angela Merkel hat viel Zeit mit Nicolas Sarkozy verbracht. Die Finanzkrise hat das "couple franco-allemand", das deutsch-französische Paar, zusammengeschweißt. Beidseits des Rheins wird halb bewundernd, halb spöttisch von "Merkozy" gesprochen. Bis dahin war es ein weiter Weg. Auch die deutsche Diplomatie wurde von der Sprunghaftigkeit, von der Spontanität des französischen Staatspräsidenten zuweilen auf dem falschen Fuß erwischt.
"Die ersten zwei bis drei Jahre waren sehr schwierig",
sagt Hans Stark vom Internationalen Forschungsinstitut IFRI in Paris:
"Sind dann auch in einigen Punkten schwer zusammengestoßen. Stichwort: Mittelmeerunion im Jahre 2007 und 2008. Stichwort: Finanzkrise, die ursprüngliche aus den USA, wo auch beide Länder völlig unterschiedliche Positionen gehabt haben. Also, das waren schwierige Jahre."
Merkel rede, er handele. Auch solche Sätze lässt der französische Staatspräsident zu Beginn der Finanzkrise fallen, um dann im letzten Drittel seines Mandats auf die Spur des Deutschland-Fans abzubiegen.
Sarkozy: "Ich nehme mir das Beispiel Deutschland zum Vorbild. Warum? Weil Deutschland unser Partner ist, auch Konkurrent, ja, aber Partner zuerst. Die Reformen dort hat ein SPD-Minister gemacht, ein Mann von großen Qualitäten: Herr Schröder."
Keine Rede, kein Vortrag in dem nicht Deutschland als Vorbild herhalten muss für Reformen, die Sarkozy Frankreich verordnen will. Das Renteneintrittsalter hat er bereits anheben lassen, gegen alle Widerstände. Die 35-Stunden-Woche hat er teilweise ausgehebelt, die Haushaltssanierung hat begonnen, wenn auch reichlich zaghaft. Um Frankreich wettbewerbsfähig zu machen, müssten mehr schmerzhafte Reformen sein, sagt Sarkozy. Gerhard Schröder und Hartz IV seien das Vorbild. Politischer Selbstmord? Hans Stark vom Forschungsinstitut IFRI sagt: Sollte Sarkozy scheitern, dann nicht aus inhaltlichen Gründen.
"Und diese Gründe sind vielfältig und hängen mit dem Stil der Präsidentschaft Sarkozy zusammen, mit nicht gehaltenen Wahlversprechen, mit der mangelnden Popularität des Mannes Sarkozy."
Die Umfragen sehen den Kandidaten Sarkozy für den zweiten Wahlgang am 6. Mai nach wie vor hinten, den Sozialisten, Francois Hollande, vorne, auch, weil die Abneigung gegen den Amtsinhaber so groß ist. Entscheiden also am Ende die Sympathiewerte? Wird Nicolas Sarkozy als der Präsident in die Geschichte Frankreichs eingehen, der an seinem Charakter gescheitert ist und nicht als der, der Frankreich zurück in die Strukturen der NATO führte, der frühzeitig im Georgien-Krieg vermittelte, der sich für seinen Libyen-Einsatz feiern ließ, der Frankreich, wie es auf höchster Ebene in Brüssel anerkennend heißt, mit viel Elan durch die Finanzkrise gesteuert hat? Nicolas Sarkozy wäre nicht Nicolas Sarkozy würde er nicht an seinen Wahlsieg glauben. Mit dem Gedanken an Niederlage und an die Zeit danach, kokettiert er allenfalls:
"Ich würde etwas Anderes machen. Was, weiß ich noch nicht. Glauben Sie wirklich, wenn mir die Franzosen das Vertrauen nicht aussprechen, dass ich Politiker bleibe?"
"Er unterbricht nie. Er arbeitet die ganze Zeit, 20 Stunden am Tag. Ich hatte Angst, er stirbt."
Sarkozy: "Ich möchte den Franzosen sagen, dass ich alles getan habe, um sie nicht zu enttäuschen."
Das ist Nicolas Sarkozy nicht gelungen. Kein Präsident vor ihm ist schnell und so tief gesunken in der Achtung seiner Landsleute.
"Sarkozy ist eruptiv, will eins und dann bald wieder das Gegenteil. Und ich glaube, er hat nicht viel Gutes angerichtet."
sagt der renommierte Politologe Alfred Großer:
"In der Nacht der Wahl, das Volk wartete auf dem Place de la Concorde, und er verbrachte anderthalb Stunden mit seinen Freunden im sehr vornehmen Restaurant Fouquet."
"Fouquet's Brasserie" an den Champs-Elysée. Dass Nicolas Sarkozy dort, im Nobellokal, seinen Wahlsieg 2007 feierte, wird ihm bis heute nachgetragen. Das Etikett "Präsident der Reichen" haftet an ihm.
Großer: "Sarkozy ist auf der Seite der Reichen und Mächtigen."
Auch im ersten großen Fernsehinterview außerhalb des Elysée-Palastes muss sich der frischgebackene Kandidat Sarkozy dem Thema stellen. Wo er denn diesmal feiern werde, sollte er die Wahl gewinnen?
"Diesmal habe ich eine Familie. Eine solide Familie. Und ich weiß, wie ich den Wahlsieg diesmal feiern würde, mit denen, die ich liebe, mit meiner Frau und meinen Kindern und eventuell ein paar Freunden."
Eine Anspielung auf sein Privatleben: Die Ehe mit Cecilia stand, was am Wahlabend 2007 nicht öffentlich bekannt war, auf der Kippe. Privates aus dem Leben eines Präsidenten, in Frankreich ist das heikle Ware, Diskretion wird bevorzugt. So musste Sarkozy vorsichtig sein, als er, um sein Image aufzupolieren, aus dem Nähkästchen plauderte:
"Ich habe darüber nie gesprochen, weil ich glaube, das ist Teil meines Privatlebens. Unter den Millionen Zuhörern heute Abend gibt es sicher viele, die erlebt haben, was ich erlebt habe. Die Seite ist umgeblättert, aber ich will fragen, wenn man so was durchlebt hat, will man das noch einmal erleben? Diese enorme Ehre, gewählt worden zu sein und meine Familie, die auseinanderbrach."
"Wahltaktik" ruft die Opposition umgehend. Und Francois Hollande, der Kandidat der Sozialisten und starke Herausforderer Sarkozys, meint, derart entblättern dürfe man sich als Staatspräsident nicht, auch nicht im Wahlkampf.
2007 zum Präsidenten gewählt, tritt zu Beginn seiner Amtszeit der Privatmann Sarkozy in den Vordergrund: Zunächst die Trennung von Cecilia, dann die stürmische Verbindung mit der italienisch-französischen Schlagersängerin Carla Bruni, gemeinsame Reisen im Blitzlicht der Kameras, wenig später das Medienspektakel um die Hochzeit, Urlaub auf der Luxusjacht eines Freundes. Sarkozy habe das Amt beschädigt, lautet die Kritik. Mitterrand, Chirac, sie alle hätten Schwächen gehabt, auch Frauengeschichten, aber Sarkozy sei zu weit gegangen. Niemand nehme den Mann mehr ernst, dessen Porträt in jedem Rathaus hänge, sagt nahezu jeder, den man in Paris um eine Meinung zu Sarkozy bittet. Mit Ausnahmen:
"Das ist doch eher sympathisch."
Der Philosoph André Glucksmann findet die Charakterschwächen des Präsidenten menschlich und bürstet damit gegen den Strich der veröffentlichten Meinung. 2007 hatte er Sarkozy im Wahlkampf unterstützt, von seiner Politik ist er enttäuscht, dennoch: Glucksmann nimmt den Menschen Sarkozy bis heute in Schutz.
"Er ist nicht konform mit der großen Idee, dass das französische Weltklasse ist, und dass an der Spitze Frankreichs der weltbeste Franzose stehen muss. Nein, er verkörpert diese Zerbrechlichkeit der Dinge. Das heißt nicht, dass er immer recht hat, weit entfernt!"
Nicolas Sarkozy - Sohn ungarischer Einwanderer, Wirtschaftsanwalt, Bürgermeister des noblen Pariser Vorortes Neuilly, Innenminister, Staatspräsident, einer, der sich hochgearbeitet hat, ein Vollblutpolitiker. Als Präsident wird er im ersten Teil seiner Amtszeit zum Fall für die Karikaturristen: In Europa spricht man über seine erhöhten Absätze, über seine Art, das Gesicht zu einem Grinsen zu verziehen, bei noch so ernsthaften Fragestellungen. Sarkozy habe sich zuweilen nicht im Griff, sagen nicht nur die politischen Gegner.
Kaum im Amt beschimpft er auf der Landwirtschaftsmesse einen Mann mit Vokabeln aus der Gosse, weil dieser ihm den Händedruck verweigert. Weil ihm das bis heute vorgeworfen wird, beginnt Sarkozy seinen Wahlkampf 2012 mit Reue:
"Das hätte ich nicht sagen dürfen, da auf der Landwirtschaftsmesse","
räumt Sarkozy ein. Er habe erst in die Rolle des Präsidenten hineinwachsen müssen. Die Medien, viele seiner Wähler und natürlich die Opposition, nehmen Sarkozy nicht ab, dass er sich geändert habe.
Manche möchten auch gar nicht, dass er sich ändert. Sie sind mit der Bilanz ihres Präsidenten zufrieden.
Ein Markt an der Küste östlich von Marseille. Pascal verkauft hier bunte T-Shirts, Hemden, er gehört zu dem Drittel der französischen Wähler, das schon jetzt entschlossen ist, Sarkozy wieder zu wählen. Bei allen objektiven Problemen, die das Land hat:
""Ich bin dennoch für Präsident Sarkozy","
sagt Pascal, der lässig auf seinem Hocker zwischen den Kleiderständern kauert, die Kappe tief ins Gesicht gezogen, zum Schutz gegen die grelle Mittagssonne.
""Hier kommen keine Reichen hin. Das sind einfache Leute, die haben nichts mehr im Portemonnaie, selbst die Mittelklasse ist geschwächt."
Die Arbeitslosigkeit ist deutlich gestiegen, das Wachstum der französischen Wirtschaft stagniert, die Menschen klagen über zu teuren Wohnraum, die Kaufkraft schwindet, viele Wahlversprechen des Nicolas Sarkozy sind unerfüllt geblieben.
"Sicher, es muss sich etwas ändern, die Menschen brauchen einen Wechsel, aber sie wollen nicht extrem wählen, das macht ihnen Angst. Aber als Händler kann ich auch nicht die Sozialisten wählen oder noch weiter links. Ich bin einer, der viel arbeitet, um mein Auskommen zu haben. Leider arbeitet man heute viel, um wenig zu verdienen."
Wenn die Bilanz so schlecht ist, warum also will er Sarkozy wieder wählen?
"Es ist richtig, was er zu Schengen gesagt hat. Wir leben doch in Europa, um es gut zu haben. Jetzt rede ich ein bisschen wie Marine Le Pen. Wir können hier nicht die ganze Welt aufnehmen."
Sarkozy: "Wenn nach einem Jahr nichts geschehen ist, wird Frankreich den Schengen-Raum verlassen."
Einwanderung, Immigration. Mit diesem Thema punktet Sarkozy. Kaum, dass er in das Gewand des Kandidaten geschlüpft ist, greift der Präsident zentrale Wahlkampfthemen der politischen Konkurrenz auf: Die Sozialisten wollen den europäischen Fiskalpakt nachbehandeln, versprechen ein anderes Europa. Sarkozy stellt den Vertrag von Schengen infrage und stellt Brüssel ein Ultimatum. Der rechte und radikale Front National klagt, Frankreich ächze unter der Zuwanderung. Sarkozy verspricht, die Asylantenzahlen zu halbieren. Der linke Front de Gauche wettert gegen Globalisierung und Arbeitsplatzabwanderung. Sarkozy fordert Vorfahrt für europäische Waren und sagt besseren Schutz für französische Unternehmen zu.
Sarkozy: "Mein ganzes Leben war ich ein überzeugter Europäer."
Europa à la francaise, bevor die anderen damit punkten können. So setzt Sarkozy europapolitische Akzente in seinem Wahlkampf. Ein Zufall ist das nicht.
Im Hafen geht es auf Mittag. Die Netze sind eingeholt, die Fischer verabreden sich zum Essen in den Kneipen rund herum. Auch dieser hier hat es eilig, nur eines will er loswerden. Wenn es Probleme gebe in Frankreich, dann wegen Europa.
Die da in Paris sind doch unter sich, in ihrem Mikrokosmos, fällt eine gut gekleidet Frau dem Fischer ins Wort. "Wir existieren doch für die in Paris gar nicht."
Hier, unweit der italienischen Grenze, war der Druck der Einwanderung besonders zu spüren, als der arabische Frühling die Flüchtlinge auf das europäische Festland spülte. Aber auch weiter im Westen, im Hafen von Marseille, dem Tor zu Afrika, ist die Stimmung schlecht. Finanzkrise, Arbeitslosigkeit, alles dreht sich darum. Nicolas Sarkozys Versprechen zu Europa, zur Einwanderung, zur Wirtschaftspolitik – der Imbissbesitzer ist nicht überzeugt, dass die Rechnung aufgeht:
"Nicolas Sarkozy ist seit zehn Jahren an der Macht. Jetzt, wo er wiedergewählt werden will, sagt er, ich mache dies, ich mache jenes. Wo war er denn in den letzten zehn Jahren, erst als Innenminister und dann als Präsident?"
Die Leute hier haben die Nase voll, sagt er, das Fleischmesser in der Hand. Die Mieten steigen, die Löhne stagnieren, die Jugend hat keine Perspektive.
Gleich nebenan die Stammkneipe von Olympique Marseille. An der Theke geht die Rotweinflasche rum, die Stimmung ist deshalb nicht besser:
"Jetzt spüren die auch in Nordfrankreich, was wir hier schon seit 30 Jahren spüren, seit unserem Hafen, der Lunge dieser Region, die Luft ausgeht."
Am Tresen gibt es nur einen, der Nicolas Sarkozy unterstützen will und das offen zugibt. Andere sprechen entweder vom "Wechsel", dem zentralen Schlagwort im Wahlkampf der Sozialisten, viele deuten an, dass sie rechts außen, beim Front National, ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel machen werden. Der Süden tickt anders als der Norden.
In einer Kleinstadt nördlich von Paris strömen Tausende in die Turnhalle eines Gymnasiums, Ältere, Paare, aber auch junge Leute. Nicolas Sarkozy ist der Redner an diesem Samstagnachmittag:
"Ich denke, er kann am besten auf die Herausforderungen von heute antworten, auf die Lage Frankreichs in dieser globalisierten Welt. Francois Hollande mag ja im Inneren einiges bewirken können, aber für die Rolle Frankreichs in der Welt ist Sarkozy der Bessere."
Francois Hollande, alles Gerede, sagt eine Frau, der Spitzenkandidat der Sozialisten habe doch keine Erfahrung auf der internationalen Bühne, sei nur Regionalpräsident in der Corrèze gewesen. Es brauche einen, der das Land führen könne. Sarkozy kommt durch den Seiteneingang. Junge Frauen und Männer säumen seinen Weg. Alle tragen Fan-T-Shirts. Zwei Mädchen, deren Familien aus dem Senegal eingewandert sind, jubeln dem Präsidenten zu, schießen Fotos mit dem Handy. "Die schicken wir in den Senegal", rufen sie. Ein Samstagnachmittag im Departement Hauts-de-Seine.
Eine halbe Stunde lang wird Nicolas Sarkozy reden. Kraftvolle Worte fallen, die Anschläge von Toulouse und Montauban mit sieben Opfern liegen erst wenige Tage zurück. Sarkozy tummelt sich auf seinem Lieblingsfeld, der inneren Sicherheit. Seine Rede handelt von Frankreich, von den Werten der Republik, vom Stolz eines Landes, das sich vom Terrorismus nicht in die Knie zwingen lasse. Und wieder geht es um Europa, das unter ihm, Sarkozy, ein neues Gesicht, neue Einwanderungsregeln bekomme. Alle "Macht den Regierungschefs" ist seine Devise. Die Halle tobt. Das Publikum ist auf Sarkozys Seite und singt aus voller Brust zum Abschied die Hymne.
Nicolas Sarkozy wird vor allem für eines bewundert: für seine Energie. Er sei schon als Junge, als Jugendlicher, so gewesen. Er sehe das als Geschenk, sagt er selbst. Viel Sport, vor allem: kein Alkohol. Mancher Winzer im Weinland Frankreich beklagt die strenge Abstinenz des Präsidenten. In seinem beruflichen Umfeld heißt es, er sei stets exzellent vorbereitet, stecke tief in den Themen, arbeite unermüdlich. Unermüdlich auch sein Taten- und Ideendrang. Das Rezept seines Wahlsieges 2007.
Eine exzellente Kampagne sei das damals gewesen, sagt Vincent Giret, Journalist beim links-liberalen Blatt "Libération". Sarkozy habe die Themen, den Rhythmus vorgegeben. Mit einem Feuerwerk an Ideen wurde die Opposition damals unter Druck gesetzt. 2012 läuft es ähnlich ab: Sarkozy bestimmt das Tempo. Lange als der sichere Verlierer gehandelt, steigen die Umfragekurven für den Amtsinhaber. "Sarkozy der Mann, der nicht aufgibt", titeln einige Zeitungen. In jeder Woche, in jeder Situation, reagiert der Wahlkämpfer Sarkozy sofort. Ein Ideenreichtum, der für politische Gegner wie für politische Freunde schwer zu fassen ist.
Merkel: "Er hat mich schon im Wahlkampf unterstützt. Und insofern ist es ganz natürlich, dass ich auch ihn im Wahlkampf unterstützen würde."
Angela Merkel hat viel Zeit mit Nicolas Sarkozy verbracht. Die Finanzkrise hat das "couple franco-allemand", das deutsch-französische Paar, zusammengeschweißt. Beidseits des Rheins wird halb bewundernd, halb spöttisch von "Merkozy" gesprochen. Bis dahin war es ein weiter Weg. Auch die deutsche Diplomatie wurde von der Sprunghaftigkeit, von der Spontanität des französischen Staatspräsidenten zuweilen auf dem falschen Fuß erwischt.
"Die ersten zwei bis drei Jahre waren sehr schwierig",
sagt Hans Stark vom Internationalen Forschungsinstitut IFRI in Paris:
"Sind dann auch in einigen Punkten schwer zusammengestoßen. Stichwort: Mittelmeerunion im Jahre 2007 und 2008. Stichwort: Finanzkrise, die ursprüngliche aus den USA, wo auch beide Länder völlig unterschiedliche Positionen gehabt haben. Also, das waren schwierige Jahre."
Merkel rede, er handele. Auch solche Sätze lässt der französische Staatspräsident zu Beginn der Finanzkrise fallen, um dann im letzten Drittel seines Mandats auf die Spur des Deutschland-Fans abzubiegen.
Sarkozy: "Ich nehme mir das Beispiel Deutschland zum Vorbild. Warum? Weil Deutschland unser Partner ist, auch Konkurrent, ja, aber Partner zuerst. Die Reformen dort hat ein SPD-Minister gemacht, ein Mann von großen Qualitäten: Herr Schröder."
Keine Rede, kein Vortrag in dem nicht Deutschland als Vorbild herhalten muss für Reformen, die Sarkozy Frankreich verordnen will. Das Renteneintrittsalter hat er bereits anheben lassen, gegen alle Widerstände. Die 35-Stunden-Woche hat er teilweise ausgehebelt, die Haushaltssanierung hat begonnen, wenn auch reichlich zaghaft. Um Frankreich wettbewerbsfähig zu machen, müssten mehr schmerzhafte Reformen sein, sagt Sarkozy. Gerhard Schröder und Hartz IV seien das Vorbild. Politischer Selbstmord? Hans Stark vom Forschungsinstitut IFRI sagt: Sollte Sarkozy scheitern, dann nicht aus inhaltlichen Gründen.
"Und diese Gründe sind vielfältig und hängen mit dem Stil der Präsidentschaft Sarkozy zusammen, mit nicht gehaltenen Wahlversprechen, mit der mangelnden Popularität des Mannes Sarkozy."
Die Umfragen sehen den Kandidaten Sarkozy für den zweiten Wahlgang am 6. Mai nach wie vor hinten, den Sozialisten, Francois Hollande, vorne, auch, weil die Abneigung gegen den Amtsinhaber so groß ist. Entscheiden also am Ende die Sympathiewerte? Wird Nicolas Sarkozy als der Präsident in die Geschichte Frankreichs eingehen, der an seinem Charakter gescheitert ist und nicht als der, der Frankreich zurück in die Strukturen der NATO führte, der frühzeitig im Georgien-Krieg vermittelte, der sich für seinen Libyen-Einsatz feiern ließ, der Frankreich, wie es auf höchster Ebene in Brüssel anerkennend heißt, mit viel Elan durch die Finanzkrise gesteuert hat? Nicolas Sarkozy wäre nicht Nicolas Sarkozy würde er nicht an seinen Wahlsieg glauben. Mit dem Gedanken an Niederlage und an die Zeit danach, kokettiert er allenfalls:
"Ich würde etwas Anderes machen. Was, weiß ich noch nicht. Glauben Sie wirklich, wenn mir die Franzosen das Vertrauen nicht aussprechen, dass ich Politiker bleibe?"