Zurheide: Wie entsteht denn eigentlich Stau? Natürlich, auf der einen Seite müssen viele Autos zusammenkommen, aber das alleine reicht nicht, dann gibt es auch noch Verhalten, was das begünstigt, beispielsweise Kleinigkeiten, oder?
Schreckenberg: Wir haben in 80 Prozent der Fälle Stau einfach durch Überlastung, da reichen ganz kleine Anlässe, das heißt, einer bremst mal ein wenig und dann kommt es zum Stau, der sich dann mit 15 Stundenkilometer nach hinten bewegt, eine dichte Welle, die löst sich erst dann wieder auf, wenn der Zufluss von hinten gekappt wird, das heißt, wenn einfach weniger unterwegs sind. Es sind nur 20 Prozent durch Baustelle oder Unfälle verursacht, aber insgesamt, wenn zu viele Menschen zur gleichen Zeit, die gleiche Strecke benutzen wollen, dann gibt es einfach Stau, das ist beim Menschen so, und bei uns steht der Stau. In der Natur gibt es auch sich bewegende Staus, aber beim Menschen stehen Staus immer, und diese Wellen sind sehr stabil, die können über Stunden anhalten.
Zurheide: Jetzt wollen wir mal fragen, was man dagegen tun kann. Beginnen wir zunächst mal mit der Hardware, also mehr Straßen, das ist die Antwort, die die Menschen geben. Auf der anderen Seite gibt es dann wieder kluge Wissenschaftler, die sagen, nun Straßen ziehen Verkehr an. Was ist richtig?
Schreckenberg: Es ist eigentlich beides richtig. Wir können uns es nicht leisten, die Infrastruktur noch deutlich auszubauen, zum einen und zum anderen ist es natürlich so, wenn ich das Angebot erweitere, dann entstehen sogar ganze Wohngebiete, um diese Strecke dann richtig auszunutzen. Aber wir müssen hinkommen, dass wir die Straße intelligenter nutzen, das heißt, wir teilen uns doch die Straßen alle zusammen, das heißt, wir müssen uns mehr abstimmen. Verkehr ist heute wie er abläuft unkooperativ, das heißt, wir stimmen uns nicht ab, wir fragen nicht die anderen und wir erzählen auch niemandem, wenn wir losfahren. Man könnte sich das toll vorstellen, gerade in der Urlaubszeit, dass man bekannt gibt, wann man losfährt. Wenn das genug Leute tun würden, dann wüssten wir im Vorhinein, was passiert, man könnte sie warnen und könnte ihnen sagen, fahr zwei Stunden später. Das passiert heute leider nicht, über das Internet wäre das durchaus möglich und denkbar, aber leider, wie gesagt, wir sind auch im Verhalten auf der Straße nicht sehr kooperativ, was den Verkehrsfluss zusätzlich blockiert. Es heißt, es entstehen viele Staus, die eigentlich gar nicht notwendig gewesen wären - ich würde mal so sagen, zehn bis 20 Prozent. Aber insgesamt, wie gesagt, wir tun das, was wir für richtig halten und stimmen uns dann mit niemandem ab.
Zurheide: Wenn man das im Vorhinein nicht tun kann, dann können wir doch vielleicht fragen, was ist denn schon passiert, und dass wir uns mindestens eine Marktübersicht verschaffen, also über intelligente Systeme, die uns das dann vielleicht aufs Navigationssystem diese Informationen liefern, wenn wir denn so was haben. Ist das ein realistischer Ausblick?
Schreckenberg: Erstmal ist es so, dass die Menschen dieses auch wieder ganz schnell vergessen, das heißt, in einem Jahr, wenn die nächste Urlaubswelle rollt, haben wir eigentlich das letzte Jahr vergessen. Das ist genau wie im Winter, wenn der erste Schnee, das erste Eis droht, dann haben die Menschen vollkommen vergessen, dass sie im letzten Jahr auch gerutscht sind, keine Winterreifen drauf hatten. Also, das heilt sehr schnell wieder, zusätzlich kommt hinzu, dass die Qualität der Informationen, die es heute in vielen Fällen gibt, und der Prognosen halt einfach viel zu schlecht ist, als dass ich mich danach richten würde, das heißt, es ist wieder dieser konservative Typ des Autofahrers gefragt, der sagt, okay, das System sagt mir zwar dies, aber ich bin cleverer, ich weiß ja, dass die Leute gar nicht losfahren. In der Tat, Prognosen haben halt die Eigenschaft, sich sehr schnell zerstören zu können, denn wenn ich sie einmal übermittelt habe, dann werden die Menschen vielleicht etwas ganz anderes tun und dann trifft die gar nicht zu, die Prognose, der Stau entsteht gar nicht. Aber dann gibt es kluge Fahrer, die sagen, okay, die glauben das alle, aber ich bin cleverer, ich fahr jetzt genau da hin, wo der Stau prognostiziert ist. Und das kann man jetzt in paar Iterationen durchführen, und irgendwann fahren die Menschen einfach los, das ist dann einfach nicht mehr kalkulierbar.
Zurheide: Das heißt, Sie sagen, es gibt eigentlich kaum eine Lösung, wir werden mit dem Stau leben müssen, so wie wir mit dem Auto leben?
Schreckenberg: Es ist ein unheimlich interessantes, wissenschaftliches Phänomen, irgendwie stabilisiert sich das Ganze schon, aber es gibt natürlich eine Möglichkeit, wir nennen es gezielte Desinformation. Das ist jetzt nicht, dass man die Leute falsch informiert, sondern das man die Information so gestaltet und individuell ausrichtet, dass sich diese Prognose stabilisiert und dann auch tatsächlich eintrifft. Das haben wir noch lange nicht gelöst, dieses Problem, dafür sind auch diese riesen Ereignisse zu selten, ich kann auch keine Experimente machen, wir simulieren das am Computer und sind da eigentlich ganz guter Dinge, in den nächsten Jahren eine Lösung für zu finden.
Zurheide: Darauf werden wir warten, solange stehen wir im Stau. Vielen Dank an Michael Schreckenberg für das Gespräch.
