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"Phantasma und Politik"

"Phantasma und Politik" heißt eine Gesprächsreihe im Berliner Theater Hebbel-am-Ufer, die anhand von Fallbeispielen die Renaissance des Politischen auf der Bühne zum Thema macht. Diskutiert wurde unter anderem über die Andcompany-Produktion "Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller".

Von Oliver Kranz | 28.02.2013
    Das Prinzip, nach dem die meisten Produktionen der Andcompany funktionieren, ist einfach:

    Man nehme verschiedene Zitate und schüttle sie kräftig durcheinander – Bilder, Texte, Musik, Requisiten – gerade wenn nichts zusammen passt, können sehr witzige und zugleich anregende Collagen entstehen, theatrale Cocktails, die neue Gedanken provozieren. Doch im Stück "Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller" bleibt der Knall der Erkenntnis aus. Die einzelnen Zutaten brodeln auf kleiner Flamme und wollen nicht miteinander reagieren. Es fehlt einfach die Energie. Obwohl es ums Thema Aufstand geht, wird das Publikum sehr sanft angesprochen:

    "Habt keine Angst – Don't fear! – We're only actors – Schauspieler - And this is a rehearsal. – Wir proben hier."

    Geprobt wird der Aufstand – im mehrfachen Sinn des Wortes. Die Schauspieler tragen Renaissance-Halskrausen und abgerissene, graue Mäntel. Sie spielen die als Bettler verkleideten holländischen Freiheitskämpfer, die 1568 gegen die Spanier rebellierten. Kurz danach sind die Schauspieler sind Occupy-Aktivisten, die das Theater besetzen…

    "Wir haben die Bühne besetzt - und auch die Rollen - und ihr - den Zuschauerraum."

    Das Publikum soll aufstehen, mitsprechen, mitklatschen – was bei der letzten Vorstellung in Berlin nur teilweise gelang. Viele Leute hatten keine Lust, sich von den Akteuren vereinnahmen zu lassen – zumal der gedankliche Bogen der Produktion durchaus fragwürdig ist. Alexander Karschnia, der zum Regieteam der Andcompany gehört, erklärt den Hintergrund:

    "Wir schlagen den Bogen vom Beginn des Kapitalismus bis zu seinem Niedergang. Denn der Sieg der Niederländer gegen das spanische Weltreich war auch ein Triumph des Kapitalismus. Der Geist des Kapitalismus kommt genau daher, das ist der niederländische Kapitän, der für Profit durch die Hölle fahren würde."

    Das Problem der Produktion ist, dass gerade dieser Zusammenhang auf der Bühne nicht deutlich wird. Es werden Zitate aneinander gereiht und Spiele mit dem Publikum gespielt. Das wirkt unterhaltsam, aber auch sehr beliebig. Warum hat sich der Kunstwissenschaftler Helmut Draxler ausgerechnet dieses Stück als Ausgangspunkt einer Diskussion über Politik im Theater gewählt?

    "Es war für mich bei der Aufführung spannend zu beobachten, wie im Stück der Andcompany mit dem Verhältnis zwischen Ambivalenz und Eindeutigkeit gearbeitet wird. Aber auch Differenz zwischen den unterschiedlichen sozialen Aussagepositionen, zwischen Kunst und Politszene etwa … oder im globalen Rahmen hinsichtlich der unterschiedlichen Zugangsbedingungen zu den westlichen Kulturproduktionen generell."

    Man merkt schon am Vokabular, dass es in der Diskussion, weniger um einfache Schlussfolgerungen, als um hochgestochene Diskurse ging. Ein paar Randbemerkungen waren dennoch brauchbar. Der Theaterwissenschaftler Hans Thies Lehmann grenzte Kunst und Politik klar voneinander ab:

    "Das Moment von Unernst und Spiel trennt auf immer die Kunst von der Seriosität und der Gefahr des politischen Handelns."

    Was aber nicht bedeutet, dass Kunst generell unpolitisch ist. Hans-Thies Lehmann ist sich bewusst, dass Künstler politische Prozesse auslösen können und verweist auf Aktionen, wie die der Punkband Pussy Riot, die die Repressionsmechanismen des russischen Staates klar vor Augen führte. Die Produktion "Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller", entstand in Holland gerade zu der Zeit, als die Regierung drastische Kürzungen der Kulturetats verkündete. Die Akteure der Andcompany nahmen in ihren Bettlerkostümen an einer Demonstration teil, bei der die Rücknahme dieses Beschlusses gefordert wurde.

    "Wir haben die Aufmerksamkeit des kleinen anarchistischen Blocks und der Polizei auf uns gezogen. Wir waren die einzigen Vertreter wirklich der Künstler und hatten dann angefangen zu skandieren: Opstand! Opstand! Und dieser Slogan veränderte sich dann von selbst in "Opstand Leven", was auf Holländisch heißt: "standesgemäß leben". Also ein Aufstand für das gute Leben, das könnte das sein, worum es im weitesten Sinn geht."

    Doch das ist in der Produktion "Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller" - wie gesagt - kaum zu sehen. Politisches Theater, das als solches nicht erkennbar ist, kann wenig bewirken – auch wenn es eine gewaltige intellektuelle Basis hat. Darüber wurde gestern im Hebbel-am-Ufer nicht gesprochen. "Phantasma und Politik" ist eine Gesprächsreihe, die den theoretischen Diskurs weiter treiben will – an praktischer Theaterarbeit ist sie wenig interessiert.