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Phantomkanäle

Im Sommer und Herbst des Jahres 1877 leuchtete Mars wie ein rötlicher Strahler. In einem Abstand von nur 55 Millionen Kilometern zog der Planet an der Erde vorbei – seine größte Nähe überhaupt. Deshalb erschien er besonders groß und hell. Der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli nutzte die Gelegenheit, um die Marsoberfläche aufzuzeichnen. Seine Beobachtungen sollten zu einem der größten Missverständnisse in der Geschichte der Astronomie führen.

Damond Benningfield |
    Zuvor hatten bereits andere Astronomen die Hauptmerkmale des Mars aufgezeichnet. Durch die Nähe des Planeten und die inzwischen verbesserten Teleskope hatte Schiaparelli günstigere Bedingungen. Obwohl er farbenblind war, hatte er keine Schwierigkeiten Einzelheiten genau zu erkennen. In dieser Woche vor 125 Jahren begann er, seine Marskarten zu zeichnen.

    Auf den Karten zeigt Schiaparelli ein Netz von schmalen, dunklen Formationen, die er als Kanäle bezeichnete. Dabei ging er von natürlich entstandenen Kanälen aus. In den USA interpretierte man sie jedoch als ein künstliches Kanalsystem, das von einer Zivilisation auf dem Mars geschaffen wäre.

    In den darauf folgenden Jahren studierten viele Astronomen die geheimnisvollen Linien auf Mars. Der bekannteste war Percival Lowell. Er vermutete, dass man die Kanäle baue, um Wasser von den Polarkappen in die Wüsten des Planeten zu leiten. Kollegen stimmten dieser Möglichkeit nicht zu. Es entstand eine heiße Debatte, die bis in die fünfziger Jahre andauerte.

    Heute wissen wir, dass es keine Marskanäle gibt – und keine Zivilisation. Doch ging die Karte von Schiaparelli in die Geschichte ein, als eine der besten Marskarten, die vor Beginn des Raumfahrtzeitalters erstellt wurde.