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Philip K. Dick und seine Visionen - ein Radiofeature

Der Planet, auf dem er lebte, sah jeden Tag zwei Morgen. Zuerst ging CY30 auf, und dann zeigte sich blaß sein kleiner Zwilling, als hätte Gott sich nicht entscheiden können, welcher Sonne er den Vorzug geben solle, und schließlich beide zugelassen. Die Kuppelbewohner verglichen das gerne mit den zwei Phasen des Aufleuchtens einer altmodischen Neonröhre.

    Mit diesen Sätzen beginnt einer der Schlüsseltexte im Werk eines der berühmtesten und zugleich im Bewußtsein der zumindest deutschen Leser am wenigsten bekannten Visionäre der US-amerikanischen Science-Fiction-Literatur des letzten Jahrhunderts.

    Leo McVane trank am Tisch seiner Kuppel Kunstkaffee und las die Zeitung. Er fühlte sich angstfrei, und er hatte es warm, weil er längst illegal den Thermostat seiner Kuppel umfunkioniert hatte. Er fühlte sich außerdem sicher, weil er eine zusätzliche Metallklammer an der Luke der Kuppel angebracht hatte. Und er war erwartungsvoll, weil heute der Essenmann vorbeikommen sollte, er würde also jemanden zum Reden haben. Es war ein guter Tag.

    Philip K. Dick wurde am 16. Dezember 1928 geboren und starb am 2. März 1982. Der LSD-Guru Timothy Leary, den ganz sicher Dicks oft durchweg paranoide Visionszustände faszinierten, zumal der Mann in Drogengeschäfte verstrickt war, nannte ihn gar "einen der großen Schriftsteller des 21. Jahrhunderts", was sich zunehmend zu verwirklichen beginnt: Wenigstens seine höchst pessimistischen und zugleich fantastischen Entwürfe neuer Lebensformen gewinnen immer mehr an Virulenz: Von "The Blade Runner" über "Total Recall" bis zu der jüngsten, von Spielberg inszenierten Verfilmung "Minority Report" greift Hollywood - wenigstens im Science-Fiction-Genre - gern auf Ideen und Konzepte Philip R. Dicks zurück, so unglücklich und - etwa im Fall von "Minority Report" - verfälschend das Ergebnis immer auch sein mag. Denn eines sind die Stories und Romane Dicks nun tatsächlich nicht: sentimental oder gar kitschig. Gerade das Spätwerk, aus dem eingangs zitiert wurde, ist von einer sperrigen depressiven Grundhaltung, die sämtlichen harmonisierenden Tendenzen Hollywoods diametral entgegengesetzt ist. So daß man sich wünschte, es fände sich - wie im Fall des nicht ganz unähnlich gelagerten Stanislav Lem - ein Tarkowski oder auch Fassbinder, sich dieser Sujets künstlerisch interpretierend anzunehmen. Tatsächlich ist David Cronenberg eine Zeit lang für "Total Recall" im Gespräch gewesen.

    Eines Nachts erwachte ich vom Geräusch eines zischenden Reptils. Ich setze mich auf und sah Phil da liegen, der im Schlaf zischte. Aus Furcht, ihn zu berühren, rief ich seinen Namen. Ich hatte Angst und fürchtete mich mit jeder verstrichenen Sekunde mehr. Ich begriff, daß es nicht Phil war, der da zischte, sondern eine geistlose Bestie, die seinen Körper übernommen hatte. Ich rief weiter seinen Namen, immer drängender. Endlich hörte er auf zu zischen. Er weinte ein wenig und begann auf lateinisch zu beten: "Libera me, Domine". Das war etwas, das er aus einer Oper gelernt hatte.

    Philip K. Dick gehört zu jenen Autoren, deren Einfluß, etwa wie derjenige William Gibsons, nicht nur auf die Science-Fiction-Literatur, sondern auch auf ganz andere Autoren, vor allem aber auch die wissenschaftliche Theorembildung ganz enorm ist, die aber dennoch eine wirkliche Akzeptanz als Kunst niemals gefunden haben, vor allem nicht in Europa, wo nach wie vor eine Ghettoisierung der Genres vorgenommen wird: Science-Fiction-Autoren gelten durchweg als misfits; meines Wissens ist es allein Stanislav Lem gelungen, das zu durchbrechen. Dabei ist gerade Philip Dicks Spätwerk alles andere als leicht zu verdauen: Die riesige Valis-Trilogie etwa ist seitenweise mit an die interpretativen und spekulierenden Eiertänze der Scholastik oder kabbalistischen Exegesen erinnernden, so mühsamen wie verzwickten Gottesbeweisen und ihrer Herleitung angefüllt, mit bisweilen nicht nachvollziehbaren Besessenheiten eines Heiligen Irren.

    Zwei Sphären existieren, die obere und die untere. Die untere, die dem Hyperuniversum I oder Yang entspricht, die Form I des Parmenides, ist mit Gefühl und Willen ausgestattet. Die untere Sphäre oder Yin, Form II des Parmenides, ist mechanisch, von Blindheit und Eifer bestimmt, deterministisch und ohne Intelligenz, weil sie ihren Ursprung in einer toten Quelle hat. In alten Zeiten nannte man sie den "astralen Determinismus". Wir sind im großen und ganzen in der unteren Sphäre gefangen, sind aber - durch die Sakramente, durch das Plasmat - gleichzeitig davon befreit. Solange der astrale Determinismus nicht durchbrochen wird, können wir ihn nicht einmal wahrnehmen.

    Daß ausgerechnet der nun nicht eben für hochspekulative Literatur bekannte Heyne-Verlag es wagt, neben Philip K. Dicks "Rennern" "Blade Runner", den Erzählungen und dem Roman "Das Orakel vom Berge", der eine Welt erzählt, in welcher Hitler den Krieg gewonnen hat, diesen anspruchsvollen Text herauszubringen, ist wirklich eine Würdigung wert. Freilich läßt auch die Neuausgabe sprachliche Schludrigkeiten mehr als zu, man hat den Eindruck, es komme so recht auf gute Formulierungen nicht an. Selbst in den Wagner-Zitaten wird lässig verfahren, obgleich doch der Griff zu den Libretti das Einfachste von der Welt wäre. Man hätte daraus ja nur zitieren müssen Wenn es bei Wagner heißt: "Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit", macht der Übersetzer Thomas Ziegler "Du siehst, mein Sohn, hier verwandelt sich Zeit in Raum." Und Alexander Martin, der die Übersetzung neu durchgesehen und ergänzt haben soll, findet so etwas ganz in Ordnung, oder er hat das nicht gemerkt. Seltsam bei einer Formulierung, die bereits bei ihrer Erfindung Zitat war. Dennoch, der Mut, etwas wie die Valis-Trilogie herauszubringen, bleibt gerade für einen Trivialverlag zu rühmen: Denn in diesen drei Romanen, deren Grundhandlung eigentlich nichts anderes ist als eine in die Zukunft projizierte, transkonfessionell-synkretistische Nacherzählung der christlichen Heilsgeschichte, entwickelt sich aus dem zunehmend wahnhaften System eine der wirklich ganzgroßen Visionen Dicks: Jedes Geschöpf und jedes Ding, das im Kosmos existiert, sei in Wahrheit nicht materiell, sondern nichts anderes als eine Information.

    Das Universum existiert, weil Jah sich an das Universum erinnert.

    Also, weil es sprachlich ist: informativ. Wie modern diese Vorstellung ist und wie analog zu den neuesten astrophysikalischen, quanten-, aber auch insgesamt erkenntnistheoretischen Thesen, liegt auf der Hand. Daß andererseits ein, wenigstens sprachlich gesehen, Unterhaltungsschriftsteller sich in solche Gefilde wagt, macht es nicht nur verständlich, sondern fast notwendig, daß er seinen Text selbst ins Wahnhafte verstrickt und verknotet und das Werk auf eine sehr komische Weise inkommensurabel wird, nämlich nicht sprachlich - kein Satz ist wirklich schwer zu lesen -, sondern rein über die Handlung.

    Die dreiäugigen Wesen, die Fat gesehen hatte, stellten sich ihm als erleuchtete Formen seines sich fortentwickelnden Ichs während verschiedener Leben dar. Im Buddhismus wird das dritte Auge das "übermenschliche göttliche Auge" (dibba-cakkhu) genannt - die Macht, das Vergehen und die Wiedergeburt von Menschen zu beobachten. Gautama, der Buddha (Siddharta), erhielt diese Fähigkeit während seiner mittleren Wache (zweiundzwanzig Uhr bis zwei Uhr). Während seiner ersten Wache (achtzehn Uhr bis zweiundzwanzig Uhr) bekam er Kenntnis von allen - ich wiederhole: allen - seinen früheren Erkenntnissen (pubbeni-vasanussati-nana). Ich sagte Fat nichts davon, aber technisch gesehen war er ein Buddha geworden.

    Es ist höchst interessant, wie in diesem Buch frühe kybernetische Spekulationen, die so weit vorausreichen, daß sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts tatsächlich realisierte Gegenwart erhalten, mit dem Zeitgeist der 50er, 60er und frühen 70er Jahre zusammengehen. Die Hippie-Bewegung, die esoterischen Drogenerfahrungen, die sowohl in Huxley's "The Doors of Perception" als auch im Schwarzen Fleisch William Burroughs zu Literatur wurden, die über die US-amerikanische Westküste eingeleitete Virtualisierung von Welt, all das findet seinen Niederschlag in den Texten Philip K. Dicks. Darin gleicht dieser Autor Thomas Pynchon, wenn auch nicht im ästhetischen Niveau der sprachlichen Möglichkeiten, die bis zur Valis-Trilogie immer dem mainstream verhaftet bleiben, also den Pop literarisch nicht zu transzendieren verstehen und das wohl auch gar nicht wollen. Doch daß die Valis-Trilogie die Transformation materieller Alltagsrealität in visonäre Konzepte auf dem Weg sozusagen religiöser Offenbarung unternimmt, sie also als Heilsgeschichte erzählt, unterscheidet Dicks prinzipiell ja ganz ähnliche Vorstellung von der Welt als einer Computersimulation grundsätzlich etwa von dem aus Daniel Galoys Roman "Simulachron Drei" bekannten erkenntnistheoretischen, bzw. erkenntniskritischen Ansatz. Theologisch gesprochen, ist Dick deutlich gnostisch ausgerichtet, Galoye hingegen resoluter Agnostiker, vor allem in der in Deutschland bekanntgewordenen Filmversion Rainer Werner Fassbinders. Interessant nun, daß Dick im Spätwerk genau die Erlösung sucht, die all seine pessimistischen früheren Erzählungen auf das Kälteste verweigert haben. Er stemmt dem entropischen Prinzip den Willen, ganz zu werden, entgegen. Noch interessanter ist, daß die frühere negativistische Verweigerung, indem man einfach Motive aus den Stories nimmt, sie leicht umbaut und aufs Massenbedürfnis hin bis zum Kitsch ergänzt, sich nahtlos der Industriekultur und der Filmwirtschaft integrieren läßt, hingegen die Harmoniesuche offenbar als zu inkommensurabel empfunden wird, um sie im ökonomischen Interesse für die Massengesellschaft zuzubereiten. Noch Ridley Scott, in "The Blade Runner", sicherlich keinem besonders harmoniesüchtigen Film, gibt dem Publikum mit einer wenn auch nur kurzfristig Erfüllung findenden Liebesgeschichte Zucker, und zwar auch im "director's cut", wo es bei Philip Dick, nach einem Liebesakt, überaus beziehungsunfähig heißt:

    Dann schaltete er den Motor aus und zog sein Laserrohr. "In den Hinterhauptknochen, dicht am Genickansatz", sagte Rachael,

    ... die Androidin, die Roboterin, nämlich...

    "Bitte!" Sie wandte sich ab, um nicht ins Laserrohr sehen zu müssen. Der Strahl würde unbemerkt eindringen.- Rick steckte das Laserrohr weg. (...) "Wenn du's schon tun willst, dann tu's bitte jetzt gleich", sagte Rachael. "Laß mich nicht warten." - "Ich werde dich nicht töten." (...) Mehr hatte er ihr nicht zu sagen. Schweigend flog er weiter.

    Die so viele Texte, die erlösersuchende Valis-Trilogie freilich gar nicht mehr, durchziehende Gemütlosigkeit findet sich ähnlich bei James G. Ballard, etwa in seinem von Cronenberg verfilmten Roman "Crash", worin die Menschen erotisiert davon sind, sich, indem sie sich prothetisieren, zunehmend in Maschinen zu verwandeln und ihre innigsten Moment in und mit diesen, nämlich Autos, zu erleben: Wie bei Philip K. Dick erhält in diesen Büchern eine sich zunehmend maschinisierende, digitalisierende, entkörperlichende Welt ihren künstlerischen Reflex in der Pervertierung jeglicher uns vertrauten Anthropologie. Dick scheint das selber empfunden zu haben und geht deshalb so weit, eine seiner kältesten, hoffnungslosesten Erzählungen, aus der wir anfangs zitiert haben, in der Valis-Trilogie noch einmal aufzunehmen und tatsächlich umzuerzählen. Die unmenschliche Ausgangsposition - auf einem kleinen Kolonialplaneten leben, jeder in seiner Kuppel und ohne sonderliche menschliche Kommunikation, ein paar Siedler wie Monaden, deren einziges Fenster ein Empfänger für Radiosendungen ist - wird geradezu der Anlaß der neuen, sich abermals allegorieartig wiederholenden Heilsgeschichte: Denn Jahwe selbst, seit Jahrhunderten von der Erde vertrieben, lebt ebenfalls dort und findet nun in zwei der Kolonisten seine neue Maria und seinen neuen Joseph. Für Eingeweihte hat die Variation der Erscheinung Gottes im brennenden Dornbusch in Form einer plötzlich brennenden Armaturenanlage durchaus Witz, einen frechen Irrwitz sozusagen. Und daß Jahwe seine Maria, um das ungeborene Kind auf die Erde zu schmuggeln, tödlich erkranken lassen muß und das ziemlich mitleidslos auch tut, holt die theologische Spekulation, weshalb Gott auch das Böse geschaffen habe, rücksichtslos in die literarische Gegenwart zurück.

    Er ruhte eine Weile aus, obwohl der Ausdruck "eine Weile" keine Bedeutung mehr besaß. Dann, allmählich, erfolgte die Transformation. Es sah das Muster, die Matrix seines eigenen Gehirns. Er befand sich in einer Welt, die aus seinem Gehirn bestand, und hier und dort, wie kleine Flüsse aus leuchtendem Rot, strömte lebende Information hin und her.

    Lebende Information.

    Er konnte hinausgreifen und seine eigenen Gedanken in ihrem Urzustand berühren, bevor sie Gedanken wurden. Sie erfüllten die Umgebung mit ihrem Feuer, und der Raum dehnte sich, sein eigenes Gehirn, das sich nach außen gekehrt hatte.

    Immer wieder die Vorstellung, daß wir Menschen als Menschen Informationsträger seien, jeder Finger, jede Brustwarze, jedes Organ. Das ist nun genetisch sicher wahr, fast banal, kosmologisch aber alles andere als das, und nicht von ungefähr klingt hier Schiwas Tanz an, die Vorstellung des Klingenden Universums, die harmonia mundi... aber eben nicht, und das ist das Beeindruckende bei Dick, kitschig, sondern voller Grausamkeit, Verlorenheit und Absicht. In Dicks Konzeption bekommt Gott das Unheimliche, auch Quälende zurück, und der kleine Gesandte, den er geschickt hat, ist voller Verachtung für die Menschen. Nichts an dieser Vorstellung ist irgend erbauend, man wird, wie Dick in seinen nervenkranken Anfällen selbst, in zerstörerische, auch selbstzerstörerische Ambivalenzen geworfen und muß sich fragen, was denn eigentlich besser sei: Die kommunikations- und gemütslose Unverbundenheit von allem und jedem am Ende des entropischen Prozesses, der Wärmetod also, oder aber ein vermeintlicher Heils-Sieg solch eines Monstrums von Gott, dessen, human gesehen, Kälte ihresgleichen sucht.

    Vom Schmerz und vom Tod erfuhr Emmanuel durch einen häßlichen, sterbenden Hund. Er war überfahren worden und lag nun im Rinnstein, die Brust zermalmt, mit blutigem Schaum vor dem Maul. Als er sich zu ihm hinunterbeugte, sah ihn der Hund mit glasigen Augen an (...). Um den Hund verstehen zu können, legte er ihm die Hand auf den Stummelschwanz. "Wer hat diesen Tod für dich verlangt?" fragte er. "Was hast du getan?" - "Ich habe nichts getan", erwiderte der Hund. - "Aber das ist ein furchtbarer Tod." - "Dennoch bin ich nicht daran schuld." - "Hast du jemals getötet?" - "Oh, ja. Meine Fänge sind zum Töten da. Ich bin geschaffen, um kleine Kreaturen zu töten." - "Tötest du aus Hunger oder aus Vergnügen?" - "Ich töte aus Vergnügen", sagte der Hund. "Es ist ein Spiel - es ist mein Spiel." - "Ich wußte nichts von derartigen Spielen", gestand Emmanuel. "Warum töten Hunde, und warum sterben Hunde? Warum gibt es solche Spiele?" - "Derartige Spitzfindigkeiten bedeuten mir nichts. Ich töte, um zu töten, ich sterbe, weil ich sterben muß. Es ist notwendig - es ist das Gesetz, oberste Gesetz. Lebst, tötest und stirbst du nicht auch nach diesem Gesetz? Gewiß ist es so. Auch du bist eine Kreatur." - "Ich folge meinem eigenen Willen." "Du belügst dich selbst", widersprach der Hund. "Nur Gott folgt seinem eigenen Willen." - "Dann muß ich Gott sein." - "Wenn du Gott bist, dann heile mich." - "Aber du unterliegst dem Gesetz." - "Du bist nicht Gott." - "Gott hat das Gesetz erschaffen, Hund." - "Dann hast du es selbst gesagt - du hast dir deine eigene Frage beantwortet. Jetzt laß mich sterben.

    Philip K. Dick hat in seinem nicht mehr als 54 Jahre zählenden Leben 45 Romane und zahllose Erzählungen geschrieben; wer einen ersten Eindruck gewinnen möchte, ist sicher mit der bei Heyne im Rahmen der Sonderausgabe herausgekommenen, dickleibigen Erzählauswahl ausgesprochen gut bedient, - gerade deshalb, weil Stories ganz von Beginn bis zu solchen kurz vor dem Tod des Autors aufgenommen wurden und man deutlich verfolgen kann, wie sich Dicks Zugriff auf seine Sujets allmählich verändert. Bedienen die ersten Geschichten noch ganz ungebrochen das Genre, so schiebt sich allmählich der Wahn hinein, die Handlung wird gefühlskälter, abweisender, absurder auch, etwa wenn in "Zur Zeit der Perky Pat" die Erwachsenen mit Puppen spielen und ihre Ensembles gegen die anderer Koloniegebiete antreten lassen, aber die siegreiche Gruppe von den eigenen Mitbürgern ausgeschlossen wird, nur weil ein so gut wie nie gesagtes Sexualtabu angerührt wurde. Nämlich bringen die Puppen ein Kind mit zurück, und das schockiert die Bürger: Eine Verdrängungsleistung steht dahinter, die sich wohl nur aus der puritanischen Verfaßtheit der US-amerikanischen Gesellschaft erklären läßt. Schließlich versickern die Geschichten in Sozialitäten, die eigentlich gar nicht mehr kommunizieren wollen. Oder kommunzieren können. Parallel zu dieser Bewegung finden sich in den Romanen die Gotteserscheinungen, und selbstverständlich führen immer wieder Brücken und Variationen, bis hin in die Aufnahme von Protagonisten, von den Romanen in die Stories und umgekehrt. So daß sich insgesamt ein sich stilistisch fortentwickelnder Kosmos aus Zusammengehörigkeiten ergibt, aus Besetztheiten auch, Parallelwelten, möglichen Welten und kybernetisch-religiösen Spekulationen, der seine Faszination eigentlich nie aus der Schönheit von Formulierungen, höchst selten aus gelungenen Bildern, also kaum je aus bildnerischer Spachkraft bezieht, aber sehr wohl aus der gegenseitigen Durchdringung nur auf den ersten Blick psychiatrischer Visionen. Denn - soll man sagen: horribile dictu? - einige von ihnen sind unterdessen längst Wirklichkeit geworden oder doch in greifbare Nähe gerückt, es zu werden.

    Es ist doch so: Denken Sie daran, daß wir alle nur aus Staub gemacht sind. Das verspricht zugegebenermaßen wenig Aussicht auf Erfolg, und davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Aber selbst, wenn man bedenkt, daß zu Anfang einiges schiefgelaufen ist, halten wir uns eigentlich recht gut. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir es, trotz der miserablen Situation, in der wir uns momentan befinden, schaffen können. Noch Fragen?

    All das kommt als eine Spielart der phantastischen Literatur daher, sicherlich. Dennoch will es mir als eine neue und der Gegenwart höchst angemessene Form des Realismus' erscheinen. Realistisches Erzählen in einer Welt, zu deren konkreten, materialen wie psychischen Gestaltungsgründen nunmehr die Parallelwelten der Informationsgesellschaft hinzugetreten sind. Insofern ist die besonders deutsche Ablehnung des Genres insgesamt und speziell die Ignoranz gegenüber Autoren wie Philip K. Dick nichts anderes als - dumm. Oder, um es in einem bösen Paradox zu formulieren: Was gedacht werden kann, geschieht. Da hat es keinen Sinn, das nicht mehr und nicht weiter zu denken.