Schon das Ausstellungsplakat stimmt die Besucher auf den Wettkampf ein: Es zeigt zwei Männer vor hochalpiner Kulisse, die verbissen – aber auf Augenhöhe – miteinander ringen. Vermutlich eine Allegorie auf die Rivalität zwischen Bauknecht und Kirchner, meint Thorsten Sadowsky, Leiter des Kirchner-Museums Davos.
"Das kommt sicherlich, weil Kirchner, als er sich 1918 niedergelassen hat in Davos, hier als der große, deutsche Expressionist zu dem Zeitpunkt schon gegolten hat, der erfolgreich war in Berlin, der sich in die Bergwelt von Davos zurückgezogen hat. Und natürlich hat er lange Schatten geworfen."
Man kann sich den Unmut von Philipp Bauknecht ausmalen: Da zieht sich der junge Künstler nach schwerer Krankheit aus dem mondänen Kurort in die Davoser Bergwelt zurück und experimentiert recht eigenwillig mit dem, was ihn umgibt – der hochalpinen Berglandschaft, dem Alltag der Bauern auf dem Feld, ihren Bräuchen und Festen. Aber niemand nimmt so recht Notiz von seinen Bildern. Bis der berühmte Kirchner kommt und anfängt, ähnliche Motive zu malen, zu zeichnen oder in Holz zu schneiden.
"Bauknecht war zu dem Zeitpunkt kein Künstler, der besonders gut vernetzt gewesen wäre. Er war schlichtweg nicht erfolgreich. Das ändert sich dann mit den Ausstellungen in den 20er-Jahren, aber das ist es eben wirklich frappierend, dass er ganz eigenständig in einer abgeschiedenen Welt ein ganz eigenes Werk vorantreibt. Das ist etwas Besonderes."
Von idyllischen Landschaften zu schrillen Farbflächen
Faszinierend nachzuverfolgen ist, wie Bauknecht seine zunächst noch idyllischen, vom Jugendstil geprägten Landschaften immer weiter zu schrillen, lodernden Farbflächen auflöst. Da sitzt zum Beispiel ein missmutig wirkender Hirtenknabe auf einem Stein, und hinter ihm türmen sich violette und blaue Farbstriche zu Bergen auf. Plus sieben Mal dieselbe rote Kuh. Ein Zeichen von Humor? Eher nicht, meint Thorsten Sadowsky.
"Also es ist nicht bekannt, dass Bauknecht besonders humorvoll gewesen ist. Das ist eine Kategorie, die man bei Bauknecht nicht anwenden würde."
Schade. Also einfach ein formales Experiment mit dem Motiv Kuh. Trotzdem ein tolles Bild – und ein ziemlich eigenwilliges Bergpanaroma.
"Das Interessante dieser Darstellung ist, dass Bauknecht hier die Landschaftsdarstellung im höchsten Maße geometrisiert. Und erst, wenn man so will, in der Entwicklung zur Horizontlinie sich stärker organische Formen ausprägen. Aber das Interessante ist eben diese Tendenz zur Vereinfachung, zur rhythmischen Gestaltung der Landschaft. Das ist nach meinem Empfinden auch eine der großen künstlerischen Leistungen Bauknechts: Dass er eine ganz eigene Form der Landschaftsdarstellung gefunden hat."
In den 20er-Jahren wird Philipp Bauknecht dann auch über Davos hinaus eingeladen, seine Werke zu zeigen. Erst in München, dann in Stuttgart und 1926 schließlich bei der Internationalen Kunstausstellung in Dresden. Auch hier allerdings wieder im Künstlerwettstreit mit Kirchner.
"Da hat wiederum Ernst Ludwig Kirchner mitgewirkt, dass Bauknecht in dieser Ausstellung vertreten war. Das hat in gewisser Weise auch zu einem Konflikt zwischen den Künstlern geführt, weil Kirchner ein Interesse daran hatte, dass die Künstler der Basler Gruppe Rot-Blau dort als seine Schüler auftraten – und hat dann Bauknecht in gewisser Weise munter eingemeindet. Und das hat Bauknecht nicht gefallen. Der hat offenbar auch mit dem Gedanken gespielt, seine Bilder aus der Ausstellung abzuziehen."
Er lässt sie dann doch da – und wird als Expressionist der zweiten Generation gefeiert. Trotzdem gerät sein Werk über Jahrzehnte in Vergessenheit, denn bereits 1933 stirbt Philipp Bauknecht an Magenkrebs. Seine Witwe nimmt die rund 250 Gemälde, Aquarelle und Holzschnitte mit in die Niederlande und versteckt sie während des Dritten Reichs vor den Nationalsozialisten. Erst Anfang der 60er-Jahre kommen sie wieder ans Tageslicht, entdeckt von einem Amsterdamer Kunsthändler.
In Davos sind nun 75 dieser Gemälde, Aquarelle und Holzschnitte zu sehen. Thorsten Sadowsky, Direktor des Kirchner Museums, hat sich dafür entschieden, nur eine Auswahl an besonders prägnanten Werken zu zeigen – und dafür zwei Kirchner-Säle offen zu lassen. Als direkte Gegenüberstellung oder gar Künstlerwettstreit ist die Ausstellung aber nicht konzipiert. Schade eigentlich. Bauknechts expressionistische Bergwelten können sich nämlich durchaus mit Kirchners Spätwerk messen.
