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Philippinen
Handarbeit für Kriminelle

Pistolen, Revolver, Sturmgewehre - der Waffenbau gehört in philippinischen Urwaldschmieden zur Familientradition. Seit der Präsident Rodrigo Duterte heißt, geht die Polizei gegen die illegalen Waffenschmieden schärfer vor. Und doch läuft das Geschäft gut: Abnehmer der Ware gibt es genug.

Von Holger Senzel | 19.01.2019
    Joel und Nilo zeigen stolz die in ihrer illegalen Urwaldwerkstatt gefertigen Pistolen.
    Dass die Waffen aus den Urwaldschmieden keine Seriennummern haben, macht sie für Kriminelle außerordentlich attraktiv. (ARD / Holger Senzel)
    Hähne krähen, Schweine grunzen, eine Frau wäscht Kleider in der Blechwanne vor einer Hütte, Kinder füttern Schweine. Aus dem üppig grünen Regenwald vor dem Dorf fernes Hämmern. Ein versteckter Pfad führt durchs Unterholz zur Werkstatt - ein Holztisch unter einem Dach aus Plastikplane, jeder deutsche Heimwerkerkeller ist besser ausgestattet. Männer mit schwieligen Händen hämmern, feilen und sägen an Stahlplatten, biegen Federn, härten Metallteile im Holzkohlefeuer. In fünf Tagen wird das eine Waffe sein.
    "Das wird eine Colt Automatic-Pistole im Kaliber .45. Andere Schmiede hier im Dorf bauen andere Waffen, zum Beispiel Sturmgewehre oder Revolver, aber in der Regel sind sie alle nur auf einen bestimmten Typ spezialisiert. Wie diese Colt-Pistole. Cooles Teil, oder?"
    Die Polizei im Nacken
    Noel ist ein wenig nervös. Am Tag zuvor war die Polizei im Urwald und hat zwei Nachbarschmiede hochgenommen. Noel und Nilo haben ihre kleine Werkstatt noch rechtzeitig versteckt. Früher konnten sie die Polizisten bestechen - aber seit Rodrigo Duterte Präsident ist, geht der Staat härter gegen die illegalen Waffenschmiede vor.
    "Meistens erfahren wir vorher von einer Razzia. Von unseren Kontaktleuten in Danao, die sehen, wenn die Polizei ausrückt. Aber manchmal überraschen sie uns auch. Und dann nehmen sie alles mit. Jedes Werkzeug, jedes Stück Stahl, jede Feder, alles. Als Beweis. Und wir gehen in den Knast."
    Attraktive Ware für Kriminelle
    Dass die Waffen aus den Urwaldschmieden keine Seriennummern haben, macht sie für Kriminelle außerordentlich attraktiv. Aber auch der ein oder andere Polizist weiß eine unregistrierte Pistole neben seiner offiziellen Dienstwaffe zu schätzen. Bürger, die sich schützen wollen, aber keinen Waffenschein bekommen - Kunden gibt es genug. 20.000 Peso, rund 350 Euro kostet eine Pistole bei Noel und Nilo, weniger als die Hälfte des Originals. Und die Qualität? Fast so gut wie die aus der Fabrik, ist Nilo überzeugt.
    Pistolen und Sturmgewehre werden in illegalen Urwaldwerkstatten bei Danao auf den Philippinen zusammengebaut.
    Fünf Pistolen fertigen Noel und Nilo im Monat in ihrer Waffenschmiede im Urwald. (ARD / Holger Senzel)
    Das Handwerk haben die Schmiede von ihren Vätern gelernt - philippinische Familientradition seit Generationen. Schon im philippinisch-amerikanischen Krieg gegen die Spanier Ende des 19ten Jahrhunderts bauten Noels Vorfahren Waffen für die Untergrundkämpfer. Sein Großvater hat dann im zweiten Weltkrieg philippinischen Guerillas Waffen für den Kampf gegen die japanischen Besatzer geliefert. Und sein Vater reiste für die Yakuza nach Japan, um vor Ort Schießeisen für die Banden zu schmieden. Früher haben sie Revolver gebaut, jetzt Selbstladepistolen - die sind anspruchsvoller in der Herstellung, sagt Nilo.
    Fünf Pistolen im Monat
    "Ja, das ist sehr schwer, schauen Sie sich diese ganzen Teile an. Das muss alles passen und ineinander gleiten. Falls das Verhältnis nicht stimmt vom Gewicht der Teile und der Stärke der Federn - dann wird die Pistole später Ladehemmungen haben."
    Oder sie fliegt dem Schützen um die Ohren, denn bei der Explosion der Treibladung einer Patrone entstehen gewaltige Kräfte. Noel und Nilo bevorzugen den Stahl versunkener Schiffswracks, der sei besonders zäh.
    Fünf Pistolen fertigen Noel und Nilo im Monat. Der sogenannte Runner - also "Läufer" holt die fertigen Waffen ab und übergibt sie an den Broker, der die Endkunden beliefert. Für die Schmiede bleiben zwischen 300 und 500 Euro monatlich. Als Handwerker in der "Shooters arms factory" - einer legalen Waffenfabrik in Danao - würde Noel fast dasselbe verdienen. Ohne Angst vor der Polizei:
    "Aber dann müsste ich jeden Morgen zur Schicht fahren. Hier bin ich bei meiner Familie - und bin frei."
    "Klar haben unsere Frauen Angst," gesteht Nilo, "aber was wollen sie machen. Wir ernähren die Familie mit diesem Job."
    Rahmen, Schlitten, Lauf, Federn, Abzug, winzige Stifte - 46 Teile bei einer Colt 1911. Der Schmied nimmt sie nacheinander vom Tisch und setzt sie mit affenartiger Geschwindigkeit zusammen. Lädt durch, horcht auf die Mechanik - und lächelt:
    "So, jetzt ist sie fertig, schau sie dir an. Eine echte Schönheit, oder?"
    "Made by Colt LTD, Hartford, USA" steht auf dem mattschwarzen Rahmen der Kopie - Beschriftungen, Firmenlogo bis ins letzte Detail gefälscht. Das Original der Colt Government 1911 diente der US Army mehr als 70 Jahre. Eine Waffe, die für ihre Robustheit und Zuverlässigkeit berühmt ist.
    Die Kinder schauen neugierig zu, als Noel einen Testschuss in die sandgefüllte Tonne abfeuert. Waffen, scharfe Munition - und dazwischen dieses Gewusel dutzender Kinder:
    "Mein Sohn kann mit acht schon eine Pistole zerlegen und wieder zusammensetzen", sagt der Schmied stolz. Wird er die Familientradition fortsetzen?
    "Auf keinen Fall", erklärt Lani bestimmt, "ich mach die Schule zu Ende. Und dann gehe ich vielleicht zur Marine.
    Kurze Pause, herausfordernder Blick zum Vater: "Oder ich werde Polizist."