Donnerstag, 09. Mai 2024

Archiv


Philosophie der Verantwortung

Sartre, der Philosoph, Dramatiker, Essayist, Einmischer, ist die französische Inkarnation unseres Bilds vom Intellektuellen als öffentlicher Figur. In der Deutschen Bibliothek veranstaltete das Frankfurter Institut für Sozialforschung eine Diskussion französischer und deutscher Philosophen unter Fragestellung, was uns heute der Philosoph des Engagements zu sagen habe.

Von Kersten Knipp | 02.05.2005
    Man muss was machen aus seinem Leben. Vor allem muss man es selber machen. So könnte, ein wenig kurz gefasst, die zentrale These der Philosophie Jean Paul Sartres lauten. Zeiten gab es, da löste diese Vorstellung wenn nicht existentielle Handeln, so zumindest doch existentielles Raunen aus, und etwas Wehmut löst das Sartre´sche Ringen gegen das schlichte, sinnentleerte Dasein noch heute aus. Für Axel Honneth, Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforscher ist Sartre darum vor allem in einem aktuell.

    "In einem unglaublich anspruchsvollen Begriff bedingungsloser Freiheit, also wo Freiheit gedacht wird als das, in dem wir von allen Bedingungen uns haben frei machen können. Ich glaube, es ist eine Herausforderung, Freiheit so zu denken, ich glaube, alle anderen Freiheitsbegriffe müssen sich daran messen lassen."

    Allerdings zeigt das Freiheitsethos heute einige Abnutzungserscheinung. Als Massenthema, meint Michel Contat, Mitherausgeber der Sartre-Pléiade-Ausgabe, hat die Freiheit zumindest in ihrer existenzialistischen Variante ganz offensichtlich ausgedient.

    " Die Versicherung nehmen heute eine gigantische Bedeutung an. Jedermann will versichert sein - fast auch gegen die Freiheit. "

    Warum eigentlich? "L´homme révolté", "Der Mensch in der Revolte", mit diesem heroischen Wort hatte Sartres Gegenspieler Camus die Situation desjenigen Menschen beschrieben, der seine Freiheit selbst in die Hand nimmt. Dem konnte Sartre sich anschließen. Und was er dazu sagte, so der Journalist Philippe Gavi, mit Sartre Mitbegründer der Tageszeitung "Libération", gilt eigentlich noch heute.

    "Die Idee der Revolte war nicht unbedingt die Vorstellung einer Revolution. Ihr lag der Gedanke zugrunde, dass alles Leben sich in Kräfteverhältnissen spiegelt; und es kann manchmal ziemlich schwierig sein, etwas ohne Anstrengung und Kampf zu erhalten, sei es in der Politik, sei es im Privatleben. Das kann ziemlich schmerzhaft sein. Das Bedürfnis nach Revolte ist ein Bedürfnis nach dem Bruch."

    Gut möglich allerdings, dass man heute vom Bruch, ja nicht einmal vom Aufbruch allzu viel wissen will. Wir haben, heißt es im Hinblick auf die deutsche und bisweilen auch europäische Politik, kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem. natürlich: die Strukturen - der Föderalismus, die Gewaltenteilung, der Preis eben der parlamentarischen Demokratie – er ist eben ein gewaltiger Bewegungshemmer. Und doch: Könnte es nicht sein, dass da noch etwas Anderes hineinspielt – eine gehörige Portion Kleinmut, überschießende konservative Instinkte, die längst die Grenze zum Reaktionären genommen haben? Gavis Phänomenologie gegenwärtiger und vergangener Kultfiguren lässt solche Schlüsse durchaus zu.

    "Das Denken des 20. Jahrhundert kreiste um die Vorstellung des Bruchs – in der Kunst wie in der Politik. Heute denken wir in entgegengesetzte Richtung. Darum hat die Papstwahl auch einen solchen ungeheuren Widerhall erfahren. Die dominierenden Figuren des 20. Jahrhunderts waren Figuren des Exzesses, ideologisch und kulturell. James Dean und Marylin Monroe etwa. Man rauchte, man trank, man tötete, man starb– fast war der Tod selbst die bedeutendste Figur des 20. Jahrhunderts. Das 21. Jahrhundert aber läuft zumindest im Westen in entgegengesetzter Richtung. Es beginnt mit der Suche nach einer heiligen, weisen Figur, mit dem Sport, mit dem Papst."

    Was also bleibt von Sartres Philosophie? Für Contat bewahrt sie vor allem ihren druckvollen Appellcharakter.

    "Die Philosophie Sartres ist eine Philosophie der Notwendigkeit. Es gibt Dinge, die man ändern muss; es gilt Dinge, Verhaltensweisen, Haltungen, Gedanken zu erfinden, um mit einer Zivilisation zurechtzukommen, in der sämtliche Gefahren sich ungleich härter stellen als man es sich vorstellt. Man wirft Sartre oft seine Blindheit in den 30er Jahren gegenüber Hitler und dem beginnenden Naziregime vor. Mindestens ebenso schädlich ist aber unsere Blindheit gegenüber den Gefahren, die etwa der Menschheit und dem Planeten drohen."

    Sartre, das ist Wort gewordene Unruhe, der Stachel im Fleisch, um es mit dem Titel eines seiner Werke zu sagen. Nur, dass wir längst zur Pinzette gegriffen haben.