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Phonetik

Die heutige Phonetik ist ein großes, interdisziplinäres Fachgebiet zwischen Linguistik, Biologie, Akustik, Neurowissenschaften und Medizin. Phonetiker klären, wie Sprache entsteht, wahrgenommen und verarbeitet wird. Bei Schlaganfall, beruflicher Stimm-Überlastung sowie bei gut- und bösartigen Tumoren, bei allen Krankheiten mit Stimm- und Sprachstörungen können medizinische Phonetiker helfen.

Von Klaus Herbst | 08.01.2008
    Die Phonetik ist zwar nicht primär eine medizinische Disziplin, bei Kriminalfällen hilft sie beispielsweise, den Täter über dessen Sprache zu identifizieren. Beim Spracherwerb gibt die Phonetik Auskunft über die Besonderheiten des erlernten Akzents der Fremdsprache. Sprechende Computer und automatische Spracherkennung werden immer wichtiger. Die heutige Phonetik ist ein großes, interdisziplinäres Fachgebiet zwischen Linguistik, Biologie, Akustik, Neurowissenschaften und Medizin, wie Doktor Jürgen Trouvain vom Institut für Phonetik an der Universität des Saarlandes sagt.

    "Da geht es grundsätzlich mal darum bei den Phonetikern, mit zu erklären, wie entsteht der Sprachproduktionsprozess? Dann, ganz wichtig, wie ist das mit dem Sprachschall, die Akustik des Sprechens, wie kann man die untersuchen? Und natürlich, wie ist die Wahrnehmung dessen, was gesprochen worden ist? Daran anknüpfend ganz wichtig, wie ist die Verarbeitung nachher im Gehirn?"

    Denn nur wenn das Gehirn den Schall der Sprache richtig versteht, dann kann es die über 100 Muskeln ansteuern, die die menschliche Stimme bilden. Die vielfältigen Störungen der Stimmbildung erforscht in Saarbrücken der medizinische Phonetiker Doktor Manfred Pützer.

    "Ein sehr populäres uns sehr bekanntes Beispiel ist bei den Frauen: Nach einer Operation an der Schilddrüse, einer so genannten Struma-Operation, wird der dort liegende Nerv verrückt, er wird ja nicht ganz durchtrennt. Und dann kommt es postoperativ dann zu Stimmstörungen, die in der Medizin als Rekurrenz-Parese bezeichnet werden."

    Gestört ist der Nerv, der die beiden Stimmlippen versorgt, der Rekurrenz. Es kommt zu einer sehr bekannten Stimmstörung - zu Heiserkeit.

    "Guten Morgen, wie geht es Ihnen - Guten Morgen!"
    Wenn sich die Stimme von Kindern plötzlich und anhaltend verändert, sich unnatürlich höher anhört oder tiefer, oder wenn Heiserkeit anhält, dann sollten die Eltern ihr Kind alsbald dem HNO-Spezialisten vorstellen.

    "Wenn irgendetwas am Kehlkopf, um den Kehlkopf herum, wächst was nicht dorthin gehört, nehmen Sie beispielsweise Schreiknötchen bei Kindern, Polypen bis hin nachher zum Stimmlippenkarzinom, dann sind wir im Bereich der organischen Stimmstörungen. Und wenn dann etwas hinkommt, was nicht hingehört, ist logischerweise auch die Funktion der Stimme und der Stimmlippen gestört."

    Aber jeder kennt es - auch im Alltag kommt es häufig zu Problemen mit der Stimme, zum Beispiel bei Lehrern oder anderen Berufsgruppen, die ungewöhnlich viel und laut reden müssen. Ganz automatisch versucht man dann seine Stimme zu befreien - und tut, so der Phonetiker, genau das Falsche.

    "Räuspern ist zum Beispiel eine sehr schlechte Sache für die Stimme. Dass man auch versucht, einfach nicht sich in den stimmlichen Möglichkeiten, die jeder Mensch hat, übertrieben zu bewegen. Das bedeutet auch, dass man versucht, die Lautstärke etwas zu reduzieren. Dass man nicht versucht, den Stimmapparat unnötig zu strapazieren durch ein Schreien."

    Der Schlaganfall ist heute eine der häufigsten Erkrankungen, die sehr oft zur Aphasie führt, zu kompletter oder teilweiser Sprachlosigkeit. Manfred Pützer:
    "Es kann durchaus passieren, dass auf Grund eines Schlaganfalls es dann auch zu einer Aphasie kommt, wo also nicht nur Stimme, sondern vor allem auch dann die Artikulation in Mitleidenschaft gezogen worden ist, wo also Sprachverstehen auf der einen Seite, auf der anderen Seite gibt es Aphasien, wo die Sprachproduktion gestört ist."

    Mit objektiven, computergesteuerten Messmethoden sind die Phonetiker nun erstmals in der Lage, eine sehr genaue, verlässliche Prognose zu liefern. Bei Schlaganfall, beruflicher Stimm-Überlastung sowie bei gut- und bösartigen Tumoren, bei allen Krankheiten mit Stimm- und Sprachstörungen ist die individuelle, psychologische Dimension mit entscheidend. Der individualisierte, maßgeschneiderte Therapieerfolg ist ein bedeutender neuer Trend in Medizin und Phonetik.

    "Wir haben hier einen Ansatz, der darin besteht, dass wir jedes Individuum selbst unter die Lupe nehmen und dann sehen, wo steht dieses Individuum im Vergleich zu einer großen Gruppe? Da kann der Logopäde noch so gut sein. Und wenn Sie nicht vom Eigenen her, von Ihrer eigenen Einstellung - man nennt das autosuggestiv - dass man also hier dran ist und versucht, alles das was man hineinsetzen kann mitarbeiten, hilft Ihnen auch die beste logopädische Therapie nicht."