"Ich sitze in der U-Bahn, denke an gar nichts. Eigentlich bin ich nur froh, dass um mich rum keiner mehr sabbelt, weil meine Arme und Beine schön voll sind von diesem Pfirsichgefühl und es ist still, wirklich still, so dass ich nur noch das Scheuern der Schienen höre. Dann knallt kurz vor der nächsten Station die Scheibe hinter mir. Ein kurzer, trockener Knall und eine Splitterwand knistert neben mir hoch und knackt."
Ein Schuß ohne Nachwirkung. Nur ein Kracher zum Einstieg, damit alle hingucken, mehr nicht. Der junge Mann aber steigt aus und flaniert durch Berlin, durch den lärmenden Verkehr, vorbei an endlosen Schaufensterauslagen, an türkischen Imbißbuden, um sich in seiner eigenen Bude zu verkriechen. Musikhören und Nachdenken über Gott und die Welt oder, genauer, über das, was er von der Welt so kennt: seine spießige Schwester, seine Eltern, die das Leben "mit ihrem SPD-Weichzeichner sehen", seine Kindheit in einer lauten Hochhaussiedlung, seinen technikvernarrten Kumpel Mikro, seine einstige Freundin, Laura. Vor allem aber läßt er sich über Tempo und Jugend, Stillstand und Alter aus:
"Und genau das ist es, was die Stehenbleiber alle wollen, das Tote, Alte, mit Gefühl und sauber gerahmt, immer wieder, nur nicht das Jetzt, das weiter weiter, den Rhythmus vom Jetzt, diesen unerträglichen Beat, den hassen sie."
Weder die Erkenntnisse des jungen Mannes sind besonders spannend, geschweige denn originell, noch seine Erlebnisse. Erst nach knapp hundert Seiten, also etwa in der Mitte des Romans, taucht Fanny auf, eine Liebesgeschichte beginnt und der Roman verändert sich. Dazu Lager:
"Interessanterweise hat dieses Buch eine Dynamik bekommen, die ich sehr liebe, nämlich daß dieses Alleinesein und Denken oder die Denkprozesse in Dialoge übergehen. Und daß zum Schluß viele reden. Und daß das überprüft wird, was man alleine denkt. Wir starten ja mit einer Welt des Ich-Erzählers, der seine Gedanken preisgibt. Aber hier teilt der Ich-Erzähler seine Gedanken, seine Welt mit diesem Mädchen, das er kennenlernt. Und gerade darüber verliebt er sich in sie. Also diese Öffnung aus dem Ich heraus, macht diese Liebe so wichtig."
Eine Liebe, in der es leider vor allem ums Reden geht. Und in der Weise, wie man manchmal so unstrukturiert vor sich hin redet, so wird in "Phosphor" auch erzählt. Sven Lager hat seine Sprache kräftig gegen Rhythmus und Grammatik gebürstet.
"Es läuft ein Boris-Karloff-Film auf einer riesigen Leinwand in einem Autokino und der Junge (...), an den ich gerade denken musste, der schießt jetzt durch die Leinwand auf die eingekeilten Autos und die knutschenden Pärchen, die in ihnen drin sind."
Ein brüchiger Satzbau, der einerseits an die rudimentäre Grammatik sich entwickelnder Gedanken, an ihre neuronale Sprunghaftigkeit erinnert. Der andererseits an eine Szenesprache denken läßt, die sich des Korsetts eines grammatikalisch-rhetorischen Anstandes entledigt hat und syntaktisch-semantische Bruchstücke dagegensetzt. Für beide Möglichkeiten ließen sich Beispiele finden. Doch bei allen Beispielen könnte man sich aber auch nicht des Eindrucks einer gewissen Unbeholfenheit seitens des Erzählers erwehren.
Der Wasserhahn, das Gras und manche Bäume leuchten und die Blätter, die mit dran sind."
Selbst wenn hier auf einen durchgearbeiteten Sprachrhythmus bewußt zugunsten der klappernden Mündlichkeit verzichtet wird, sozusagen als linguistische Feldforschung, so bleibt das Lesen dieser Sätze ein mühsames Geschäft. Richtige Nominalbrocken sind darunter:
"Erst dachte ich, es ist der Verkehr, den ich höre, so wie das Geräusch der Autobahn auch nur das Reiben von Reifen auf dem Asphalt ist und das Pfeifen der Luft.Dazu der Autor:
"Interessanterweise habe ich getestet ob diese Sprache im Buch auch vorlesbar ist. Das ist in meinem Buch jetzt nicht so. Es gibt sehr viele Texte, sehr viele Autoren, die probieren, ob sie das laut vorlesen können. Ob das flüssig kommt. Für mich war das eigentlich immer ein ganz bestimmter Sprachklang, der für mich wichtig war. Ich hab auch sehr gerne grammatikalische Umstellungen, die ich sehr gerne mag, die aus der Sprechsprache kommen."
Lagers Held sucht den Soundtrack der Welt. Im Soundtrack der Welt will er jenes Rauschen hören, das alles Lebendige durchströmt. Den Herzschlag des Universums. Rauschen, Lärm, tausendfache Stimmen aus allen Kanälen hat er reichlich um die Ohren. Die tobende Großstadt ist das Klangmeer, in das er abtaucht, in das er versinkt. Er redet sich in den Tiefenrausch hinein, vehement, oft mit einem an Thomas Bernhard erinnernden Furor. Um die Begrifflichkeit des nüchternen Verstandes loszuwerden, ist Schimpfen eine bewährte Methode. Und geschimpft wird ordentlich in "Phosphor". Mit schimpfen, auch wenn es hier mehr nach läppischer Nörgelei klingt, scheint sich der Held in Rage bringen zu wollen, in einen Raum jenseits der Wörter, um die Wucht der Welt wie in der Musik zu erfahren:
"Seefahrer, Surfer, Nomaden haben das, denke ich manchmal und dann male ich es mir aus, das richtige Rauschen im Kopf. In einem satten Soundtrack schwimmen. Was für ein feiner Luxus, ein Leben ohne dieses laute harte Denken da vorne. Die Gedanken müssen einen Sound haben. (...) Wer will schon Wörter hören? Das ganze harte Leben ist voll von Wörtern, immer den gleichen Wörtern. Ausschalten. Weg mit den Wörtern. Dem Geräusch hinter den Worten lauschen." Dazu Lager:
Ihn ärgert am meisten Langsamkeit wahrscheinlich oder: Es ist ein Alter, wo die Dinge nicht schnell genug gehen oder sich nicht erschließen; der wird ja auch sehr allgemein, der Eindruck des Alten, des Vertrockneten wird undifferenziert behandelt, weil das einfach noch ein Entwicklungsschritt ist, der noch aussteht. Der aber gleichzeitig auch wieder eine sehr angenehme Gewalt hat. Wenn man älter wird, sieht man die Dinge zwar differenzierter, aber sie haben vielleicht manchmal nicht unbedingt mehr die Kraft anzulangen oder zu was Neuem zu kommen. Der macht eigentlich seine eigene Geschwindigkeit, in seinen Beschimpfungen, was aber nie besonders tief ist, es ist einfach nur so ein Selber-seine-Geschwindigkeit-aufrecht-Erhalten, das ist ihm sehr wichtig."
Darum ist die Musik auch das Leitmedium des Erzählers, weil Rausch und Musik, vor allem Popmusik einander bedingen. Sven Lagers "Phosphor" versucht sie ins Wortmedium zu transportieren. Ein paar sehr kleine, nicht einmal schlechte Sequenzen sind dabei zustande gekommen. Lager:
"Ich denke auch, daß meine Sprache mit meinem Musikhören zusammenhängt, auch ungeduldigem Musikhören; Musiken kamen ja auf, über Break-Beats, über Drum and Bass, die dieses Unruhemoment haben. Als die Break-Beats aufkamen, als man Computermusik machen konnte, daß man Dinge sehr schnell sampeln konnte, wie man sie nie spielen könnte, das spielt schon eine gewisse Rolle, natürlich. Und auch sprachlich. Also da fehlen ja dann in Sätzen natürlich Verben, das ist genau dieses weiter, weiter. (...) Das kann nicht analog sein. Danebenher laufend. Gleich übersetzt. Ich find es immer albern, wenn Schriftsteller heute von sampeln reden, das tut man eigentlich nicht im Schreiben. Das ist eher eine Frage der Melodik.
Mit der neuen deutschen Popliteratur hat Lagers Roman dennoch wenig zu tun. Seine Schimpfreden und sein Wort-Sound erinnern mehr an die antikünstlerische Ästhetik der us-amerikanischen Postmoderne der 60er Jahre. "Phosphor" - ein anachronistisch anmutender Text.
Ein Schuß ohne Nachwirkung. Nur ein Kracher zum Einstieg, damit alle hingucken, mehr nicht. Der junge Mann aber steigt aus und flaniert durch Berlin, durch den lärmenden Verkehr, vorbei an endlosen Schaufensterauslagen, an türkischen Imbißbuden, um sich in seiner eigenen Bude zu verkriechen. Musikhören und Nachdenken über Gott und die Welt oder, genauer, über das, was er von der Welt so kennt: seine spießige Schwester, seine Eltern, die das Leben "mit ihrem SPD-Weichzeichner sehen", seine Kindheit in einer lauten Hochhaussiedlung, seinen technikvernarrten Kumpel Mikro, seine einstige Freundin, Laura. Vor allem aber läßt er sich über Tempo und Jugend, Stillstand und Alter aus:
"Und genau das ist es, was die Stehenbleiber alle wollen, das Tote, Alte, mit Gefühl und sauber gerahmt, immer wieder, nur nicht das Jetzt, das weiter weiter, den Rhythmus vom Jetzt, diesen unerträglichen Beat, den hassen sie."
Weder die Erkenntnisse des jungen Mannes sind besonders spannend, geschweige denn originell, noch seine Erlebnisse. Erst nach knapp hundert Seiten, also etwa in der Mitte des Romans, taucht Fanny auf, eine Liebesgeschichte beginnt und der Roman verändert sich. Dazu Lager:
"Interessanterweise hat dieses Buch eine Dynamik bekommen, die ich sehr liebe, nämlich daß dieses Alleinesein und Denken oder die Denkprozesse in Dialoge übergehen. Und daß zum Schluß viele reden. Und daß das überprüft wird, was man alleine denkt. Wir starten ja mit einer Welt des Ich-Erzählers, der seine Gedanken preisgibt. Aber hier teilt der Ich-Erzähler seine Gedanken, seine Welt mit diesem Mädchen, das er kennenlernt. Und gerade darüber verliebt er sich in sie. Also diese Öffnung aus dem Ich heraus, macht diese Liebe so wichtig."
Eine Liebe, in der es leider vor allem ums Reden geht. Und in der Weise, wie man manchmal so unstrukturiert vor sich hin redet, so wird in "Phosphor" auch erzählt. Sven Lager hat seine Sprache kräftig gegen Rhythmus und Grammatik gebürstet.
"Es läuft ein Boris-Karloff-Film auf einer riesigen Leinwand in einem Autokino und der Junge (...), an den ich gerade denken musste, der schießt jetzt durch die Leinwand auf die eingekeilten Autos und die knutschenden Pärchen, die in ihnen drin sind."
Ein brüchiger Satzbau, der einerseits an die rudimentäre Grammatik sich entwickelnder Gedanken, an ihre neuronale Sprunghaftigkeit erinnert. Der andererseits an eine Szenesprache denken läßt, die sich des Korsetts eines grammatikalisch-rhetorischen Anstandes entledigt hat und syntaktisch-semantische Bruchstücke dagegensetzt. Für beide Möglichkeiten ließen sich Beispiele finden. Doch bei allen Beispielen könnte man sich aber auch nicht des Eindrucks einer gewissen Unbeholfenheit seitens des Erzählers erwehren.
Der Wasserhahn, das Gras und manche Bäume leuchten und die Blätter, die mit dran sind."
Selbst wenn hier auf einen durchgearbeiteten Sprachrhythmus bewußt zugunsten der klappernden Mündlichkeit verzichtet wird, sozusagen als linguistische Feldforschung, so bleibt das Lesen dieser Sätze ein mühsames Geschäft. Richtige Nominalbrocken sind darunter:
"Erst dachte ich, es ist der Verkehr, den ich höre, so wie das Geräusch der Autobahn auch nur das Reiben von Reifen auf dem Asphalt ist und das Pfeifen der Luft.Dazu der Autor:
"Interessanterweise habe ich getestet ob diese Sprache im Buch auch vorlesbar ist. Das ist in meinem Buch jetzt nicht so. Es gibt sehr viele Texte, sehr viele Autoren, die probieren, ob sie das laut vorlesen können. Ob das flüssig kommt. Für mich war das eigentlich immer ein ganz bestimmter Sprachklang, der für mich wichtig war. Ich hab auch sehr gerne grammatikalische Umstellungen, die ich sehr gerne mag, die aus der Sprechsprache kommen."
Lagers Held sucht den Soundtrack der Welt. Im Soundtrack der Welt will er jenes Rauschen hören, das alles Lebendige durchströmt. Den Herzschlag des Universums. Rauschen, Lärm, tausendfache Stimmen aus allen Kanälen hat er reichlich um die Ohren. Die tobende Großstadt ist das Klangmeer, in das er abtaucht, in das er versinkt. Er redet sich in den Tiefenrausch hinein, vehement, oft mit einem an Thomas Bernhard erinnernden Furor. Um die Begrifflichkeit des nüchternen Verstandes loszuwerden, ist Schimpfen eine bewährte Methode. Und geschimpft wird ordentlich in "Phosphor". Mit schimpfen, auch wenn es hier mehr nach läppischer Nörgelei klingt, scheint sich der Held in Rage bringen zu wollen, in einen Raum jenseits der Wörter, um die Wucht der Welt wie in der Musik zu erfahren:
"Seefahrer, Surfer, Nomaden haben das, denke ich manchmal und dann male ich es mir aus, das richtige Rauschen im Kopf. In einem satten Soundtrack schwimmen. Was für ein feiner Luxus, ein Leben ohne dieses laute harte Denken da vorne. Die Gedanken müssen einen Sound haben. (...) Wer will schon Wörter hören? Das ganze harte Leben ist voll von Wörtern, immer den gleichen Wörtern. Ausschalten. Weg mit den Wörtern. Dem Geräusch hinter den Worten lauschen." Dazu Lager:
Ihn ärgert am meisten Langsamkeit wahrscheinlich oder: Es ist ein Alter, wo die Dinge nicht schnell genug gehen oder sich nicht erschließen; der wird ja auch sehr allgemein, der Eindruck des Alten, des Vertrockneten wird undifferenziert behandelt, weil das einfach noch ein Entwicklungsschritt ist, der noch aussteht. Der aber gleichzeitig auch wieder eine sehr angenehme Gewalt hat. Wenn man älter wird, sieht man die Dinge zwar differenzierter, aber sie haben vielleicht manchmal nicht unbedingt mehr die Kraft anzulangen oder zu was Neuem zu kommen. Der macht eigentlich seine eigene Geschwindigkeit, in seinen Beschimpfungen, was aber nie besonders tief ist, es ist einfach nur so ein Selber-seine-Geschwindigkeit-aufrecht-Erhalten, das ist ihm sehr wichtig."
Darum ist die Musik auch das Leitmedium des Erzählers, weil Rausch und Musik, vor allem Popmusik einander bedingen. Sven Lagers "Phosphor" versucht sie ins Wortmedium zu transportieren. Ein paar sehr kleine, nicht einmal schlechte Sequenzen sind dabei zustande gekommen. Lager:
"Ich denke auch, daß meine Sprache mit meinem Musikhören zusammenhängt, auch ungeduldigem Musikhören; Musiken kamen ja auf, über Break-Beats, über Drum and Bass, die dieses Unruhemoment haben. Als die Break-Beats aufkamen, als man Computermusik machen konnte, daß man Dinge sehr schnell sampeln konnte, wie man sie nie spielen könnte, das spielt schon eine gewisse Rolle, natürlich. Und auch sprachlich. Also da fehlen ja dann in Sätzen natürlich Verben, das ist genau dieses weiter, weiter. (...) Das kann nicht analog sein. Danebenher laufend. Gleich übersetzt. Ich find es immer albern, wenn Schriftsteller heute von sampeln reden, das tut man eigentlich nicht im Schreiben. Das ist eher eine Frage der Melodik.
Mit der neuen deutschen Popliteratur hat Lagers Roman dennoch wenig zu tun. Seine Schimpfreden und sein Wort-Sound erinnern mehr an die antikünstlerische Ästhetik der us-amerikanischen Postmoderne der 60er Jahre. "Phosphor" - ein anachronistisch anmutender Text.