"Da sind viele Verlierer bei, bei denen, die ich fotographiert habe", erklärt Jim Raktete. "Viele sind in der Auswahl dann wieder rausgefallen, weil einfach ... dann denkt man auch daran, ob das Ding irgendwie laufen könnte, Und da sitzt einem ein Verleger gegenüber, der sich sehr weit aus dem Fenster lehnt. Deutsche Fotobücher verkaufen nichts. Es gibt nur diesen deutschen Markt und das ist nur ein ganz kleiner Markt. Da kann man also nicht viel Geld verdienen. Und ich bewundere ja schon das Engagement meines Verlegers, daß er das getan hat und bin deshalb auch einige Kompromisse eingegangen. Daß ich jetzt nicht nur Unbekannte reingebracht habe. Aber es sind auch einige dabei, die's nicht geschafft haben. Und das ist auch o.k. Ich finde teilweise, das was der Bob Seeger immer "beautiful loosers" nannte, das ist manchmal viel interessanter als der flache Erfolg."
Komisch, daß meistens die Gewinner von den "beautiful loosers" schwärmen. Und der Verlag Schirmer und Mosel hat nicht mal das getan. Alle 184 Photographien zeigen mittel- oder ganz große, aber Stars. Was ist so interessant an denen? "An diesen Leuten interessiert mich die Beschleunigung der Ereignisse", so Jim Rakete. "In dem Moment, wenn so 'ne Karriere anfängt oder auf dieses Sprungbrett geht, geht alles viel schneller. Die ganze Entwicklung, die persönliche Entwicklung. Freundschaften zerbrechen. Neue Freundschaften entstehen. Falsche Freundschaften entstehen. Dann gibt es Allianzen, Weggefährten. Alles verändert sich innerhalb ganz kurzer Zeit und die Leute müssen damit fertig werden auf die eine oder andere Art und das ist etwas, was mich fasziniert. Wo ich irgendwie immer hingucke und denke: Meine Güte, es gibt kaum eine Droge, die einen Menschen so schnell verändert wie Erfolg."
Das klingt, als hätte Jim Rakete zu all den berühmten Leuten, die er fotographiert, eine dauerhafte Beziehung aufgebaut. Als wäre er ihnen väterlicher oder freundlicher Ratgeber. Und das stimmt wohl auch in vielen Fällen. Man sieht es den Fotos an. Man sieht den Respekt, den der Fotograph seinen Objekten zollt. Das Einverständnis zwischen den beiden. Der Fotograph Peter Lindbergh schrieb: Man spürt, daß Jim Rakete den Menschen, die er fotographiert, etwas gibt, statt ihnen etwas wegzunehmen.
Für einen Kritiker der "taz" war mehr die andere Seite dieser Medaille sichtbar. Er schrieb: "Wie Jim Rakete sie alle findet, ist aus diesen Bildern nicht zu begreifen. Jede und jeder wird von ihm mit dem gleichen Level an Grundfreundlichkeit bedacht, was auf philantropische Adern, Blasenbildung oder einsetzende Altersgleichgültigkeit schließen läßt."
Ist Jim Rakete vielleicht einfach nur ein netter Kerl? "Ich bin überhaupt nicht nett", widerspricht Jim Rakete. "Nichts an mir ist nett. Bloß, ich mag die Leute. Das ist 'ne Grundeigenschaft von mir. Die akzeptier' ich. Ich mag die Leute, die da drin sind in dem Buch."
Obwohl nicht ungebrochen. Er hat sich viele interessante Gedanken zum Thema "Berühmtsein" gemacht. Er verdient mit dieser Szene sein Geld, kennt sie aus nächster Nähe, aber er beobachtet das Leben der Stars auch kritisch: "Ich finde das ganz furchtbar, denn ich glaube, Popularität hat auch den Nachteil, daß man so damit beschäftigt ist, dass man sich kaum weiterentwickeln kann. Und 'ne unauffällige Karriere ist dem wirklich vorzuziehen. Man ist ein ziemliches Trampolin, wenn man sich in diesen Scheinwerferkegel des Erfolgs begibt. Von Popularität mein' ich. Erfolg ist was ganz anderes. Erfolg ist, wenn man schafft, was man selber will.
Jim Rakete will Drehbücher schreiben. Und ist schon dabei. Das eine wird eine Boxergeschichte und das andere, da geht es um einen, der sich selbst selbst totsagt. Jim Rakete will Schaupieler sein. Nächstes Jahr spielt er an der Seite von Claus Maria Brandauer im Film "Jedermanns Fest".
Und er will immer wieder in die Wüste gehen. "Es geht mir eher darum, daß da nichts ist, dass da auch nichts im Weg steht. In die Wüste zu fahren ist immer ein Erlebnis. Es hat immer was meditatives und ist immer ein Abenteuer. Und ich mag halt auch einfach diese amerikanische Art und Weise zu arbeiten. Also, ich finde es einfach klasse, morgens in den Bus zu springen, zwei Stunden rauszufahren und da steht man auf'm Salzsee und macht da ein paar Fotos. Das ist einfach schön."
Und zwar am schönsten in schwarz-weiß. Schwarz-weiß bedeutet für ihn "weglassen und der Betrachter vervollständigt dann das Bild." Die Farbfotographie ist für ihn der Sündenfall der MTV-Generation: "Hektisch, flüchtig. Das hat nichts mehr mit dem Leben zu tun." Von den jungen Fotographen hält er demzufolge wenig: "Die alten Säcke, die fand ich alle klasse. Ob das jetzt Cartier Bresson war oder Lartique oder Horvath oder - das sind alles wunderbare Menschen, also auch der Avedon, der ist so megaklug. Aber im Vergleich dazu nehmen sich also diese jüngere Generation, die einfach nur hiphop macht und fashion victim ist, die nehmen sich nicht so interessant aus, mit denen wüßt' ich gar nicht, was man reden sollte. Die haben auch keine Zeit, die haben keine Zeit zu lesen, die haben keine Zeit was zu erleben. Die sitzen halt immer nur im Flugzeug und wissen damit nichts anzufangen. Und wenn sie viel schaffen, verdienen sie viel Geld. Aber das find ich nicht so wichtig."
Was ihm wichtig ist, das nennt er Arbeitserotik. Wobei da die Kamera nicht im Weg ist. Sie scheint sogar eher das Vehikel, um an das Geheimnis der Menschen, die er fotographiert, heranzukommen. Aber am Ende sieht es aus, als ob Jim Rakete mehr weiß als er auf seinen Fotos verrät.