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Physik
Röntgenlaser eröffnen der Kristallografie neue Möglichkeiten

Die UN haben 2014 zum internationalen Jahr der Kristallografie erklärt. Denn vor 100 Jahren erhielt der Physiker Max von Laue den Nobelpreis für seine Kristallforschungen. Wie schon bei von Laue spielt auch in der Kristallografie von heute Röntgenlicht eine entscheidende Rolle - inzwischen treiben aber Laser die Entwicklung voran.

Von Ralf Krauter |
    Man nehme einen Kristall, bestrahle ihn mit Röntgenlicht und beobachte wie er dieses vom Kurs ablenkt. So lautet das Rezept für die Strukturanalyse mittels Röntgenbeugung, das Max von Laue 1914 den Nobelpreis einbrachte. Das Verfahren ist bewährt und bis heute Standard, wenn es darum geht, die Struktur komplexer Moleküle zu entschlüsseln. Henry Chapman zufolge ist die Methode aber noch längst nicht ausgereizt. Der Physikprofessor vom Hamburger Forschungszentrum für Freie-Elektronen-Laser ist überzeugt, dass gerade eine neue Ära der Röntgenstrukturanalyse anbricht.
    Aufregend und bahnbrechend, so bezeichnet Henry Chapman die jüngsten Entwicklungen. Ihr Motor sind neuartige Röntgenlaser, die extrem helle Lichtblitze aussenden. Die ersten dieser Freie-Elektronen-Laser, gingen vor wenigen Jahren in Betrieb. Ihr Funktionsprinzip ist simpel: Elektronen aus einem Teilchenbeschleuniger, die fast mit Lichtgeschwindigkeit fliegen, werden durch Magnetfelder auf eine Slalombahn gezwungen. Dabei senden sie bei einem sich selbst verstärkenden Prozess gebündeltes Röntgenlicht aus. Chapman erläutert:
    "Freie-Elektronen-Laser erzeugen Röntgenblitze, die milliardenfach intensiver sind als die konventioneller Synchrotron-Röntgenquellen. Dadurch können wir viel schnellere Schnappschüsse machen. Und das hat den Vorteil, dass die Kristalle, die wir untersuchen, keine Zeit haben, ihre Struktur zu verändern, während wir die Aufnahme machen. Wir erhalten deshalb viel brillantere Bilder mit unverfälschter Information als jemals zuvor. Außerdem können wir viel kleinere Kristalle untersuchen als bisher möglich. Uns genügen mikrometergroße Materialproben. Und die sind viel einfacher zu bekommen als größere Kristalle, deren Herstellung oft jahrelange Arbeit erfordert."
    Protein-Schnappschüsse am laufenden Band
    Die Lichtblitze der Röntgenlaser dauern nur Femtosekunden, also Millionstel einer milliardstel Sekunde. Das macht es möglich, Aufnahmen am laufenden Band zu schießen. Beim derzeit stärksten Röntgenlaser am US-Teilchenbeschleuniger SLAC in Stanford gelingen 120 Schnappschüsse pro Sekunde. Weil die komplexen Moleküle, für deren Struktur sich Biologen und Mediziner interessieren, durch den Strahlenbeschuss pulverisiert werden, sorgen die Forscher kontinuierlich für Nachschub. Chapman:
    "Die Proteinkristalle schwimmen in einer Flüssigkeit. Diese Suspension wird dann über eine spezielle Düse in den Fokus des Röntgenstrahls gespritzt - als mikrometerfeiner Strahl. Vereinfacht gesagt, ähnelt das Ganze einem Tintenstrahldrucker, nur dass bei uns eben winzige Proteinkristalle aus der Düse strömen. Einige davon werden dann von dem intensiven Röntgenstrahl getroffen. Dabei wird das Röntgenlicht abgelenkt und wir detektieren die charakteristischen Beugungsmuster."
    Serielle Femtosekunden-Kristallografie mit atomarer Auflösung: Vor Kurzem gelang es einem Team, zu dem auch Henry Chapman gehörte, die Struktur eines Rezeptors für den Neurotransmitter Serotonin zu entschlüsseln. 2012 hatten Wissenschaftler unter Chapmans Leitung bereits das krank machende Enzym Cathepsin B des Schlafkrankheits-Parasiten Trypanosoma Brucei analysiert. Die genaue Kenntnis der Struktur solcher Proteine könnte helfen, neue Arzneimittel zu entwickeln.
    Auch Eiweiße, die bei der Fotosynthese eine Schlüsselrolle spielen, haben die Forscher schon unter die Röntgenlupe genommen. Die detaillierten Einblicke in ihren Aufbau könnten zu effizienteren Solarzellen führen.
    Die Erfolge können sich also jetzt schon sehen lassen. Und das ist erst der Anfang. Beim Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg entsteht derzeit nämlich der weltweit größte Röntgenlaser. Sein Name X-FEL. Geplante Inbetriebnahme: 2016. Chapman:
    "Das wird eine viel größere Anlage, die der Röntgenstrukturanalyse faszinierende Perspektiven eröffnet. X-FEL wird hundertmal mehr Lichtblitze pro Sekunde liefern als der beste Röntgenlaser heute. Damit können wir dann Messungen in Tagen erledigen, die in Stanford heute Wochen dauern würden."