Das Phytoplankton ist der Wald im Ozean, sagt der Ökologe Erik Mousing von der Universität von Kopenhagen. Es sind Abermilliarden von Algen und anderen Kleinstorganismen, die Photosynthese betreiben und dann als Nahrung die Grundlage des weiteren Lebens in den Weltmeeren bilden. Die Artenvielfalt des Phytoplanktons ist enorm. Doch wie es zu dieser großen Vielfalt kommt, ist selbst für Biologen rätselhaft.
"Das ist eine Frage, die sich Ökologen seit vielen, vielen Jahren stellen. Man spricht vom Plankton-Paradoxon. Die Ozeane sehen für uns Menschen wie ein homogener Lebensraum aus. Tatsächlich gibt es aber sehr viele ökologische Nischen im Meer."
An Land ist die Sache klar: Berge, Täler, Flüsse, Seen, Gletscher, Wüsten. Sie alle stellen nicht nur geografische Merkmale der Landschaft dar, sondern wirken für die Verbreitung von Pflanzen oder Tieren auch als Grenzen. So können sich in getrennten Lebensräumen unterschiedliche Arten entwickeln. Der Ozean aber erscheint uns in weiten Teilen grenzenlos. Eine einheitliche Wassermasse. Da würde man beim Phytoplankton eine viel geringere Artenvielfalt erwarten, als sie tatsächlich zu beobachten ist. Für Erik Mousing gibt es dafür eine Erklärung. Er sieht die Weltmeere in unzählige Habitate aufgeteilt, die von sogenannten Fronten begrenzt sind. Sie entstehen durch feine Unterschiede in der Temperatur, dem Salzgehalt und folglich der Dichte von Wassermassen.
"Fronten sind Orte im Ozean, wo sich die Dichte auf kurze Distanz schnell verändert. Das kann sowohl horizontal wie vertikal sein. Bei horizontalen Fronten treffen sich zwei Wassermassen mit unterschiedlicher Dichte. Die Front beeinflusst dann, wie sich das Wasser dort verhält. Es wird sich nicht gleich mischen, sondern einfach als getrennte Massen nebeneinander liegen."
Dass es im Ozean großräumig starke Unterschiede in Temperatur und Salzgehalt von Wassermassen gibt, ist schon länger bekannt. Sie prägen so unterschiedliche Lebensräume wie das Polarmeer oder die Karibik. Erik Mousing interessiert sich aber für viel feinere Strukturen. Kleine, schwache, lokale Fronten, nur ein paar Kilometer lang, mit einem geringen Unterschied im Salzgehalt, die jeweils nur für ein paar Tage oder Wochen bestehen. Bei einer Fahrt mit einem Forschungsschiff vor Island hat er gemeinsam mit Kollegen solche schwache Fronten untersucht und auf beiden Seiten Proben des Phytoplanktons gezogen.
"Auf jeder Seite einer Front haben wir völlig unterschiedliche Phytoplankton-Gemeinschaften gefunden. Wir haben dann untersucht, ob die dominierenden Arten der einen Seite mit der Zeit auch auf die andere Seite gelangen. Aber das war nicht der Fall. Sie blieben jeweils auf eine Seite der Front beschränkt."
Dass sich selbst entlang von kleinen Fronten starke Unterschiede in der Zusammensetzung der Arten einstellen, erklärt Erik Mousing mit dem kurzen Lebenszyklus des Phytoplanktons. Die Kleinstorganismen vermehren sich so schnell, dass kleine Unterschiede in der Umwelt binnen Tagen zu großen Veränderungen in der Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften führen können. Die einen Arten boomen, andere werden verdrängt. In diesen wie eigenständige Wasserblasen nebeneinander liegenden Lebensräumen im Meer wirkten im Grunde die gleichen Mechanismen des Entstehens und Vergehens von Arten wie an Land, so Erik Mousing.
"Entscheidend ist nicht die einzelne Front. Man muss sich aber vorstellen, dass diese kleinen Fronten überall sind. Selbst wenn eine Front zusammenbricht und sich eine Art dann auch auf die andere Seite ausbreiten kann, wird vielleicht schon in zehn Kilometern die nächste Front liegen, und nach weiteren zehn Kilometern wieder eine. Und das setzt sich so über den gesamten Ozean fort. Wenn wir die kleinräumige Verteilung der unterschiedlichen Wassermassen verstehen, könnte sich eine ganz neue Sichtweise ergeben, wie es zur Biodiversität der Kleinorganismen des Phytoplanktons im Meer kommt. Und das ist sehr, sehr aufregend."