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Pianist Igor Levit gibt Echo zurück
"Man muss ein Zeichen setzen"

Für eine Beethoven-CD bekam Igor Levit 2014 einen Echo-Klassik. Den Preis gibt er nun zurück - aus Protest gegen die Echo-Verleihung an die Rapper Kollegah und Farid Bang. Er mache das, um für Aufmerksamkeit zu sorgen, sagte Levit im Dlf. Das Rap-Album trete unter der Prämisse der Kunstfreiheit die Menschenwürde mit Füßen.

Igor Levit im Gespräch mit Anja Reinhardt | 17.04.2018
    Igor Levit mit dem Echo Klassik-Preis, Oktober 2014
    Igor Levit bekam 2014 den Echo-Klassik - jetzt will er ihn nicht mehr (imago stock&people)
    Anja Reinhardt: Manche Preise, da können sie noch so prestigeträchtig sein, haben irgendwann einen schalen Beigeschmack. So wie der Echo, der schon länger in der Kritik steht: Zu wenig schaue man hier auf Künstlerisches, zu sehr auf den Markt, denn es wird ja nach Verkaufszahlen ausgezeichnet. Die Rapper Kollegah und Farid Bang scheinen von ihrem Album "Jung, Brutal, Gutaussehend 3" sehr viele Exemplare verkauft zu haben, denn sonst wären sie vor ein paar Tagen nicht mit dem Echo in der Kategorie Hip-Hop/Urban National ausgezeichnet worden. Weil auf diesem Album aber Textzeilen zu finden sind, in denen der Holocaust sich auf Molotow reimen soll oder Auschwitz-Häftlinge auf menschenverachtende Weise beschrieben werden, gab es laute Kritik von anderen Musikern – und immer mehr geben ihren Echo, mit dem sie in der Vergangenheit ausgezeichnet wurden, jetzt aus Protest zurück. So wie der Pianist Igor Levit, der den Preis 2014 bekam. Ich konnte vor der Sendung mit Igor Levit sprechen und habe ihn gefragt, ob man damit tatsächlich ein Zeichen setzen kann?
    Igor Levit: Ja, man kann. Man muss aber vor allen Dingen Aufmerksamkeit schaffen. Und das, worum es hier geht, ist tiefer als nur der Echo. Der Echo ist ein Anlass. Der Anlass ist klar. Es gibt eine brutale Überschreitung jedweden gesellschaftlichen Konsenses. Es gibt ein Album, das unter der Prämisse der Kunstfreiheit Menschenwürde, Geschichte, Verantwortung mit Füßen tritt. Es gibt eine Organisation, deren Ethikrat und deren Mitglieder diese Art der Arbeit und diese Art der Verunglimpfung nicht nur auszeichnen, sondern sie tolerieren, ihr damit eine Plattform geben, ihr damit eine Legitimation geben, die einfach unerträglich ist. Das ist sozusagen oberflächlich in diesem Moment, worum es geht, aber natürlich ist das eigentliche Problem ein viel größeres.
    Reinhardt: Sie sind ja selbst jüdischer Herkunft.
    Levit: Ja.
    Reinhardt: Sie sind mit Ihrer Familie in den 90er-Jahren von Russland nach Deutschland gekommen.
    Levit: Ja.
    Reinhardt: Insofern würde ich jetzt mal davon ausgehen, dass Sie das besonders trifft. – Andererseits: Sie twittern sehr viel und Sie twittern in letzter Zeit auch jeden Tag einen jüdischen Witz. Das müssen Sie uns mal erklären, wie das zusammenpasst.
    Levit: Ich bin einfach mit einer großen Menge jüdischer Witze groß geworden und das gehört sozusagen zu meiner DNA. Ich liebe einfach jüdische Witze. Es gibt kaum etwas Menschlicheres und etwas aus dem Leben Herausgegriffeneres als jüdische Witze. Das ist wirklich ein großes, langes Thema. Natürlich sensibilisiert mich das, aber noch einmal: Die unerträgliche Frauenfeindlichkeit, die da eine Rolle spielt, diese Fremdenfeindlichkeit, die da stattfindet, das ist ja alles genauso da und muss auch genauso verbalisiert werden.
    "Jeder muss seinen Bürgerpflichten nachkommen"
    Reinhardt: Sie sind Musiker, Ihre Sprache ist eigentlich nicht die Sprache der Worte. Ist es für Sie deswegen besonders wichtig, sich auch explizit politisch zu äußern, was Sie ja auf Twitter auch wirklich regelmäßig und auch sehr meinungsfreudig tun?
    Levit: Ja, das ist mir wichtig, weil ich Bürger dieses Landes bin, weil ich Teil dieser Gesellschaft bin, weil jeder, damit diese Demokratie weiter existiert, seinen Bürgerpflichten nachkommen muss. Ansonsten können wir das, was wir als Demokratie leben, auch gepflegt einpacken, einrollen und in der Toilette herunterspülen. Das wird ansonsten nicht überleben. – Das ist alles.
    Das habe ich nicht erst für mich entdeckt, seitdem ich Klavier spiele, sondern das war schon immer so. Und ich glaube, um das noch mal zurückzuführen, weil das ist mir extrem wichtig. Noch einmal: Es gibt einen punktuellen Anlass dieses Echos, eine unerträgliche, eine groteske und schlimme Entscheidung dieser Organisation. Aber es gibt tiefergehend das viel größere Problem, dass sich über die letzten Jahre mal auf laute, mal auf leise Art und Weise eine Konsensverschiebung ereignet hat, die in meinen Augen gefährlich ist. Etwas, was man vor einigen Jahren noch nicht als unter tolerabler freier Meinungsäußerung hat gelten lassen, ist heute tolerierte, sogenannte freie Meinungsäußerung. Diese Verschiebung ist etwas, das mich mit großer Sorge erfüllt.
    "Wirtschaftlichkeit hin oder her - das gehört sich nicht!"
    Reinhardt: Dass ausgerechnet jetzt der größte deutsche Musikpreis dafür steht – was würden Sie denn sagen, was soll mit dem Echo passieren? Müsste man da jetzt insgesamt ein Zeichen setzen?
    Levit: Man muss ein Zeichen setzen. Die Echo-Organisatoren haben jetzt die Chance, nicht nur mit Worten à la "Wir sind gegen Fremdenfeindlichkeit" zu hantieren. Das reicht nicht! Sie müssen ein Zeichen setzen dafür, dass bei allen wirtschaftlichen Kompetenzen und bei wirtschaftlichen Zugzwängen in solchen Extremsituationen – ich muss das so nennen – die Moral obsiegt. Wenn man einen Ethikrat hat, dann darf der nicht nur den Titel führen, sondern muss auch dann dementsprechend handeln. Und wenn ein Album sich 50 Millionen Mal verkauft, was im Übrigen auch Bände spricht für den Zustand einer Gesellschaft, dass sich diese Dinge nicht nur so verkaufen, sondern sich sozusagen noch großer Beliebtheit erfreuen. Das ist aber wiederum noch ein scheinbares Extra-Kapitel. Aber, dass eine Organisation auch sagt, Wirtschaftlichkeit hin, Wirtschaftlichkeit her, das gehört sich nicht. Und da hat der Echo die Pflicht und die Chance, jetzt zu handeln. Wenn sie es tun, werden sie gestärkt daraus hervorgehen. Wenn sie es nicht tun, dann haben sie ein gigantisches Legitimationsproblem.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.