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Picasso und Nordamerika

Wer sich nicht vom Titel beeindrucken lässt bekommt eine der spannendsten Ausstellungen Italiens zu sehen. Thematisiert wird das Thema Picasso und sein Einfluss auf die Entwicklung der US-amerikanischen Kunst. Dazu der Kunsthistoriker und Kurator Pepe Karmel:

Von Thomas Migge |
    Picasso hatte eine ungemein grosse Bedeutung für die abstrakten Maler der Neuen Welt. Das ist ein Thema, das von der kunsthistorischen Forschung noch nicht umfassend untersucht worden ist. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, Werke von Picasso den Werken amerikanischer Künstler gegenüber zu stellen. Viele amerikanische Maler wie Jackson Pollock, Willem de Kooning und Archie Gorki entwickelten sich in der Folge von Picasso.

    Eine These, die Pepe Karmel mit der Gegenüberstellung der Werke verschiedener Künstler zu belegen versucht. In der Ausstellungssektion "kristalliner Kubismus" zum Beispiel ist das Ölbild "Landschaft von Horta de Ebro" von Picasso aus dem Jahr 1909 zu sehen. Ein Werk, auf dem Picasso, ganz im Stil der Kubisten, die Bildfläche holzschnittartig in Geraden aufbricht. So entsteht ein kristalliner Effekt. Der Betrachter des Bildes hat den Eindruck, als ob er die Welt wie durch einen glasklaren Bergkristall beobachtet. Karmel stellt diesem Bild eine Reihe von Werken amerikanischer Künstler gegenüber. So zum Beispiel eine Frauenstudie von Morgan Russel von 1911. Oder "Aucassin und Nicolette", ein Ölbild von Charles Demuth von 1921.

    Demuth malte, ganz in der Manier jener Periode von Picasso, eine Fabrik. Pete Karmel:

    Dann fanden die amerikanischen Künstler ihre eigenen Wege, ihre eigene Art, Picasso zu interpretieren und sich von ihm beeinflussen zu lassen. Sie alle reisten nach Europa und waren von Picasso fasziniert. Wieder zurück in den USA wurden die einzelnen künstlerischen Perioden dieses Malers ihr roter Faden. Mit den Jahren transformierten sie den Einfluss von Picasso in etwas ganz Neues, das wir in Amerika "abstrakten Expressionismus" nennen.

    "Abstrakter Expressionismus in der Folge von Picasso" - so müsste die römische Ausstellung eigentlich heissen. Eine Ausstellung übrigens, die viele Werke zeigt, die seit Jahrzehnten nicht mehr in Europa zu sehen waren.

    Pepe Karmel bezeichnet Pablo Picasso als den wichtigsten europäischen Künstler für die Entwicklung der US-amerikanischen Malerei im letzten Jahrhundert. In diesem Sinn vergleicht er ihn sogar mit dem Einfluss von Michelangelo und Leonardo da Vinci auf das Europa der Renaissance. Karmel lässt die blaue Periode Picassos aussen vor. Erst die kubistische Periode, erklärt er, machte aus dem Spanier den Meister der internationalen Avantgarde, dessen künstlerischer Werdegang fortan von den amerikanischen Künstlern in jedem seiner Aspekte aufgesogen, assimiliert und transformiert wurde.

    Karmel ist davon überzeugt, dass einige amerikanische Künstler wie beispielsweise Jackson Pollock nur durch den Einfluss von Picasso ihre ganz persönliche Form gefunden haben. Picassos Werke aus den späten Zwanziger- und Dreißigerjahren, in denen er strenge kubistische Formen mit weitausladenden Kurven verband, seien, so Karmell, für die Entstehung des abstrakten Expressionismus von Pollock unterlässlich gewesen. Erst in den Fünfzigerjahren, auch das macht die römische Ausstellung deutlich, verblasste der Einfluss von Picasso: Die amerikanischen Künstler hatten ihre eigenen Wege gefunden. Pepe Karmell:

    Diese Ausstellung hat zwei Ziele: ich wollte zum einen zeigen, dass die Kunst des nordamerikanischen Kontinents ohne Picasso und andere europäische Künstler wie Braque und Miro nicht möglich gewesen wäre. Zum anderen wollten wir zeigen, dass es amerikanische Sammler waren, die junge Künstler nach Europa schickten, um sich dort beeinflussen zu lassen. Diese Sammler gaben schon früh die von ihnen geförderten und gekauften Werke an öffentliche Museen und verbreiteten auf diese Weise die neuen Malstile.

    Ein Wort noch zur Inszenierung dieser Ausstellung: die einzelnen Gemälde und Zeichnungen hängen an tiefschwarzen Wänden. Ein ausgeklügeltes Beleuchtungssystem sorgt dafür, dass nur die verschieden grossen Bildflächen, noch nicht einmal die Rahmen, beleuchtet werden. Die Bilder scheinen auf diese Weise von innen heraus zu leuchten. Diese Art der Ausleuchtung macht es möglich, dass jeder noch so kleinste Pinselstrich deutlich erkennbar wird.

    Picasso - Donazioni a Musei Americani Rom, Palazzo Ruspoli, bis 30.1.2005