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Picassos Skulpturen
Experimente in 3D

So richtig austoben konnte sich der Maler Pablo Picasso nur in dreidimensionalen Werken. Auch weil er die Bildhauerei nie gelernt hat, war er frei von Traditionen, Regeln und Konventionen. Im New Yorker Museum of Modern Art sind jetzt 140 Skulpturen zu sehen.

Von Sacha Verna | 16.09.2015
    "Head of a Warrior" in der Ausstellung "Picasso Sculpture" im New Yorker MoMA.
    "Head of a Warrior" in der Ausstellung "Picasso Sculpture" im New Yorker MoMA. (picture-alliance / dpa / Jenny Filon)
    Nur wenige Künstler verfügen über ein malerisches Werk mit so zahlreichen und so unterschiedlichen Kapiteln wie Pablo Picasso. Man spricht von der blauen und von der rosa Periode, von seiner klassizistischen und von der surrealistischen Zeit, und damit sind längst nicht alle Phasen abgedeckt, die Picasso in den über sechzig Jahren seiner Karriere durchlebte. Auch sein bildhauerisches Werk ist von Abschnitten geprägt. Die Bezüge zu dem, was Picasso gerade als Maler beschäftigte, sind stets erkennbar. Doch nehmen die Skulpturen oft überraschende, ganz eigene Formen an.
    "Seine dreidimensionale Arbeit hat einen ganz besonderen Stellenwert. Picasso war kein gelernter Bildhauer. Er hat eine gründliche akademische Ausbildung als Maler genossen, aber die Bildhauerei entdeckte er in den Ateliers von Freunden. Er ging ohne die Last von Traditionen, Regeln und Konventionen an die Arbeit. Dieses Medium erlaubte es ihm zu spielen, zu experimentieren und zu erfinden, wie er es beim Malen nicht konnte."
    Anne Umland und ihre Ko-Kuratorin Ann Temkin haben für die Ausstellung im Museum of Modern Art hundertvierzig von Picassos Skulpturen aus Sammlungen weltweit zusammengebracht. Die früheste stammt von 1902, die letzte von 1964.
    Keine sakrosankte Grenze
    "There is no such thing as a sacrosanct boundary between painting and sculpture for him."
    Für Picasso habe es keine sakrosankte Grenze zwischen der Malerei und der Bildhauerei gegeben, sagt Anne Umland.
    Ihr Zwitterwesen demonstrieren bereits die Objekte aus Picassos kubistischen Jahren. Die Gitarren und Stillleben gleichen voluminösen Versionen der Collagen, die er vor dem Ersten Weltkrieg fabrizierte. Absinth-Gläser bestehen aus fragmentierten Ebenen mit Tiefe. Ein Frauenkopf aus bemalten Blechscheiben entstand vier Jahrzehnte später und sieht aus wie eine aufgefächerte Leinwand, während ein Körper mit wurstigen Gliedmassen dem Meister als nächstes Aktmodell dienen könnte.
    "Picasso hat immer gemalt, aber seine Bildhauerei war sporadisch. Wenn er sich ihr nach Unterbrechungen von bis zu dreizehn Jahren wieder zuwandte, arbeitete er ungeheuer intensiv, meistens mit ganz neuen Materialen, Techniken und Sujets, und das oft auch unter dem Einfluss von einem anderen Mitarbeiter und oder einer anderen Muse."
    Gefäßhafte Figuren und figurenhafte Gefäße
    Welche Materialien und Techniken Picasso benutzte, hing von Zufällen ab. Als er Mitte der 1940er Jahre zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg an die französische Riviera zurückkehrte, stiess er im Städtchen Vallauris auf eine Keramikwerkstatt. Sofort fing er an, gefäßhafte Figuren und figurenhafte Gefäße herzustellen. Auf deren Oberflächen probierte er Glasuren aus oder er versah sie mit den Abdrücken gefundener Gegenstände.
    Die entsorgten Giesskannen, Windräder und Handspaten gipste er darauf ihrerseits zu Vögeln und Blumensträussen zusammen. Und als Picasso Mitte der 1950er Jahre in einen vornehmen Vorort von Cannes zog, wo es keinen Schrottplatz gab, begann er, Holzmöbel, Kisten und Keilrahmen zu zerlegen. Daraus bastelte er sein berühmtes Ensemble der sechs "Badenden".
    Diese Ausstellung zeigt Pablo Picasso als Verwandlungskünstler. Es wird deutlich, wie spielerisch er Gegenstände modifizierte und wie er Stoffen Gestalt verlieh. Auch er selber schien dabei wieder und wieder ein anderer zu werden. Aber dieser Eindruck täuscht natürlich. Denn nichts war konstanter als sein Erfindungsgeist.
    Museum of Modern Art, New York: Picasso Sculpture. Bis 7. Februar 2016.