"Wir holen dir keine Fische raus. Ist Peter zufällig da? Die beiden machen eine Pilgerfahrt nach Wilsnack, laufen nach Wilsnack und ich bringe sie als Fährmann gerade rüber auf die andere Seite."
Heiligensee nördlich von Berlin-Tegel. Zwei Männer setzen mit dem Boot über die Havel über, genau an der Stelle, wo im Mittelalter die Pilger auf ihrem Weg zu den Wunderbluthostien nach Wilsnack die Havel überquerten.
"Das ist die historische Stelle, die schmalste Stelle über die Havel und hier sind einige Pilgerzeichen drin aus dem späten Mittelalter sicher. "
Der Berliner Geograf Wolfgang Holtz erkundet seit vielen Jahren als "Wegeforscher" alte Wege und Straßen, wie zum Beispiel die alte Poststraße von Berlin nach Hamburg oder eben den mittelalterlichen Pilgerweg von Berlin nach Wilsnack. Aus Belgien, Skandinavien, Polen, Böhmen, Nord und Mitteldeutschland kamen damals die Pilger. Nach der Reformation vergessen, entdeckten inzwischen Theologen und Historiker die Geschichte von Wilsnack wieder neu und sprechen sogar begeistert von Wilsnack als dem vielleicht viertbedeutendsten Wallfahrtsort des Spätmittelalters.
Am 16. August 1383 hatte Heinrich von Bülow im Zuge einer Fehde "ganz nach Art der Bassewitz und Königsmarck", wie Theodor Fontane schrieb, das nördlich von Havelberg liegende Dorf Wilsnack in Brand gesteckt. In den Trümmern der Kirche fand der Priester des Dorfes, nachdem ihn eine göttliche Stimme dazu aufgefordert hatte, eine Hostienbüchse, deren drei geweihte Hostien weder verbrannt noch verkohlt, sondern wie mit Blut gefärbt waren. Und damit begann der rasche Aufstieg von Wilsnack als Wallfahrtsort.
Das Wilsnacklaufen, wie es genannt wurde, muss im 15. Jahrhundert epidemische Ausmaße angenommen haben, glaubt man den Chronisten der Zeit. So berichtete der Erfurter Pfarrer Konrad Stolle, dass die Menschen wie im Fieber ihre Arbeit auf dem Feld oder Werkstatt liegen gelassen hätten, um singend nach Wilsnack zu laufen. Besonders Kinder und Jugendliche seien davongelaufen, barfuss und ohne Brot und ihre Lehrer und weinenden Mütter hinterher.
Vor kurzem fand im heutigen Bad Wilsnack eine Tagung zum Thema statt und der Potsdamer Historiker Heinz-Dieter Heimann versuchte das Phänomen zu erklären:
"Wir sind in der Situation, wo sich eine Gesellschaft von den großen Pest- und Massensterblichkeiten des späten 14. Jahrhunderts beginnt zu erholen, aber das Echo in der Demografie, in dem Aufbau der Gesellschaft, das klingt noch nach. Sie können beobachten, es gibt an verschiedenen Stellen bei der Anhebung des Vormundschaftsalters, auch eine Angst der älteren Generation vor den Jugendlichen. Solche Phänomen auf diese übertragen ist einfach ein Stück, dass man sagt es sind zunächst die sich emotional in Gemeinschaften mitzuteilen zu haben und befristet gleichsam eine Gegenkultur benutzen. Man kann sagen das ist ein Glaubenshappening."
Das klingt sehr vertraut. Und wie schon damals spielen ebenso heute bei der Wiederentdeckung von Wilsnack handfeste Interessen von Tourismus und Gastgewerbe eine nicht geringe Rolle. Heinz-Dieter Heimann rät daher eher zur Skepsis, wenn um die angeblichen Pilgermassen geht.
" Auch in den jeweiligen Konferenzen wird ohne jedes großes Nachfragen von einer Massenpilgerfahrt gesprochen. Was da eigentlich massenhaft ist, ist ja noch gar nicht dezidiert ausgearbeitet worden. Die Quellen lassen eher erkennen, dass es eher Einzelaktionen sind, die in Gruppen organisiert sind, dann noch saisonal gewesen sind, das zweite ist, dass wir am Ende feststellen, zum Ende des 15. Jahrhunderts: erst jetzt erst gehen also größere Gemeinschaften, die für die Beobachtenden noch nicht zuzuordnen sind und es ist eher das Phänomen der Bewegung, sozusagen, soziologisch, was Unruhe stiftet, noch nicht die Masse. "
Zu sehen war damals eigentlich rein gar nichts, wie der Magdeburger Domherr Heinrich Tocke bereits 1443 bezeugte, und die Wunder waren ebenso rar.
"Wir befinden uns jetzt in dem Raum, in dem der Wunderblutschrein steht, der eigens dafür gebaut wurde, um die Monstranz mit den darin befindlichen Wunderbluthostien aufzubewahren."
Geblieben ist dieser Wunderblutschrein, eine Schale der Sündenwaage sowie diese beeindruckende und für das Kleinstädtchen Bad Wilsnack viel zu große Kirche. Auf dem alten Pilgerweg ist ebenso noch vieles zu entdecken. An viele Kirchen entlang des Weges passierten schon damals die Pilger. Hier lässt sich oft noch reines Mittelalter bestaunen. Die Stephanuskapelle an der Wusterhausener Stadtmauer schmücken zum Beispiel außergewöhnliche Fresken, sehr weich in den Konturen und mit fast jugendstilhaften Pflanzenornamenten.
Der Förderverein "Alte Kirchen in Brandenburg" hat nun dazu einen kulturhistorischen Führer herausgegeben. Eineinhalb Jahrhunderte lang zog die Wilsnacker Wallfahrt Menschen aus vielen Ländern an und unter den Theologen der Vorreformation war diese Gegenstand heftigster Polemiken. Dann warf 1552 der erste protestantische Pfarrers von Wilsnack, Joachim Ellefeld, die Bluthostien ins Feuer. Ellefeld musste danach Brandenburg verlassen und seine Spur verliert sich, aber die Wallfahrt fiel in sich zusammen und bald erinnerte nichts mehr an sie, als sei den Bewohnern dieses Treiben selbst peinlich geworden. Und das ist eigentlich das Erstaunlichste an dieser Geschichte.
"Warum 1552 nicht eigentlich ein Skandal geworden ist, das hätte ich auch gern gewusst. Es kann bedeuten, dass die Wahrnehmung von Wilsnack eine völlig andere war für die Zeitgenossen, die große Zeit war vielleicht schon weg. Die zweite Möglichkeit, dass ist in der Tat, dass das Interesse der beiden entstehenden Konfessionen sich neutralisiert hatte. Keine Seite wollte nicht mehr, Gut Wilsnack hat etwas bedeutet für die Hohenzollern, um hier im Lande anzukommen, jetzt setzt man auf die Zukunft und Berlin und Wilsnack ist ausgestanden."
Heiligensee nördlich von Berlin-Tegel. Zwei Männer setzen mit dem Boot über die Havel über, genau an der Stelle, wo im Mittelalter die Pilger auf ihrem Weg zu den Wunderbluthostien nach Wilsnack die Havel überquerten.
"Das ist die historische Stelle, die schmalste Stelle über die Havel und hier sind einige Pilgerzeichen drin aus dem späten Mittelalter sicher. "
Der Berliner Geograf Wolfgang Holtz erkundet seit vielen Jahren als "Wegeforscher" alte Wege und Straßen, wie zum Beispiel die alte Poststraße von Berlin nach Hamburg oder eben den mittelalterlichen Pilgerweg von Berlin nach Wilsnack. Aus Belgien, Skandinavien, Polen, Böhmen, Nord und Mitteldeutschland kamen damals die Pilger. Nach der Reformation vergessen, entdeckten inzwischen Theologen und Historiker die Geschichte von Wilsnack wieder neu und sprechen sogar begeistert von Wilsnack als dem vielleicht viertbedeutendsten Wallfahrtsort des Spätmittelalters.
Am 16. August 1383 hatte Heinrich von Bülow im Zuge einer Fehde "ganz nach Art der Bassewitz und Königsmarck", wie Theodor Fontane schrieb, das nördlich von Havelberg liegende Dorf Wilsnack in Brand gesteckt. In den Trümmern der Kirche fand der Priester des Dorfes, nachdem ihn eine göttliche Stimme dazu aufgefordert hatte, eine Hostienbüchse, deren drei geweihte Hostien weder verbrannt noch verkohlt, sondern wie mit Blut gefärbt waren. Und damit begann der rasche Aufstieg von Wilsnack als Wallfahrtsort.
Das Wilsnacklaufen, wie es genannt wurde, muss im 15. Jahrhundert epidemische Ausmaße angenommen haben, glaubt man den Chronisten der Zeit. So berichtete der Erfurter Pfarrer Konrad Stolle, dass die Menschen wie im Fieber ihre Arbeit auf dem Feld oder Werkstatt liegen gelassen hätten, um singend nach Wilsnack zu laufen. Besonders Kinder und Jugendliche seien davongelaufen, barfuss und ohne Brot und ihre Lehrer und weinenden Mütter hinterher.
Vor kurzem fand im heutigen Bad Wilsnack eine Tagung zum Thema statt und der Potsdamer Historiker Heinz-Dieter Heimann versuchte das Phänomen zu erklären:
"Wir sind in der Situation, wo sich eine Gesellschaft von den großen Pest- und Massensterblichkeiten des späten 14. Jahrhunderts beginnt zu erholen, aber das Echo in der Demografie, in dem Aufbau der Gesellschaft, das klingt noch nach. Sie können beobachten, es gibt an verschiedenen Stellen bei der Anhebung des Vormundschaftsalters, auch eine Angst der älteren Generation vor den Jugendlichen. Solche Phänomen auf diese übertragen ist einfach ein Stück, dass man sagt es sind zunächst die sich emotional in Gemeinschaften mitzuteilen zu haben und befristet gleichsam eine Gegenkultur benutzen. Man kann sagen das ist ein Glaubenshappening."
Das klingt sehr vertraut. Und wie schon damals spielen ebenso heute bei der Wiederentdeckung von Wilsnack handfeste Interessen von Tourismus und Gastgewerbe eine nicht geringe Rolle. Heinz-Dieter Heimann rät daher eher zur Skepsis, wenn um die angeblichen Pilgermassen geht.
" Auch in den jeweiligen Konferenzen wird ohne jedes großes Nachfragen von einer Massenpilgerfahrt gesprochen. Was da eigentlich massenhaft ist, ist ja noch gar nicht dezidiert ausgearbeitet worden. Die Quellen lassen eher erkennen, dass es eher Einzelaktionen sind, die in Gruppen organisiert sind, dann noch saisonal gewesen sind, das zweite ist, dass wir am Ende feststellen, zum Ende des 15. Jahrhunderts: erst jetzt erst gehen also größere Gemeinschaften, die für die Beobachtenden noch nicht zuzuordnen sind und es ist eher das Phänomen der Bewegung, sozusagen, soziologisch, was Unruhe stiftet, noch nicht die Masse. "
Zu sehen war damals eigentlich rein gar nichts, wie der Magdeburger Domherr Heinrich Tocke bereits 1443 bezeugte, und die Wunder waren ebenso rar.
"Wir befinden uns jetzt in dem Raum, in dem der Wunderblutschrein steht, der eigens dafür gebaut wurde, um die Monstranz mit den darin befindlichen Wunderbluthostien aufzubewahren."
Geblieben ist dieser Wunderblutschrein, eine Schale der Sündenwaage sowie diese beeindruckende und für das Kleinstädtchen Bad Wilsnack viel zu große Kirche. Auf dem alten Pilgerweg ist ebenso noch vieles zu entdecken. An viele Kirchen entlang des Weges passierten schon damals die Pilger. Hier lässt sich oft noch reines Mittelalter bestaunen. Die Stephanuskapelle an der Wusterhausener Stadtmauer schmücken zum Beispiel außergewöhnliche Fresken, sehr weich in den Konturen und mit fast jugendstilhaften Pflanzenornamenten.
Der Förderverein "Alte Kirchen in Brandenburg" hat nun dazu einen kulturhistorischen Führer herausgegeben. Eineinhalb Jahrhunderte lang zog die Wilsnacker Wallfahrt Menschen aus vielen Ländern an und unter den Theologen der Vorreformation war diese Gegenstand heftigster Polemiken. Dann warf 1552 der erste protestantische Pfarrers von Wilsnack, Joachim Ellefeld, die Bluthostien ins Feuer. Ellefeld musste danach Brandenburg verlassen und seine Spur verliert sich, aber die Wallfahrt fiel in sich zusammen und bald erinnerte nichts mehr an sie, als sei den Bewohnern dieses Treiben selbst peinlich geworden. Und das ist eigentlich das Erstaunlichste an dieser Geschichte.
"Warum 1552 nicht eigentlich ein Skandal geworden ist, das hätte ich auch gern gewusst. Es kann bedeuten, dass die Wahrnehmung von Wilsnack eine völlig andere war für die Zeitgenossen, die große Zeit war vielleicht schon weg. Die zweite Möglichkeit, dass ist in der Tat, dass das Interesse der beiden entstehenden Konfessionen sich neutralisiert hatte. Keine Seite wollte nicht mehr, Gut Wilsnack hat etwas bedeutet für die Hohenzollern, um hier im Lande anzukommen, jetzt setzt man auf die Zukunft und Berlin und Wilsnack ist ausgestanden."