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Pilgerreise, Wagner und dörfliche Enge

Ein herausragender Dokumentarfilm zeigt Begeisterung des britischen und jüdischen Regisseurs Stephen Fry für die Musik des bekennenden Antisemiten Richard Wagner. In Emilio Estevez ruhigem Roadmovie wird gepilgert und in Markus Busch Debütfilm integrieren sich zwei Außenseiter in eine Dorfgemeinschaft.

Von Hartwig Tegeler |
    Eine Frau geht bei Ebbe ans Meer. Trostlos und einsam erscheint die Weite der friesischen Landschaft fernab jeglicher Urlaubsromantik, in die es Tania, Anfang 40, Schauspielerin aus München, verschlagen hat. Am Strand trifft sie den 15-jährigen Thore:

    "Ich kenne Sie. Haben Sie keine Angst? - Vor wem? Vor Dir? - Hier ist gerade letzte Woche eine Frau überfallen worden. - Was hast du denn Schlimmes mit ihr angestellt?"

    Markus Busch erzählt in seinem Debütfilm "Die Räuberin" von zwei Außenseitern, die sich beide ein Leben in der Enge der dörflichen Kultur erkämpfen und dabei in die Tiefe alter Verletzungen stoßen. Eindrucksvoll entwickelt die Schauspielerin Birge Schade, bisher vor allem aus ihren TV-Rollen bekannt, diese Flüchtige, die es hoch in den Norden verschlägt, zu einer kraftvollen Frauenfigur.

    "Die Räuberin" von Markus Busch - empfehlenswert.

    Am Anfang von "Wagner & Me" Bayreuther Impressionen: Wotanstraße, Tannhäuserstraße, Richard-Wagner-Apotheke, der "grüne Hügel".

    "Für jeden, der Wagner verehrt",

    sagt Stephen Fry,

    "ist dieser Ort Stratford-upon-Avon, Mekka und Graceland in einem: Bayreuth. Davon habe ich immer geträumt","
    lächelt dieser Besucher glückselig. Ja, glückselig! In "Wagner & Me", Patrick McGradys Dokumentation, die Stephen Frys eloquentes Flanieren durch Bayreuth zeigt, muss man sich Fry vorstellen wie bei einem Kindergeburtstag, wenn´s endlich an das größte aller Geschenke geht. Mit zwölf hat Fry das erste Mal Wagner gehört.

    ""…die Musik hat innere Kräfte bei mir freigesetzt","
    meint der Brite, während er in "Wagner & Me" durch die Werkstätten von Bayreuth schlendert oder die Proben zum "Ring der Nibelungen" besucht. Herrlich, Fry zuzusehen, wie er seine Wagner-Mania zelebriert. Dann ein Schnitt. Und wir sehen einen Mann, den Wagners Antisemitismus schockiert:

    ""Wenn Wagner schreibt, dass er eine instinktive Abscheu gegenüber Juden hegt, das ist"," sagt der Jude Fry, ""ganz furchtbar. Als ob wir verabscheuenswert wären."

    Nur, fragt sich der Schriftsteller, Schauspieler, Intellektuelle, beschädigt das die Musik, die für ihn, den jüdischen Schwulen, wie "von Engeln" geschrieben scheint, die aber auch Hitler und den Nazis als "göttergleich" galt. Geschickt und informativ verbindet "Wagner & Me" historische Exkurse mit Stephen Frys persönlichen Impressionen, wenn der sich hinein begibt in den Kosmos dieser von ihm so verehrten Musik.

    Doch seine Ambivalenz gegenüber dem Werk und dem Künstler kann Stephen Fry bei aller Verehrung nicht an der Garderobe abgeben. Also, meint er, bevor er eintrete in den Musiktempel, um das erste Mal Wagner in Bayreuth live zu hören, sei noch ein Gespräch nötig, und er reist nach London zur Holocaust-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch, Cellistin im KZ-Orchester von Auschwitz. Darf man noch Wagner hören, fragt der Jude Fry die Jüdin Lasker-Wallfisch, nach all dem, was man über seinen Antisemitismus und seine Rolle und die seiner Musik bei den Nazis weiss.

    "Ach, was","

    meint Anita Lasker-Wallfisch,

    ""Musik kann man nicht besudeln."

    Aber, fügt sie leicht grinsend hinzu, Wagner hin, Wagner her, sie könnte sich nie fünf Stunden lang, auf einem harten Stuhl sitzend, diesen Lärm anhören. Doch Stephen Fry muss seiner Sehnsucht folgen, und "very british" schreitet er am Ende dieses klugen Fanprojekts im Smoking die Stufen des Festspielhauses zur Premiere des "Ringes" empor - mit zu kurzen, ergo alle Ehrfürchtigkeit konterkarierenden Smoking-Hosen. Herrlich schräge.

    "Wagner & Me" mit Stephen Fry - herausragend


    Am ersten Tag seiner Pilgerreise verunglückt ein Sohn auf dem Jakobsweg, der von Frankreich ins spanische Santiago de Compostella führt. Im Film "Dein Weg" will der Vater Tom Daniels Asche heim in die USA bringen und trifft kurzfristig die Entscheidung, mit dieser Asche des Sohnes den Pilgerpfad zu gehen. Falsches Motiv?

    "Mr. Avery, wissen Sie, warum sie den Weg gehen wollen? - Ich nehme an, ich tue es für Daniel. - Den Weg geht man für sich selbst, nur für sich selbst."

    Egal, warum, Tom wird auf dem (!) Jakobsweg gehen, zusammen mit einem Holländer, der abnehmen, einer Kanadierin, die sich das Rauchen abgewöhnen, und einem irischen Schriftsteller, der seine Schreibblockade überwinden will. Emilio Estevez, Regisseur von "Dein Weg", erzählt mit seinem Vater Martin Sheen in der Hauptrolle ein spirituelles Roadmovie. Dramatische Effekte oder Überhöhungen wird man vergebens suchen. "Dein Weg" wirkt unspektakulär, fast dokumentarisch. Was die Pilgerreise, die hierzulande durch Hape Kerkelings Bericht wieder in ein breites Bewusstsein gerückt wurde, was "der Weg" in seinen Figuren anrichtet, deutet Emilio Estevéz an, ohne religiösen oder spirituellen Kitsch. Vier Menschen gehen auf einem Pilgerweg; am Ende sind sie sich selbst näher gekommen. Ist das viel oder wenig? Die Antwort auf diese Frage müssen die Zuschauer dieses sehr schönen Films selbst beantworten.

    "Dein Weg" von Emilio Estevéz - herausragend.