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Pilgerreise zum "Wasser des Lebens"

Zwölf Jahre sollte ein reifer Scotch mindestens auf dem Buckel haben. Gar nicht mal so einfach, wenn die Kunden schon immer so gern die Fässer mit dem jungen Whisky leer trinken. Und dann verlangen auch noch die Engel ihren Anteil.

Von Ruth Rach |
    Gleich hinter den nackten Felsbrocken, hinter dem geschwungenen Höhenzug, beginnt der Strand. Uig Sands schimmert wie Perlmutt und gesponnenes Gold. Der Tag ist mild und klar, man könnte am Mittelmeer sein und gar nicht auf einer Insel vor dem äußersten Nordwestzipfel von Schottland. Am Wegrand wachen mannshohe Holzfiguren: eine Königin, die mit bestürzten Kulleraugen ins Weite blickt. Ein Krieger, der kampfwütig ins eigene Schild beißt. Auf dem Wegweiser steht Abhainn Dearg, gälisch für Roter Fluss.

    "Gleich dort drüben hat ein Bauer vor über 100 Jahren einen Klüngel grotesker Figuren gefunden, erzählt Mike, Dichter, Weber und Fremdenführer auf Lewis and Harris. Der Bauer, ein tief religiöser Mann, sei schreiend davongelaufen. Er dachte, das seien böse Kobolde. Später stellte sich heraus: das waren mittelalterliche Schachfiguren, von einem Wikingerschiff herangeschwemmt. Heute sind sie – eine Kostbarkeit - im Britischen Museum."

    Ein schwarzer Hund schläft auf einem Schotterhaufen . Ein Traktor steht mitten in der der Wiese. Weiter hinten, ein niedriges Bauernhaus. Und ein Riesenschuppen, mit rotem Wellblech abgedeckt. Irgendwie hatte ich mir eine Whiskybrennerei auf den Äußeren Hebriden romantischer vorgestellt.

    Marko, vierschrötig, Dreitagesbart, winkt uns ins Haus. Und dann in einen Raum, halb Garage, halb Gerätekammer. Seine Küche.

    "Wollt Ihr eine Tasse Tee, oder lieber etwas Stärkeres?", fragt Marko. Wir wollen Stärkeres. Marko Taburn ist Anfang 40 und reichlich tätowiert. Typ keltischer Cowboy mit viel Charme. Den linken Fuß hat er im Gips. Gerissene Achillessehne, sagt Marko. Nicht weiter schlimm. Abhainn Dearg, - ein Single Malt, drei Jahre alt. Marko hebt seine Teetasse. "Slanch". Das ist Gälisch für: Zum Wohl.

    Auf den westlichen Inseln wird schon seit Jahrhunderten Whisky gebrannt, auf Gälisch "uisge beatha" – "Wasser des Lebens", erzählt Marko. Vor acht Jahren gründete er seine Whiskybrennerei. Aveen Yarak, Roter Fluss, die einzige legale Destillerie auf den Westlichen Insel. Sein Land ist wild und unberührt. Keine Häuser, keine Landwirtschaft. Das Wasser ist rein, und von höchster Qualität.

    Zak, ein schlaksiger Teenager, führt uns zur Destillerie. Zak platzt vor Stolz. Er ist der einzige Whiskylehrling auf den Äußeren Hebriden. In seiner Schatzhöhle – dem Schuppen – herrscht eine peinliche Ordnung. Blankpolierte Kupferkessel, gleißende Rohre, riesige Holzbottiche, Dutzende von Eichenfässern. Es riecht leicht süßlich nach Bier und Rauch.

    Die Herstellungsmethode ist ein bisschen wie beim Bier: Gerste in Wasser einweichen, und nach dem Keimen über dem Torffeuer trocknen. So entsteht das rauchige Aroma. Anschließend mahlen, und mit heißem Wasser vermischen. Dann kommt die Hefe dazu. Das Gebräu beginnt zu gären, es riecht leicht nach Bier, und enthält etwa 5 Prozent Alkohol. Und jetzt beginnt die Destillation: zweimal in Schottland, dreimal übrigens in Irland (weil's die Iren beim zweiten Mal noch nicht richtig können, frotzeln die Schotten). Das zweite Destillat enthält 70 Prozent Alkohol. Es wird leicht verdünnt in Eichenfässer abgefüllt und muss mindestens drei Jahre lagern, um sich den Namen Whisky zu verdienen.

    Die zweite Kostprobe. In der guten Stube sitzen schon zwei Freiwillige auf uralten Ledersofas. Ein paar zerdellte Koffer dienen als Ablage. Mikes Onkel Ian McLoud, von Beruf Bauer und Tweedweber, und Jamie Mcgrigor, Abgeordneter im schottischen Parlament. Jamie ist von Kopf bis Fuß in dicken Tweed eingepackt, und heftig am Schwitzen. Direkt über ihm hängt eine Kuckucksuhr, ein Hirschgeweih, und ein Wetterhäuschen.

    "Dieser Tropfen wird alles heilen, sogar ein gebrochenes Bein."

    Diesmal serviert Marko seinen "Spirit of Lewis". Der komme dem ursprünglichen Whisky näher, weil er weniger als drei Jahre in gelagert wurde. Und ist so beliebt, dass ihm die Kunden am liebsten gleich alle Fässer leertrinken würden. Aber dann käme Marko er nie zum Ziel, einem reifen, mindestens 12 Jahre alten Whisky. Und so muss er sich gedulden, auch wenn sein Finanzberater das Unternehmen für eine Spinnerei hält und es am liebsten sofort verkaufen würde.

    Die Männerrunde schwatzt über Gott und die Welt. Klimawandel, nachhaltige Landwirtschaft. Genügsamkeit. In jüngster Zeit ist das Interesse an Crofts, kleinen Bauernhöfen, die nur gepachtet werden können, enorm gestiegen. Immer mehr junge Leute kehren zum einfachen Leben zurück. Wie zum Beispiel Mike, mein Fremdenführer der seinen Job als Disk Jockey in Glasgow aufgab, um Tweed weben zu lernen. Und Marko, der in der Baubranche in Glasgow gutes Geld verdiente, sich dort aber furchtbar einsam fühlte und jetzt lieber in Uig seinen Whisky brennt. Wir sind nur Durchreisende auf dieser Welt, sagt Marko. Wir sind unseren Kindern eine Zukunft schuld. Marko spendiert noch ein Schlückchen, einen "wee dram" von seinem "Spirit of Lewes"

    "Während der Reifung verdunstet jedes Jahr noch einmal zwei Prozent Alkohol. 'The Angels Share', der Engelsanteil nennen ihn die Brenner."

    Das Fass muss atmen, sagt Marko: und ganz klar, die glücklichsten Engel schweben über Schottland.