Archiv


Pille gegen Drogensucht

Medizin. - Rasch eine Pille geschluckt, und schon ist ein Kokainsüchtiger wieder clean? Schön wär's, mag man sich denken, aber so eine Wunderarznei gegen die Drogensucht ist bislang noch Sciencefiction. Doch nun hat ein Forscherteam aus den USA eine viel versprechende Studie veröffentlicht: Die Wissenschaftler stellen eine Substanz vor, die das Verlangen nach Kokain deutlich vermindern und dadurch den Entzug einfacher machen soll.

Von Frank Grotelüschen |
    Wir haben gezeigt, dass wir Kokainsucht wirkungsvoll therapieren können. Die Personen, die wir mit Erfolg behandelt haben, sind nun seit fast sechs Monaten clean.

    Stephen Dewey ist sichtlich stolz auf sein Ergebnis. Und erleichtert ist er auch. Schließlich arbeitet er schon seit 15 Jahren an der Pille gegen die Drogensucht, und zwar am Brookhaven National Laboratory in der Nähe von New York. Vor einiger Zeit stieß Dewey auf ein Medikament, das eigentlich zur Epilepsiebehandlung bei Kindern dient. GVG, so heißt die Substanz, Gamma vinyl-GABA. Dewey:

    Der Wirkstoff zielt auf die Regulierung von Dopamin im Gehirn. Dopamin ist der Botenstoff, der im Gehirn von Drogenabhängigen Freude und Euphorie auslöst. Im Tierversuch zeigte sich, dass GVG die Euphorie nach der Kokaineinnahme einschränkt.

    Was aber passiert dabei genau? Wie im Detail wirkt das GVG ? Um das herauszufinden, untersuchte Stephen Dewey erst Versuchstiere und später drogensüchtige Menschen mit einem Spezialapparat - dem PET-Scanner. Dieses Gerät liefert nicht nur Bilder vom Gehirn, sondern macht mit Hilfe von radioaktiven Markern insbesondere auch Stoffwechselprozesse sichtbar: Es zeigt in Echtzeit, was sich bei der Kokainaufnahme im Gehirn abspielt, und wie das neue Medikament wirkt.

    Schon länger wussten die Forscher, was Kokain im Hirn veranstaltet: Es dockt an bestimmten Stellen an und lässt den Botenstoff Dopamin in Strömen fließen - bis zu 1000 Mal stärker als normal. Auf die Dopaminschwemme reagiert das Hirn mit Euphorie und Hochgefühl - und belohnt damit sozusagen den Konsumenten. Anders, wenn vor dem Kokainkonsum das Medikament GVG geschluckt wurde. Dewey:

    Es verhindert zwar nicht, dass das Kokain an seinem Rezeptor andockt. Aber es blockiert die Folgen des Andockens. Das GVG verhindert quasi die extreme Dopaminausschüttung, die das Kokain normalerweise bewirkt. Und damit bleibt auch die Wirkung der Droge aus - keine Euphorie, kein Hochgefühl, keine Belohnung dafür, die Droge genommen zu haben.

    Wenn Hochgefühl und Euphorie ausbleiben, dann fällt der Entzug leichter - so das Kalkül. Im Detail passiert folgendes: Das Medikament regt die massenhafte Freisetzung eines anderen Botenstoffs an, GABA genannt. GABA ist ein so genannter Inhibitor, schaltet die Wirkung des Dopamins ab und macht wenn man so will die Schotten dicht für die Dopaminflut. Das Resultat: Der Drogenkick bleibt aus. Von den 20 Süchtigen, die an Deweys Studie teilgenommen haben, gelten acht als dauerhaft geheilt - was die Forscher als Erfolg werten. Aber:

    Der Wirkstoff scheint, nimmt man ihn über längere Zeit ein, bei einem Drittel der Patienten zu Einschränkungen des Gesichtsfelds zu führen. Die Patienten merken zwar nichts davon, aber es ist ein messbarer Effekt. Diese Nebenwirkungen untersuchen wir gerade in einer zweiten Studie. Wir wollen wissen, ob es genügt, GVG über relativ kurze Zeit zu geben, sodass die Nebenwirkungen ausbleiben. Und es sieht so aus, als würde das klappen.

    Eine Medikation von sechs Wochen genügt, so legt die jüngste Studie nahe. Doch bevor die Anti-Kokain-Pille zugelassen werden kann, sind noch weitere klinische Studien mit mehr Teilnehmern nötig. Und vor allzu hohen Erwartungen kann Stephen Dewey nur warnen.

    Es ist keine magische Kugel, kein Allheilmittel. Nicht jeder, der das Medikament schluckt, wird automatisch clean. Die Abhängigen müssen schon von der Droge loskommen wollen, sonst entfaltet unser Medikament nicht die volle Wirkung.