Karin Fischer: Doping in Westdeutschland, und zwar in größerem Ausmaß als bisher angenommen, war das Thema der Woche. Wir wollen fragen: Wie steht es um leistungssteigernde Mittel im Kunstbetrieb? Schillers vergammelte Äpfel auf dem Schreibtisch sind zum Symbol fürs Privat-Doping eines um Inspiration ringenden Schriftstellers geworden; in den 70er-Jahren wurde psychedelisch experimentiert; und heute? Ist der Leistungsdruck zum Movens Nummer eins geworden, wenn Kreative zu Pillen greifen. - Deirdre Mahkorn ist Fachärztin für Neurologie und Oberärztin für Psychiatrie an der Uniklinik in Bonn und behandelt dort auch Musikerinnen und Musiker in ihrer Lampenfieber-Ambulanz. Frau Mahkorn, über welche Mittel reden wir, müssen wir reden, wenn wir über Doping unter Musikern sprechen?
Deirdre Mahkorn: Wenn wir über Doping unter Musikern sprechen, müssen wir natürlich auch über Angst sprechen. Aufgrund des sehr kompetitiven Musikbetriebs ist es so, dass viele Musiker Angst entwickeln, und da, wo die Angst verbreitet ist, ist die Sucht auch nicht weit. Deswegen müssen wir unbedingt über abhängig machende Substanzen sprechen. Dazu gehört natürlich der Alkohol, dazu gehört mittlerweile in der neuen Generation auch der Cannabis-Konsum, dazu gehören aber auch Sedativa, Schlafmittel und Benzodiazepine, und bei den Musikern gibt es zur Symptomkontrolle seit etwa den 70er-Jahren eine relativ verbreitete Tradition, Betablocker einzunehmen, die zwar nicht abhängig machen, aber die Symptome der Angst ganz eklatant kontrollieren.
Fischer: Was die Zahl der Betroffenen angeht, gibt es nur Vermutungen; das Freiburger Zentrum für Musikermedizin hat im vergangenen Jahr mal geschätzt, dass fast 50 Prozent aller Orchestermusiker vor dem Auftritt regelmäßig Beruhigungsmittel, also Tranquilizer, nehmen. Ist das realistisch?
Mahkorn: Das halte ich für durchaus realistisch. Es kommt natürlich auch darauf an, welches Kollektiv man befragt. Ich habe persönlich an der Kölner Musikhochschule und auch an anderen Musikhochschulen Studenten befragt, von denen etwa 80 Prozent eingeräumt haben, Angst zu kennen, und auch bereit waren, Substanzen eingenommen zu haben, um ihre Angst zu kontrollieren. Wenn Sie ein Symphonieorchester befragen, wie wir das in Bonn natürlich auch getan haben, dann werden Sie feststellen, dass die ältere Generation vor allem an den Musikhochschulen erstmals zu Betablockern gegriffen hat, meist durch eine Empfehlung eines Kollegen oder eines Lehrers. Und wenn man dann weiter fragt, dann ist natürlich auch immer wieder die Information zu haben, dass etwa zehn Prozent immer wieder regelmäßig in den Vorstellungen zu Alkohol greifen.
Fischer: Sie haben jetzt schon zweimal, Frau Mahkorn, Ängste erwähnt. Perfektion wird in guten Symphonieorchestern, in guten Orchestern vorausgesetzt. Es ist klar, dass Auftritte mit Stress, oft auch mit Lampenfieber verbunden sind. Ist das eine Art persönlicher Disposition, oder ist tatsächlich die Belastung größer geworden?
Mahkorn: Ich glaube, dass beides zutrifft. Zum einen ist es natürlich ein sehr kompetitives System. Es geht los mit den Aufnahmeprüfungen, an den Musikhochschulen geht es weiter mit Wettbewerben und Klassenvorspielen. Das Probespielsystem, mit dem man sich eine Stelle in einem Orchester erspielt – man muss gewinnen -, ist natürlich auch erheblich kompetitiver geworden, und das setzt sich dann nachher fort. Die Musiker sind so geprägt und so sozialisiert, dass sie ihr Umfeld so erleben, dass es sie beäugt und dass es sie permanent auch auf Qualität hin abklopft, und vor dem Hintergrund ist Angst sicher in diesem kompetitiven System immer größer und immer problematischer geworden.
Fischer: Nun haben wir derzeit wieder eine Doping-Diskussion im Sport, es geht um Anabolika in den 70er-Jahren. Heute hat man Betablocker, aber auch Cholesterin-Hemmer, Kalzium-Präparate, Kokain, Koffein, Viagra oder Alkohol – je nach Einsatzgebiet sind das alles irgendwie leistungssteigernde Mittel. Ist die Doping-Diskussion heuchlerisch, wenn sich doch jeder medikamentös tunt?
Mahkorn: Ich glaube, dass unsere Zeit das von den Menschen verlangt, dass sie permanent Höchstleistung bringen, und vor dem Hintergrund wollen viele nicht zurückfallen und damit wird dann plötzlich die Einnahme dieser Substanzen, so umstritten sie sind, pseudolegitim und wird auch in Fachkreisen immer wieder debattiert.
Fischer: Deirdre Mahkorn, Oberärztin für Neurologie und Psychiatrie in Bonn, danke fürs Kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Deirdre Mahkorn: Wenn wir über Doping unter Musikern sprechen, müssen wir natürlich auch über Angst sprechen. Aufgrund des sehr kompetitiven Musikbetriebs ist es so, dass viele Musiker Angst entwickeln, und da, wo die Angst verbreitet ist, ist die Sucht auch nicht weit. Deswegen müssen wir unbedingt über abhängig machende Substanzen sprechen. Dazu gehört natürlich der Alkohol, dazu gehört mittlerweile in der neuen Generation auch der Cannabis-Konsum, dazu gehören aber auch Sedativa, Schlafmittel und Benzodiazepine, und bei den Musikern gibt es zur Symptomkontrolle seit etwa den 70er-Jahren eine relativ verbreitete Tradition, Betablocker einzunehmen, die zwar nicht abhängig machen, aber die Symptome der Angst ganz eklatant kontrollieren.
Fischer: Was die Zahl der Betroffenen angeht, gibt es nur Vermutungen; das Freiburger Zentrum für Musikermedizin hat im vergangenen Jahr mal geschätzt, dass fast 50 Prozent aller Orchestermusiker vor dem Auftritt regelmäßig Beruhigungsmittel, also Tranquilizer, nehmen. Ist das realistisch?
Mahkorn: Das halte ich für durchaus realistisch. Es kommt natürlich auch darauf an, welches Kollektiv man befragt. Ich habe persönlich an der Kölner Musikhochschule und auch an anderen Musikhochschulen Studenten befragt, von denen etwa 80 Prozent eingeräumt haben, Angst zu kennen, und auch bereit waren, Substanzen eingenommen zu haben, um ihre Angst zu kontrollieren. Wenn Sie ein Symphonieorchester befragen, wie wir das in Bonn natürlich auch getan haben, dann werden Sie feststellen, dass die ältere Generation vor allem an den Musikhochschulen erstmals zu Betablockern gegriffen hat, meist durch eine Empfehlung eines Kollegen oder eines Lehrers. Und wenn man dann weiter fragt, dann ist natürlich auch immer wieder die Information zu haben, dass etwa zehn Prozent immer wieder regelmäßig in den Vorstellungen zu Alkohol greifen.
Fischer: Sie haben jetzt schon zweimal, Frau Mahkorn, Ängste erwähnt. Perfektion wird in guten Symphonieorchestern, in guten Orchestern vorausgesetzt. Es ist klar, dass Auftritte mit Stress, oft auch mit Lampenfieber verbunden sind. Ist das eine Art persönlicher Disposition, oder ist tatsächlich die Belastung größer geworden?
Mahkorn: Ich glaube, dass beides zutrifft. Zum einen ist es natürlich ein sehr kompetitives System. Es geht los mit den Aufnahmeprüfungen, an den Musikhochschulen geht es weiter mit Wettbewerben und Klassenvorspielen. Das Probespielsystem, mit dem man sich eine Stelle in einem Orchester erspielt – man muss gewinnen -, ist natürlich auch erheblich kompetitiver geworden, und das setzt sich dann nachher fort. Die Musiker sind so geprägt und so sozialisiert, dass sie ihr Umfeld so erleben, dass es sie beäugt und dass es sie permanent auch auf Qualität hin abklopft, und vor dem Hintergrund ist Angst sicher in diesem kompetitiven System immer größer und immer problematischer geworden.
Fischer: Nun haben wir derzeit wieder eine Doping-Diskussion im Sport, es geht um Anabolika in den 70er-Jahren. Heute hat man Betablocker, aber auch Cholesterin-Hemmer, Kalzium-Präparate, Kokain, Koffein, Viagra oder Alkohol – je nach Einsatzgebiet sind das alles irgendwie leistungssteigernde Mittel. Ist die Doping-Diskussion heuchlerisch, wenn sich doch jeder medikamentös tunt?
Mahkorn: Ich glaube, dass unsere Zeit das von den Menschen verlangt, dass sie permanent Höchstleistung bringen, und vor dem Hintergrund wollen viele nicht zurückfallen und damit wird dann plötzlich die Einnahme dieser Substanzen, so umstritten sie sind, pseudolegitim und wird auch in Fachkreisen immer wieder debattiert.
Fischer: Deirdre Mahkorn, Oberärztin für Neurologie und Psychiatrie in Bonn, danke fürs Kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.