Archiv

Pinakothek der Moderne
Das Archiv des Jürgen Partenheimers

Aus nur wenigen Linien entstehen in Jürgen Partenheimers Gemälden abstrakte, teils geometrische, teils organische Formen. Sie lassen großen Raum für Assoziationen, die vielleicht nur durch die Farbigkeit der Werke ein wenig gesteuert werden. Die Münchner Pinakothek widmet diesem Meister der Andeutung eine Ausstellung.

Von Christian Gampert |
    In der Rotunde der Pinakothek der Moderne steht eine riesige Stele, nicht in der Mitte natürlich, sondern leicht versetzt. Sie besteht aus lauter übereinandergestellten und minimal gegeneinander verschobenen Stahl-Kuben, die mit unterschiedlichen, wunderbar leuchtenden Blaus bemalt sind: ein Statement, eine Einladung zur Meditation. Wenn man weiß, wo diese Stele bereits stand, etwa in Peking, im Außenbezirk der „verbotenen Stadt“, und dass sie „Weltachse“ heißt, dann ist klar, dass hier ein ganz neuer künstlerischer Meridian durch München gelegt wird.
    Jürgen Partenheimer ist immer unterwegs gewesen, schon als Schüler und Student. Syrien, Amerika, Mexiko, Guatemala, bald schon kam Asien hinzu …
    "Die ersten Reisen fanden als Schüler statt, mit dem Fahrrad nach Syrien. Also, sich auf die Reise begeben ist für mich eine wesentliche Erfahrung von Öffnung."
    Partenheimer ist auch künstlerisch Kosmopolit, im Grunde ist sein abstraktes Werk eine Art Reisetagebuch, und das führte dazu, dass er im Ausland fast bekannter ist als daheim. Das könnte sich mit dieser Ausstellungs-Offensive nun ändern, die, in der Pinakothek der Moderne beginnend, auf uns zurollt. Wenn man sieht, mit welcher Ernsthaftigkeit jedes Detail der Münchner Ausstellung geplant ist, wie farbliche Hintergründe, wandgroße Zeichnungen und dort hineingesetzte Bilder gegeneinander abgewogen werden, der Ausstellungs-Raum in eine variierte Kreuzform geteilt und nach Kapiteln geordnet wird, dann wird man doch etwas ärgerlich über bestimmte Modeerscheinungen der Gegenwartskunst, die als halb fertige Bastelarbeiten ins Museum gelangen.
    Variierte Kreuzform, nach Kapiteln geordnet
    Die Kunst des Jürgen Partenheimer wird gemeinhin als subjektive Abstraktion bezeichnet – vor dem Hintergrund von Minimalismus und Konstruktion. Partenheimer ist der typische Poeta doctus, er malt, er schreibt, er ist promovierter Kunstgeschichtler, und alles geht ineinander über, die Kunst und das Reden über Kunst, das Übersetzen fremder und eigener Texte in Bilder und Zeichnungen, die wiederum in Leporello-Form als „Mimesis“ aufgeblättert werden können, das Gestalten von Büchern, von Schaukästen, von Porzellan-Vasen, die als Gefäße aus der Zeichnung entwickelt sind und, im asiatischen Sinne, Platzhalter der Leere und des in Form gebrachten Nichts sein wollen. Im Begleitbuch denken, von Rudi Fuchs bis Gerhard Mack, einige der besten Köpfe der Gegenwartskunst über Partenheimer-Werke nach, über Rhythmus und Paradoxie, den Raum und das Nichts. Partenheimer ist auf dem neuesten Materialstand, seine Musikalität kommt von John Cage, sein Sinn für Sprache von James Joyce, manches schließt an die Zero-Gruppe oder an Paul Celan an: Lichtschwarm (Fadensonnen) nennt sich eines der neuesten, asketischen Werke von 2013, nach einem Gedicht von John Burnside.
    Sinn für die Sprache James Joyce
    Die Ausstellung heißt „das Archiv …
    "…weil es ja nicht nur das Lager ist im konkreten Sinn, in dem Dinge gesammelt sind und aus dem man schöpft, sondern übergeordnet bedeutet Archiv ja auch individuelles und kollektives Gedächtnis."
    Die Ausstellung vollzieht eine künstlerische Lebensgeschichte nach. Ein paar Beispiele: Als Partenheimer 1982 in Amerika lebte, ging ihm das Ritual des „How are you“ – „Oh, I’m okay, I’m fine““ gehörig auf den Zeiger. In der Ausstellung hängt nun ein Bild, das von Weitem aussieht wie eine chemische Formel: Auf grauem Grund sind 33 schwarze OK-Zeichen zu sehen, die mit gelben Strichen verbunden werden. Aber zu was? Zu einem Soziogramm? Das Bild heißt „Nice to meet you“ und ist pure, aber eben abstrakt formulierte Ironie. Gleich in der Nähe hängt in München „Anna Livia Plurabelle“, ein weiß gestrichener Lautsprecher, auf dem eine Holzkonstruktion mit Propeller zu sehen ist – mit etwas Fantasie kann man das Flüstern der Hauptfigur aus „Finnegans Wake“ erahnen. Der Witz ist, dass die kleine Windmühle auf der Lautsprecher-Box von Partenheimers Tochter stammt, ein Ergebnis kindlichen Spiels. Dieses spielerische Element ist Partenheimer immer wichtig gewesen – wenngleich er selbst seine Kompositionen streng nach abstrakten Prinzipien austariert.
    In München gibt es also Bücher als Träger reiner Farbe, die nach einem Karmeliter-Kloster benannten „Carme“-Bilder mit der Intensität von Magnetfeldern, die schon vom Format her das Auge irritieren – denn sie verfehlen mit 50x45 cm bewusst knapp das Quadrat; und vor allem „La Fortune“ von 2012: eine fragile Komposition, von deren unterem rechten Eck irgendwie anthropomorphe rosa-orangene Formen hochkriechen in ein tiefes Schwarz, in dessen Fläche drei geometrische Gebilde wie Drachen an Fäden hängen. Man kann alles Mögliche projizieren in diese Bilder – und doch sind sie in Form gebrachte Emotion, bis hin zum Versuch, die Wirkung der südafrikanischen Landschaft in einem gezeichneten Tagebuch festzuhalten.
    Partenheimer schätzt die Kindheit
    Das alles hat etwas Hochabstraktes und gleichzeitig Kindliches; dass Partenheimer die Kindheit schätzt und achtet, sieht man schon daran, dass er einige Bilder auf die Höhe von nur einem Meter hängt und einen Kinderstuhl davorstellt. Dies in einem Raum, in dem wertvolle Porzellanvasen stehen: Zwei Jahre hat er für 21 Porzellan-Skulpturen gebraucht, ein zeitlupenhafter, intensiver Produktionsprozess, der mit drei räumlichen Prototypen auskommt …
    Die Stele in der Rotunde kann man übrigens auch von oben betrachten: Man erklimmt den zweiten Stock der Pinakothek und hat eine ganz neue Perspektive auf Kunstwerk und kleine Menschlein. Es sieht aus wie eine frühe Fotografie von Anton Stankowski – aber es ist die abstrakte Emotion des Jürgen Partenheimer, die uns mit solchen Arrangements in eine neue Relation zu den Dingen setzt.