Freitag, 03. Mai 2024

Archiv

Pinakothek der Moderne
Lina Bo Bardis Architektur von unten

Lina Bo Bardi war die wichtigste Architektin und Designerin Brasiliens. Die Pinakothek der Moderne in München widmet ihr zu ihrem 100. Geburtstag eine Ausstellung, die mit Fotos, Modellen, Videos und Diashows auch durch die urbanistischen Planungen Bo Bardis führt.

Von Christan Gampert | 15.11.2014
    Der Pelourinho Platz in Salvador da Bahía.
    Salvador de Bahia: Mit Wasserspielen und Bars wollte Lina Lo Bardi die Altstadt zu einem Zentrum der Armen machen. (Deutschlandradio - Julio Segador)
    Das erste Haus, das Lina Bo Bardi gebaut hat, war ihr eigenes Haus - die Casa de Vidro, 1951. Das rundum verglaste riesige Wohnzimmer steht auf Stelzen und ragt weit in den Hang hinein, unter ihm wuchert die Vegetation. Man blickt auf Sao Paulo. Als Lina Bo Bardi hier wohnte, standen viele Kunstwerke im Raum. Der hintere Teil des Hauses ist kompakter und beherbergt die Funktionsräume, Arbeiten und Schlafen.
    1946 war Lina Bo Bardi mit ihrem Mann, dem Kunsthistoriker Pedro Maria Bardi, von Italien nach Brasilien emigriert. Das hatte viele Gründe - einer davon war, dass Bo Bardi in Italien wenige Chancen sah, im Männerberuf Architekt zu reüssieren. Nach ihrem Studium hatte sie vor allem für Architekturzeitschriften geschrieben, gezeichnet, Inneneinrichtungen entworfen. Die energische Bo Bardi aber wollte mit Architektur in die Gesellschaft eingreifen. Als ihr Mann Museumsdirektor in Brasilien wurde, ging sie mit, und der Bau des Museu de Arte de Sao Paulo wurde eine ihrer wichtigsten Arbeiten. Die oft farbige, humorvolle szenische Entwurfszeichnung blieb zeitlebens ihr Probiermedium, sagt Kuratorin Simone Bader.
    "Wir haben fast 100 Zeichnungen aus dem Archiv in Sao Paulo hierher transportieren lassen, um der Bevölkerung so eine Begegnung mit der Architektin zu ermöglichen."
    Und das Vorläufige und Heitere dieser Skizzen sagt auch etwas über ihre Arbeitsweise.
    "Die Zeichnungen sind Linas Instrumente, wie sie ihre Gedanken entwickelt zu einem Projekt. Sie hat ja selbst nie ein Büro gehabt, sondern hat immer auf der Baustelle tatsächlich gearbeitet mit den Handwerkern, mit den Bauarbeitern."
    Im Gegensatz zu ihrem streng geometrisch und in Stahlbeton denkenden brasilianischen Kollegen Oscar Niemeyer setzt Bo Bardi auf eine Architektur von unten, die lokale Materialien nutzt und Elemente der Volkstradition aufnimmt, ohne dabei folkloristisch zu werden. Und die Natur spielt eine Hauptrolle: Ihre frühen Wohnhäuser sind mit Kieselsteinen verkleidet, und das Konzept der vertikalen Gärten, der begrünten Fassaden hat sie zeitlebens beibehalten. Das Gebaute muss harmonieren mit der Vegetation.
    Teilhabe ist immer spürbar
    Bo Bardis Überzeugung, dass man den öffentlichen Raum erst schaffen müsse, durch Architektur, belegt am eindrucksvollsten das von ihr entworfene Kunstmuseum in Sao Paulo: An signalrot gestrichenen Stahlträgern hängt ein weitgespannter, lang gezogener Betonquader, unter dem sich ein großer Platz als Treffpunkt aller Gesellschaftsschichten befindet - unter dem Betonhimmel sozusagen. Oben die locker im Raum verteilte Kunst, unten die Agora. Eine einzige Treppe führt nach oben. Das Museum liegt an einer Hauptverkehrsstraße, aber weiter hinten schließen sich, treppenartig gestaffelt, Skulpturengärten und Kinderspielplätze an.
    Die Ausstellung führt uns mit verschiedenen Medien, nicht nur Fotos und Modellen, sondern auch Videos und Diashows, auch durch die urbanistischen Planungen Bo Bardis: In Salvador de Bahia wurde sie vom Bürgermeister mit der Sanierung der Altstadt beauftragt, die sie mit Wasserspielen und Bars zu einem Zentrum der Armen machen wollte. Kulturelle Teilhabe erreicht man, indem man für die Einwanderer aus Benin ein Haus errichtet oder Restaurants wie afrikanische Hütten baut.
    Ihr Teatro Oficina in Sao Paulo ist wie eine lange Straße konzipiert, damit in den Aufführungen keinerlei Illusion aufkommt; außen pulsiert das Leben. Kleinere Projekte wie Kirchenbauten integrieren stets Sozialzentren in den Komplex. Und ihr Hauptwerk, die umgestalteten alten Fabrikhallen von Sesc Pompeia, wird täglich von tausenden Besuchern genutzt: Wasserläufe, Stadtstrände, Theater, Bibliotheken, Kunsthallen, Restaurants, Bimmelbahnen für die Kinder - das Kulturzentrum als Wohnzimmer. In einem riesigen Klotz sind Turnhallen übereinandergestapelt, Stege führen in luftiger Höhe zu einem Turm mit den Umkleiden. Alles ist Kommunikation. Gelegentlich nimmt der Perfektionismus überhand - sogar die Uniformen der Angestellten wurden von Bo Bardi entworfen. Aber die Utopie der Architektur für alle, der Teilhabe, die ist bei Lina Bo Bardi immer spürbar.