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Pionier der Farbfotografie

Der Fotograf Saul Leiter lebte bisher in aller Zurückgezogenheit. Ein Grund dafür, dass er nicht schon früher mit seinen abstrakten Fotografien bekannt wurde. Jetzt sind seine Fotografien und seine Malerei in Hamburg zu sehen.

Von Carsten Probst |
    Saul Leiters Fotografien sind nicht nur eine Entdeckung an sich, sie bringen auch die vorgefassten Kategorien der Fotografiegeschichte durcheinander. Früher als der ungleich berühmtere William Eggleston hat der 1923 in Pittsburgh geborene Leiter auf Farbfotografie gesetzt, wenn er in den Straßen New Yorks seine Szenen sammelte. Aber dieser Umstand allein wäre noch nicht einmal sonderlich interessant, denn spätestens seit der Entdeckung von Fred Herzogs Werk vor knapp zwei Jahren ist ohnehin klar, dass Eggleston bei weitem nicht mehr als Erfinder der Street Photography in Farbe gelten kann. Saul Leiter lebte bislang, ähnlich wie Fred Herzog, in aller Zurückgezogenheit, was ein Grund dafür ist, dass beide nicht schon viel früher bekannt geworden sind, aber damit enden dann auch in dieser Hinsicht die Gemeinsamkeiten.
    Saul Leiters Weg zur Farbfotografie ist völlig anders inspiriert als von der bloßen Absicht, sein soziales Umfeld in den Straßen des East Village mit poetischer Augenblicksfotografie sanft zu entlarven. Er gibt unter anderen zwar auch Henry Cartier-Bresson als Vorbild an und hat in seiner Frühzeit, als er noch Schwarz-Weiß fotografierte, Bekanntschaft mit der New York School, mit Robert Frank und all den anderen expressiven Fotografen gemacht. Und doch wird früh sein völlig eigener Stil erkennbar. Er wird bereits an Aufnahmen wie einer Straßenszene aus den 1940er Jahren deutlich. Durch die Fensterscheiben eines Autos fotografiert Leiter zwei Frauen, die auf der anderen Straßenseite entlanggehen.

    Den Hauptteil des Bildes überdeckt dabei jedoch die Autokarosserie, während die beiden Passantinnen im Hintergrund kaum zu erkennen sind und der Blick dadurch unwillkürlich vom verschwommenen und dunklen Wageninneren angezogen wird. Was die Aufnahme zeigen will, bleibt rätselhaft und spannungsgeladen zugleich. Sie wirkt wie die verdeckte Aktion eines Paparazzos oder eines Detektivs, aber zugleich spürt man, dass die Fenster des Autos das Bild selbst noch einmal in kleinere rechteckige Bilder aufteilen, wie eine Bildercollage. Diese collageartige Methode aus Vorder- und Hintergrund Szenen zu komponieren, die wie gegeneinander geschnitten wirken, lässt Leiters Bildästhetik konstruiert und zugleich doch zufällig erscheinen, flüchtig und zugleich statuarisch, wie kleine, schwer zu deutende Gleichnisse mit unbekanntem Sinn. Die Haltung der Figuren zueinander und zur Umgebung bleibt gespannt, aber uneindeutig. Diese Art der Komposition wurde schon als "Kafka"-Technik für Fotografie beschrieben, aber Leiter ist eigentlich weit entfernt von jeder surrealen Masche. Bei aller Komplexität wirken seine Bilder bodenständig und im besten Sinn des Wortes geradezu eingängig leicht.

    Dieser Eindruck setzt sich bei den Farbaufnahmen fort. Leiter scheint die Farbfotografie für sich nicht als Mittel an sich entdeckt zu haben, sondern weil er offenkundig seinen bisherigen Stil abstrakter gestalten konnte, malerischer. Immer deutlicher geht es ihm darum, Farbflächen miteinander zu kombinieren, das Motiv aufzulösen und freizustellen von konkreten inhaltlichen Bezügen. Oft zeigen seine frühen Farbaufnahmen vom Ende der vierziger Jahre schon nur noch verschwommene Konturen von Passanten, deren Schatten sich in den Farbnebeln der Umgebung aufzulösen scheinen. Mehr und mehr fotografiert er oft einfach Farbflächen, Spiegelungen, Details von Vorgängen, in denen der Betrachter auf sich selbst zurückgeworfen wird, weil er nicht mehr genau weiß, was er sieht. Man hat diese Fotografie daher abstrakt genannt, nicht zuletzt deshalb, weil Saul Leiter sich immer auch als Maler verstand und bis heute auch sehr aufschlussreiche abstrakte Kompositionen malt, die in der Ausstellung ebenfalls gezeigt werden. Doch während der 50er bis 70er Jahre, als Leiter sein Geld unter anderem als Modefotograf für Magazine wie Harper's Bazaar verdiente, ist auch in diesen Kompositionen mit Models seine collageartige Handschrift deutlich zu erkennen. Für ihn scheint es also keine wesentliche Rolle zu spielen, ob er mit Farben oder mit Figuren arbeitet. Viel eher lässt der Sohn eines Rabbiners durchblicken, dass er die Fotografie als eine Art Medium begreift, das eine Schönheit im geistigen Sinn sichtbar machen kann. Und dass er sein Leben lang keinen Wert darauf gelegt hat, bekannt zu werden, unterstreicht diese Aussage. Denn wie Leiter selbst doppeldeutig sagt: Es gibt nichts Schöneres, als unentdeckt arbeiten zu können.