Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Pionier des Polfluges

Im 20. Jahrhundert wurden dank neuer technischer Mittel die letzten weißen Flecken auf den Weltkarten gefüllt. Eines der aufregendsten Unternehmen war dabei die Erkundung der Arktis durch den italienischen Luftschiff-Pionier Umberto Nobile.

Von Mathias Schulenburg | 21.01.2010
    Die Polarfahrten des am 21. Januar 1885 in Lauro bei Neapel geborenen italienischen Luftschiffpioniers und Generals Umberto Nobile waren am Ende so spektakulär, dass sie ein weltweites Medienecho hervorriefen. Als Nobile schließlich verunglückte, lief eine internationale Rettungsaktion ohne Beispiel an, bei der sich die Schlagzeilen überschlugen und ein damals funkelnagelneues, aufregendes Medium eine Schlüsselrolle spielte: das Radio. Davon zeugt auch noch ein altes Hörspiel über Nobile von 1929:

    "SOS ... rao rao ... Foyn – das alles ist wohl das erste Heldenlied unserer Zeit, unserer Technik, unserer Solidarität."

    Nobiles erstes großes Unternehmen führte ihn im Mai 1926 als Luftschiff-Kapitän von Spitzbergen über den Nordpol nach Alaska, bezahlt und begleitet von Roald Amundsen, dem norwegischen Entdecker des Südpols, und dem amerikanischen Sponsor Lincoln Ellsworth. Das Luftschiff war nach Ansicht vieler Experten zu klein, aber Nobile meisterte die Fahrt – unter widrigen Umständen.

    Die Führerkabine war entsetzlich schmutzig. Kaffee und Tee überall verschüttet, und allenthalben Speisereste. Mitten aus diesem Unrat ragten in grotesker Weise Amundsens riesige Füße in den grasgefütterten Schuhen, seine tuchenen Tauchergamaschen und die rot-weißen Handschuhe.

    Amundsen thronte in der Mitte der Gondel auf einem mit Samt ausgeschlagenen Stahlrohrsessel, während Nobile und seine Leute vereinbarungsgemäß die harte Arbeit machten. Amundsens Ruhm sollte im Wesentlichen darauf beruhen, über den Nordpol geschwebt zu sein. Und dann hatte er am vermuteten Pol noch die an eine Art Bodenspieß geheftete norwegische Nationalflagge abgeworfen. Der amerikanische Sponsor sandte seine "Stars and Stripes" hinterher und dann kam Nobile mit der italienischen Tricolore, einem Riesentuch, das ihm Mussolini persönlich aufgenötigt hatte und die Fahnen der anderen wie bloße Wimpel erscheinen ließ, was diese zähneknirschend zur Kenntnis nahmen.

    Gleichwohl: Die schwierige Fahrt glückte dank Nobiles hervorragenden Fähigkeiten. Amundsen und Ellsworth feierten den General überschwänglich.

    Als der freilich ebenfalls einen Teil des Ruhms beanspruchte, begann Amundsen, Nobile nach Kräften zu schmähen – er habe die Nerven verloren, wäre ohne die Norweger verloren gewesen. Das hielt Nobile nicht davon ab, im Mai 1928 neuerlich zum Pol zu fliegen.
    Auf dem Heimweg kurz vor Spitzbergen geschah es: Nobiles Luftschiff schlug auf dem Packeis auf. Die Führergondel mit Nobile und zehn weiteren Männern riss ab, das erleichterte Schiff schoss mit sechs Mann Besatzung nach oben und verschwand auf Nimmerwiedersehen im Nebel. Von den Männern am Boden war einer tot, andere - auch Nobile - erlitten Verletzungen. Aber sie hatten ein Funkgerät.

    "Da ist wieder ein Name! N-o-b-i-l-e!"

    Und nach zwei langen, hoffnungslosen Wochen auf dem Eis erfuhren sie von einer Funkstation in Sao Paulo, dass ein russischer Amateurfunker ihre Hilferufe aufgenommen und weitergeleitet hatte. Schiffe und Flugzeuge aus sechs Ländern begannen, sich um die Rettung der Luftschiffbrüchigen zu bemühen.

    "... echo, hier Mannschaft Italia, Welle 926, Position 80 Grad ..."

    Nobile wurde von einem schwedischen Flugzeug aufgenommen – er war verletzt und konnte als Koordinator wichtige Dienste leisten – der Rest der Männer blieb zunächst zurück, was Nobile später wüste Schmähungen eintrug. Die Übriggebliebenen brachte ein sowjetischer Eisbrecher in Sicherheit.

    Unter denen, die zur Bergung Nobiles aufgebrochen waren, hatte sich auch Roald Amundsen befunden, eben jener, der Nobile zuvor so gekränkt hatte. Amundsens Flugzeug verschwand spurlos.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Umberto Nobile voll rehabilitiert. Er starb im Alter von 93 Jahren. Über seine Rettung und die seiner Mannschaft entstand 1969 der Film "Das Rote Zelt".