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PISA allein ändert wenig

Die PISA-Studie hat für Deutschland nicht nur den internationalen Vergleich gebracht, sondern auch den der 16 Bundesländer. Die Formulierung von gemeinsamen Lernzielen der Länder gestaltet sich seitdem aber als schwierig. Die Kultusministerkonferenz einigte sich bislang nur hinsichtlich einiger Bildungsstandards. So kommt es, dass die Schulreformen in den Ländern stark variieren. Für die Öffentlichkeit ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Gut im Thema sind die Bildungsforscher - auch die der Universität Bielefeld.

Von Miriam Grabenheinrich | 01.12.2007
    Zentralabitur, Lernstandserhebungen oder die Abschaffung der Hauptschulen: Kein Zweifel, nach den ersten PISA-Ergebnissen im Jahre 2000 hat die Politik gehandelt, aber aufgrund des Föderalismus in jedem Bundesland anders. Der Bielefelder Erziehungswissenschaftler Klaus-Jürgen Tillmann hat an der PISA-Studie mitgearbeitet. Dass die Entscheidungsprozesse in den Ländern unterschiedlich verlaufen, kann er nachvollziehen:

    " Das hat zum einen teilweise was zu tun mit der bildungspolitischen Ausrichtung der jeweiligen Landesregierung, hat aber zum größeren Teil mit den spezifischen Problemen eines Bundeslandes zu tun. Also wenn wir zum Beispiel das Bundesland Bremen nehmen, das bei PISA ganz besonders schlecht abgeschnitten hat: Die haben bei den 15-Jährigen einen Anteil von ungefähr 40 Prozent Migrantenkindern. Dass die in anderer Weise Maßnahmen treffen müssen als etwa so ein Bundesland wie Thüringen, das zwei bis drei Prozent Migranten hat, ist offensichtlich. "

    In Bremen und Hamburg wurden bereits Haupt- und Realschulen zusammengeführt. Einige Bundesländer werden folgen, andere schließen das bislang aus. Auch im Bereich der Ganztagsschulen gibt es Unterschiede.

    " Ganztagsschulen sind ja angestoßen worden durch Rheinland-Pfalz. Die Entwicklung dort ist ja deutlich und weit vorangegangen. Wir haben auch eine positive Entwicklung in NRW, wir haben deutliche Sprünge in Brandenburg. Das sind die drei Länder, bei denen aus meiner Sicht am meisten passiert ist.

    In einigen ostdeutschen Bundesländern ist aus der DDR-Tradition der Krippenbereich sehr stark erhalten geblieben. Also in Thüringen haben die sozusagen eine Vollversorgung für alle Kinder der Jahrgänge eins bis sechs durch nachmittägliche Einrichtung der Krippen. Für die stellt sich eine Ganztagsschuldiskussion ganz anders als etwas für NRW wo es solche Nachmittagsbetreuung bis vor Kurzem im Grundschulbereich überhaupt nicht gab. Und insofern sind die Aktivitäten unterschiedlich, weil die Bedarfe in den Bundesländern unterschiedlich sind. "

    Im Bereich der Standardisierung hingegen haben die Länder sehr entschlossen gemeinsam gehandelt. Das Zentralabitur ist in allen Ländern eingeführt oder geplant - außer in Rheinland-Pfalz. Auch die Lernstandserhebungen in der Grundschule sowie in der 7. und 8. Klasse werden bundesweit durchgeführt. Eine Tendenz, die Klaus-Jürgen Tillmann kritisch sieht.

    " Ausgerechnet der Bereich, wo es um Leistungen geht, also noch mehr messen ist der, der besonders entschlossen vorangetrieben wurde. Wo es in anderen Bereichen, also meinetwegen um Sprachkurse für Migrantenkinder geht, da kann man solche länderübergreifenden Handlungsweisen leider nicht feststellen. "

    Das bestätigt auch der Bielefelder Soziologen Uwe Bittlingmayer. Auch er sieht in diesem Bereich Versäumnisse der Politik. Trotz der eindeutigen Befunde der Bildungsstudie sei nur wenig gegen die soziale Ungleichheit unternommen worden, so Bittlingmayer:

    " Dieser Aspekt der sozialen Ungleichheit, also Deutschland als Selektionsweltmeister hat eigentlich in den Jahren nach PISA in der Bildungspolitik immer weniger eine Rolle gespielt. Also wir selektieren sehr stark in Förderschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium, und diese Schulstrukturdebatte, die eigentlich nötig wäre, wenn man diese PISA-Ergebnisse auch nur halbwegs ernst nimmt, die ist dann in der Bildungspolitik überhaupt nicht weiter aufgegriffen worden. "

    Uwe Bittlingmayer ist ein Verfechter der Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems. Den aktuellen bildungspolitischen Diskurs hält er für zu elite- und wirtschaftsorientiert.

    " Also Fragen etwa: Was wir überhaupt mit Bildung wollen, welche Form von Bildung wir wollen, also alles Debatten, die ja auch nicht ganz unwichtig sind, die werden überhaupt nicht mehr gestellt. Im Gegenteil wird bildungspolitisch gesetzt auf sehr restriktive Maßnahmen das heißt auf die Wiedereinführung von Kopfnoten und auf der anderen Seite eine starke Standardisierung etwa in Form von Zentralabitur und beide Instrumente sind geeignet um Schüler stärker zu disziplinieren, aber nicht stärkere kognitive Leistungen hervorzubringen. "

    Das Fazit: Durch Studien wie PISA und Co ist die Schulpolitik in Bewegung gekommen. Aber, der aktuelle Streit um die PISA-Studie zeigt: Die empirischen Daten allein reichen nicht. Zahlen können nur zeigen, was im Argen liegt. Wie man es dann aber ändern kann, dafür müssen die Zahlen ausgiebig interpretiert werden.