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Pisa-Studie
"Rückmeldesystem für die Politik"

Die Pisa-Studie hat in Deutschland ein Bewusstsein für Bildung angestoßen, sagt Manfred Prenzel, Programmmanager für Pisa in Deutschland. Außerdem zeige sie, ob Bildungspolitik funktioniere. Er plädiert für deutschlandweite Bildungsstandards.

Manfred Prenzel im Gespräch mit Kate Maleike | 02.12.2013
    Kate Maleike: Morgen Vormittag um elf wird in Berlin, so wie auch in vielen anderen Ländern, die neue PISA-Studie auf den Tisch gelegt. Und wie das immer so ist bei dieser Studie, gibt es vorher den Wettlauf darum, vor allem in den Medien, wer zuerst die Ergebnisse hat und sie veröffentlicht. Dieses Durchsickern der Infos am Wochenende davor hat Tradition, könnte man also sagen. Und die ist auch dieses Mal nicht gebrochen worden. Das Nachrichtenmagazin „Focus“ nämlich meldet vorab unter Berufung auf Expertenkreise, dass deutsche Schüler beim PISA-Test 2012 abermals im Mittelfeld gelandet sind, leicht verbessert allerdings zur letzten Studie. Professor Manfred Prenzel von der TUM School of Education in München ist nationaler Programmmanager für PISA 2012. Guten Tag, Herr Prenzel!
    Manfred Prenzel: Guten Tag, Frau Maleike!
    Maleike: Was sagen Sie denn zu diesen ewig durchsickernden Informationen vorab?
    Prenzel: Ich habe manchmal den Eindruck, dass es sportlich gedacht ist, dass man also versucht seit PISA 2000, immer möglichst ein paar Tage vor dem öffentlichen Termin irgendwelche Ergebnisse berichten zu können. Und wenn ich es richtig sehe, scheut man dann auch nicht zurück, irgendwelche Meldungen sich auszudenken und mal zu schauen, vielleicht hat es ja eine Wirkung! Also, wir haben immer wieder feststellen können, dass eine ganze Reihe der Vorankündigungen nicht auf wirklich guten Daten beruht haben, sondern dann auch ein bisschen Erfindungen mit vorkommen.
    Maleike: Jetzt haben wir ja alle noch ein bisschen den Schock in den Knochen, zumindest wird PISA auch damit sofort verbunden, die erste Studie, die 2000 erstellt wurde und 2001 dann rauskam, an die zweite, dritte und vierte erinnern sich wahrscheinlich so weniger außer vielleicht den Bildungsforschern, was da drin stand. Jetzt ist es die fünfte PISA-Erhebung. Meinen Sie nicht, es gibt auch so was wie eine PISA-Müdigkeit?
    Prenzel: Dieses große Interesse widerspricht ja ein bisschen der Müdigkeit. Ich meine, PISA ist eigentlich angelegt als ein Dauerbeobachtungsinstrument. Man möchte tatsächlich im regelmäßigen Abstand von drei Jahren eine Art Aufnahme machen vom Zustand der Bildungssysteme, speziell eben der Ergebnisse. Und ich glaube, dass dieser Zeittakt auch ganz gut gewählt ist, um frühzeitig zu erkennen, ob hier größere Probleme auftreten. Und das Ganze dient ja auch als Rückmeldesystem für die Politik. Wenn man da eben alle drei Jahre sieht, ob der Kurs, den man eingeschlagen hat, so weit erfolgreich war, dass eben bestimmte Probleme abnehmen.
    Maleike: Sie haben die drei Jahre angesprochen, die sozusagen zwischen den einzelnen Studien liegen. Aber zwischen den Schwerpunkten liegen ja mehr Jahre, die …
    Prenzel: Ja, neun Jahre.
    Maleike: Genau. Dieses Mal ist es wieder Mathematik, das war das letzte Mal eben 2003 der Fall. Was denken Sie denn, um jetzt mal ein bisschen schon auf morgen zu schauen: Muss da wirklich spürbar sich was verändert, verbessert haben für Deutschland?
    Prenzel: Na ja, also, bei PISA 2003 hatten wir leichte Fortschritte gegenüber PISA 2000, das war schon mal ein wichtiger Schritt nach vorne, auch in der Mathematik. Bei diesen Hauptschwerpunkten wird ja sehr viel differenzierter erhoben, also nicht nur ein allgemeiner Wert, sondern auch in verschiedenen Teilbereichen. Und uns interessiert jetzt eben bei PISA 2012, inwieweit sich hier Entwicklungen feststellen lassen, auch differenziert in verschiedenen mathematischen Teilgebieten. Und ja, natürlich hofft man immer auf Besserung.
    Maleike: Die spürbaren Folgen, die tatsächlichen Folgen und Auswirkungen von PISA im deutschen Schulbetrieb, wo machen Sie die gerade fest?
    Prenzel: Das, was wir über PISA mit angestoßen haben, glaube ich, ist ein deutlich stärkeres Bewusstsein über die Wichtigkeit von Bildung. Das ist auch in die Öffentlichkeit übergegangen. Ich denke, dass wir nicht mehr ein so unbekümmertes und, ja, Unterrichten in den Tag hinein haben, wie man das vielleicht noch früher hatte, getragen von dem Selbstbewusstsein, in Deutschland ist die Schule weltweit am besten. Da mussten wir deutlich lernen, dass es eben nicht so ist. Das hat, glaube ich, dazu beigetragen, dass wir doch etwas vorsichtiger mit Schule umgehen und uns häufiger die Qualitätsfrage stellen und auch die Politik sich an verschiedenen Stellen doch mehr um die Schule kümmert als früher.
    Maleike: Sie könnte sich aber noch viel mehr um die Schule kümmern, hat ja gerade eben im frisch geschlossenen Koalitionsvertrag eigentlich die Schulpolitik weiter in den Ländern gelassen. Wie beurteilen Sie das?
    Prenzel: Ja, wir haben hier halt einen föderalistischen Staat und das finden wir weltweit auch, Sie haben vorhin Kanada angesprochen, da gibt es das auch, in der Schweiz. Was aber, glaube ich, für föderalistische Staaten wichtig ist, ist, dass man auch dann gemeinsame Ziele verfolgt, gemeinsame Standards setzt, das ist in Deutschland ein Stück weit passiert mit den Bildungsstandards, die auch länderübergreifend gelten. Aber hier kann man sicher noch mehr an Initiativen sich vorstellen, die dazu beitragen, dass wir nicht ein großes Auseinanderdriften zwischen den Bundesländern haben in der Art, wie unterrichtet wird, was unterrichtet wird und vor allem, welche Ergebnisse dann dort erreicht werden.
    Maleike: Welche Initiative wäre das? Wenn man über Auseinanderdriften spricht, das sieht die Politik ja gerne als fördernden Wettbewerb!
    Prenzel: Ja gut, fördernder Wettbewerb … Wenn Sie mal das Bundesland wechseln, dann merken Sie, dass der fördernde Wettbewerb auf Kosten der Entwicklungschancen Ihrer Kinder geht! Also, da kann man sich durchaus eine größere Abstimmung vorstellen. Insbesondere eben auch in der Frage der Unterrichtsqualität. Und wenn Sie andere Dinge betrachten, die wir jetzt deutschlandweit immer wieder gestartet haben - das fängt bei Ganztagsprogrammen an oder eben Förderprogramme -, da könnten Programme, die gemeinsam getragen werden, die gemeinsam auch optimiert werden, deutschlandweit schon Wirkung haben.
    Maleike: Was macht Ihnen – das ist die letzte Frage an Sie, Herr Prenzel – als Programmmanager der PISA-Studie eigentlich am meisten Freude, und was nervt Sie?
    Prenzel: Gut, die Freude, die fängt eigentlich vor allem dann an, wenn man merkt, dass die Tests funktionieren, dass die Aufgaben interessant und anregend sind. Wir erleben eigentlich auch immer wieder, dass die Schülerinnen und Schüler sich durchaus gerne auf diese Tests einlassen und das als anregend empfinden, das finde ich ein eigentlich immer wieder sehr positives Erlebnis. Und nervend ist eher wohl der Zeitdruck und manchmal eben auch die mit dem Zeitdruck verbundenen Aufgaben, zum Beispiel Datenschutz und Ähnliches, da haben wir eine relativ große Bürokratie inzwischen zu bewältigen. Und das ist nicht immer ganz lustig.
    Maleike: Jetzt bin ich ganz froh, dass Sie nicht Radiointerviews gesagt haben!
    Prenzel: Nee, nee, überhaupt nicht!
    Maleike: Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall morgen einen sehr erfolgreichen Tag, denn morgen kommt es darauf an, morgen werden in Berlin offiziell die Ergebnisse der neuen PISA-Studie für Deutschland bekannt gegeben. Und wir hören natürlich auch in „Campus & Karriere“ dann weitere Details. Danke für den Moment an Professor Manfred Prenzel, den Programmmanager für PISA 2012, herzlichen Dank für das Gespräch und viel Spaß morgen!
    Prenzel: Ich danke Ihnen, Frau Maleike!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.