Mittwoch, 24. April 2024

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Plädoyer für Ausgeschlafene

Anlässlich der Jahrestagung der deutschen Schlafforscher hat Ingo Fietze, geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, mehr Aufklärung über richtiges Schlafen gefordert. Genauso, wie schon Kinder mit der gesunden Ernährung vertraut gemacht werden, sollten sie auch den gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus oder die so genannte Schlafhygiene kennen lernen.

Moderation: Sandra Schulz | 11.10.2007
    Sandra Schulz: Wenn Sie um Mitternacht ins Bett gekommen sind und jetzt gerade aufstehen, haben Sie acht Stunden Schlaf bekommen und dürfen sich damit glücklich schätzen, denn damit liegen Sie schon über dem Durchschnitt in Deutschland. Dass der Tag viel zu kurz ist, dieses Gefühl kennen viele. Zu verlockend ist darum der Gedanke, dem Schlaf einfach ein paar Stunden zu stehlen. Ob das eine gute Idee ist, das ist eines der Themen, wenn heute in Düsseldorf Schlafforscher aus ganz Deutschland zu ihrer Jahrestagung zusammenkommen. - Am Telefon begrüße ich nun Ingo Fietze, den Geschäftsführenden Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin und Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Charité in Berlin. Guten Morgen!

    Ingo Fietze: Schönen guten Morgen!

    Schulz: Wie viele Stunden Schlaf haben Sie denn in der letzten Nacht bekommen?

    Fietze: Es waren sechs Stunden Schlaf, was für mich aber nicht ausreichend war.

    Schulz: Allgemein gefragt: Sechs Stunden Schlaf, reicht das aus?

    Fietze: Sechs Stunden Schlaf ist genau die Grenze. Wir sagen, wir brauchen als normaler Schläfer mindestens diese sechs Stunden. Das ist der so genannte Kernschlaf. Dann hat aber jeder individuell seine eigene Wohlfühl-Schlafmenge, nennen wir das. Die liegt bei mir ungefähr bei sechseinhalb Stunden, bei dem Durchschnittsdeutschen aber so bei sieben, siebeneinhalb Stunden.

    Schulz: Und ist die Frage des guten Schlafs nur eine Frage der Quantität, oder geht es da auch um Qualität?

    Fietze: Nein, natürlich nicht. Die Schlafdauer spielt eine Rolle, aber in der Nacht sollten wir nicht nur einfach schlafen, sondern tatsächlich es schaffen, die nötige Menge Tiefschlaf und Traumschlaf zu bekommen, weil uns der Tiefschlaf körperlich erholt und der Traumschlaf geistig erholt.

    Schulz: Was droht denn, wenn ich nicht genug Schlaf bekomme?

    Fietze: Ein Schlafdefizit beginnt dann, wenn ich tatsächlich mehrfach in der Woche weniger als sechs Stunden schlafe, und was uns droht ist, dass wir geistig an Leistungsfähigkeit verlieren. Wir sind nicht mehr so konzentrationsfähig, wir können uns nicht mehr so viel merken, wir sind nicht mehr so geschicklich. Das weiß man heute durch viele so genannte Schlafentzugsexperimente.

    Was nicht droht, ist körperliches Leiden. Es ist nicht so, wenn wir eine Woche schlecht schlafen, dass wir gleich einen hohen Blutdruck bekommen oder die Atmung sich ändert oder andere Parameter. Es ist im Wesentlichen wie gesagt die geistige Leistungsfähigkeit, die leidet.

    Schulz: Aber es gibt ja auch berühmte historische Vorbilder fürs wenig schlafen. Napoleon soll nachts nur vier Stunden geschlafen, Michelangelo sogar nur alle vier Stunden eine Viertel Stunde. Die waren wissenschaftlich gesehen einfach nicht gut beraten?

    Fietze: Die waren einmal mit Sicherheit nicht gut beraten, weil sie wenig über den gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus wussten. Sie können aber andererseits tatsächlich geborene Kurzschläfer gewesen sein. So etwas gibt es in der Tat. Aber dem Körper reichen vier oder fünf Stunden Schlaf über 24 Stunden gesehen nicht, und so dürfte auch Napoleon oder andere berühmte Kurzschläfer am Tage zumindest ein Nickerchen gemacht haben.

    Schulz: Wie ist es denn eigentlich zu erklären, dass der Schlaf so ein schlechtes Image hat? Es wird ja immer wieder der Verdacht geäußert gegen den Schlaf oder gegen den langen Schlaf, es sei reine Zeitverschwendung.

    Fietze: Das hört man sogar von Politikern des Öfteren, dass Schlaf vergeudete Zeit ist. Das schlechte Image kommt einfach daher, dass generell jeder zu wenig über den Schlaf weiß und auch Wissen über Schlaf nicht vermittelt wird. Man beginnt ja heute, wie wir wissen, darüber nachzudenken, ob man bereits in der Schule die Kinder über gesunde Ernährung aufklärt und so muss es auch irgendwann in Zukunft sein oder sollte so sein, dass bereits in der Schule, aber spätestens im Studium viel mehr über gesunden Schlaf erfahren wird. Dann verliert er auch das schlechte Image.

    Schulz: Gibt es denn bei den Durchschnittswerten des Schlafs auch eine Entwicklung zurückblickend in die Geschichte?

    Fietze: Ja. Das ist ein großes Dilemma, was wir als Schlafmediziner feststellen. Wir haben in den letzten 100 Jahren statistisch gesehen ungefähr zwei Stunden Schlaf verloren. Anfang des 20. Jahrhunderts, 1901/02, schlief man noch neun Stunden im Schnitt. Heute sind es nur noch sieben. Es ist nicht davon auszugehen, dass der menschliche Organismus weniger Schlaf braucht, sondern wir gehen eher davon aus, dass die heutige moderne so genannte Industriegesellschaft uns den Schlaf raubt, weil auch die Nacht zum Tage gemacht wird, es wie gesagt nicht sozial ist, lange zu schlafen und so weiter, Schichtarbeit auch eine Rolle spielt, und damit müssen wir umgehen. [Dieser Tatsache] müssen wir uns auch als Schlafmediziner stellen [...] und dem entgegenwirken, weil das kann nicht gut sein, dass der Schlaf tatsächlich an Quantität verliert.

    Schulz: Wie wird sich das weiterentwickeln? Schlafen wir am Ende des Jahrhunderts nur noch fünf Stunden im Durchschnitt?

    Fietze: Das darf sich so nicht weiterentwickeln, weil es gibt tatsächlich auch erste groß angelegte Studien wo gezeigt wurde, dass Kurzschläfer - wie gesagt der Kurzschläfer ist der, der weniger als sechs Stunden schläft - eine verringerte Lebenserwartung haben. Es gibt aktuell sogar eine Studie aus Deutschland, die gezeigt hat, dass, wenn man durchweg weniger als sechs Stunden schläft, man ein erhöhtes Herzinfarktrisiko hat und das übrigens mehr bei Frauen als bei Männern. Also es gibt tatsächlich erste wissenschaftliche Daten, dass das kurz Schlafen über viele Jahre ungesund ist, und deswegen kann es nicht unser Ziel sein, dass wir den Schlaf immer weiter kürzen.

    Schulz: Wenn wir jetzt auf Ihre Jahrestagung blicken, was sind in der Schlafforschung die wichtigsten Neuentdeckungen der letzten Zeit?

    Fietze: Die wichtigsten Neuentdeckungen sind zum einen, nicht nur dass Schnarchen und die nächtlichen Atmungsstörungen, sondern auch dass schlechtes Schlafen bereits ein Herzkreislaufrisiko darstellt. Also Schlafen nicht nur als Symptom oder Syndrom, sondern tatsächlich als Erkrankung mit Folgeerkrankungen. Weitere Erkenntnisse ist alles um die Müdigkeit, also nicht nur schlechtes Schlafen, sondern das Müdesein am Tage, damit verbunden die erhöhte Unfallhäufigkeit zum Beispiel im Straßenverkehr. Das ist immer wieder ein Thema auf den wissenschaftlichen Kongressen. Weiteres Thema wird sein, dass wir uns um solche Sachen diskutieren: Sind Schlafstörungen vererbbar? Gibt es genetische Anlagen für Schlafstörungen? Davon gehen wir aus. Bekannt ist das heute nur für ein, zwei Schlafstörungen, zum Beispiel die unruhigen Beine. Da weiß man heute, dass diese Schlaferkrankung genetisch bedingt ist, dass sie vererbbar ist. Für andere Schlaferkrankungen weiß man es noch nicht. Für das schlechte Schlafen, für die Insomnie, haben wir noch keinen Anhalt für die Vererbbarkeit, auch nicht für das Schnarchen. Danach muss weiter gesucht werden. Und ein letztes Thema vielleicht noch: der Schlaf bei Kindern, der immer auch eine große Rolle spielt, weil viele Kinderärzte auch den Kongress besuchen.

    Schulz: Blicken wir auf die Schlafstörungen. Ob genetisch veranlagt oder nicht, es ist für viele Menschen ein Thema. Sie können nicht einschlafen, sie wachen in der Nacht auf und liegen wach. Was sind die wichtigsten Tipps?

    Fietze: Die wichtigsten Tipps bei Schlafstörungen sind tatsächlich, sich zunächst einmal zu informieren über den gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus. Als nächster Schritt wäre dann die so genannte Schlafhygiene, dass ich mit damit auseinandersetze, wie bette ich mich abends, wie liege ich abends, mache ich alles richtig, was [mit] Licht, Temperaturverhältnisse, Matratze, Bett zu tun hat.

    Schulz: Was ist denn ein günstiges Umfeld zum Einschlafen?

    Fietze: Man sollte zum Beispiel wissen, dass die Temperatur im Raum zwischen sagen wir 18 und 23 Grad sein soll, vorausgesetzt ich habe eine Zudecke und vielleicht auch noch einen Schlafanzug an, denn die Wohlfühltemperatur auf der Haut, wo wir am besten schlafen, die sollte 28 bis 29 Grad sein. Nun soll man nicht mit einem Thermometer schlafen, aber man muss wissen, dass zu einem gesunden Schlaf auch die Thermoregulation gehört. Wir schwitzen nachts, die Körpertemperatur sinkt im Schlaf. Deswegen schlafen wir nachts auch deutlich besser als am Tage. Das muss man zumindest berücksichtigen, wenn man sich bettet. Das nächste ist die Bequemlichkeit im Bett. Ganz klar, man kann auf einer vollkommen falschen Matratze liegen, morgens mit Schmerzen aufwachen. Man sollte tatsächlich auch in diesem Fall darüber nachdenken, ob man tatsächlich mal in ein neues Utensil, eine neue Matratze, was auch immer investiert. Viele schlafen auch viel zu lange auf alten Matratzen, die in ungünstigen Schlafhaltungen resultieren und Schmerzen verursachen.