Warum geht auf der Piazza Navona das Licht aus, wenn in der Schweiz ein Baum umfällt? Und warum braucht Österreich zum Ausstieg aus der Kernenergie die Ukraine? Konrad Kleinknecht kann das erklären:
"Österreich schloss mit der Ukraine 1992 einen über 15 Jahre laufenden Stromlieferungsvertrag, den diese nur mit dem Strom aus den weiterlaufenden Kernkraftwerken in Tschernobyl erfüllen konnten. Als Gegenleistung half die österreichische Elektrizitätswirtschaft der Ukraine bei der Modernisierung ihrer Kohle- und Gaskraftwerke."
Das nennt sich dann Globalisierung oder Doppelmoral. Ein Land steigt aus der Kernkraft aus und bezieht den Atomstrom vom Nachbarland, dessen Sicherheitsstandards auch noch weit unter den westeuropäischen liegen. Eine weitverbreitete Methode der Problemverlagerung, weitere Beispiele liefert der Kleinknechtsche Exkurs durch die europäische Energiewirtschaft. All die Verquickungen von Politik, Gaspreisen und Lieferverträgen sowie die jüngsten Ereignisse in der Ukraine und Weißrussland setzt der Physiker spannend erzählt in einen allgemeinverständlichen Zusammenhang. Und über allem steht die Grundsatzfrage,
"ob der Energieeinsatz so gesteigert werden kann, dass im Jahr 2050 etwa neun Milliarden Menschen auf dem Niveau des europäischen Lebensstandards leben können."
Und wie können wir diese Energie so klimaschonend, sprich CO2-arm, wie möglich erzeugen? Konrad Kleinschmidt sucht Inspiration bei unseren Nachbarn:
"Die Vorteile der französischen Energiepolitik fallen ins Auge. Der billige Strom aus Kernkraftwerken hat zur Entwicklung der französischen Industrie wesentlich beigetragen."
Nur dass in heißen Sommern wie 2003 mehrere französische Meiler runtergefahren werden mussten, weil das Kühlwasser in den Flüssen zu warm war.
"Auch die Luftverschmutzung ist geringer als in den Nachbarländern."
Und deshalb kommt Kleinknecht einige Kapitel weiter zu dem Schluss, dass, was für die Franzosen gut ist, für die Welt nicht schlecht sein kann.
"Der Bau neuer Reaktoren wird den Anteil emissionsfreier Stromerzeugung wesentlich erhöhen."
Doch leider verliert der Physiker dabei einige wesentliche Argumente gegen die Nutzung der Kernkraft aus dem Auge. Ein Kollege, der gerade verstorbene Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker, bewies schon vor 28 Jahren mehr Weitsicht:
"Und ich weiß nicht, ob die vielen Misslichkeiten, die natürlich mit der Kernenergie verbunden sind, insbesondere die Gefahren, die mit Gewaltanwendung zu tun haben, auf sich nehmen soll."
Und das bedachte von Weizsäcker schon 22 Jahre vor dem Terroranschlag auf das World Trade Center und zu einem Zeitpunkt, als Tschernobyl noch eine unbekannte Kleinstadt in der Ukraine war. Konrad Kleinknecht dagegen redet die Gefahr der unkontrollierten Kernschmelze schlicht runter:
"Wie wir heute wissen, war die Strahlenbelastung in Deutschland 1986 und 1987 durch den Unfall regional unterschiedlich, sie erreichte maximal das Niveau der natürlichen Umweltstrahlung."
Und was war in Schweden und in der Ukraine und in Weißrussland? Die nach dem Gau freigesetzte Radioaktivität war 400-mal größer, als die der Explosion von Hiroshima und Nagasaki zusammen. Etwa zwei Drittel des radioaktiven Fallout von Tschernobyl gingen nach dem 26. April 1986 in Weißrussland nieder. Die Krebsrate ist danach um das 70-fache angestiegen. Und während die Internationale Atomenergiebehörde die Zahl der Toten runterrechnet, ziehen die weißrussischen Wissenschaftler eine dramatische Bilanz: Rund 100.000 Menschen fielen dem Gau zum Opfer. In ihre Berechnungen fallen nicht nur die Krebsopfer, sondern auch die Menschen, die sich nach der Explosion das Leben nahmen. Bei aller Begeisterung des Autors für die klimaschonende Kernkraft sollte doch ein Wissenschaftler diese Fakten nicht unerwähnt lassen. Stattdessen das:
"Niemand schlägt vor, die Bewohner des Schwarzwaldes wegen der doppelt so hohen Umweltradioaktivität nach Hamburg umzusiedeln, weil sie dort geringer ist."
Natürlich nicht, warum auch? Die berechtigte Sorge gilt schließlich einem Reaktorunfall, wie die jüngsten Störfälle im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark zeigen eine nicht ganz unberechtigte Sorge. Denn die Pannenserie beweist, dass auch die neueren Meiler nicht so sicher sind, wie uns die Atomlobby glauben machen will. Und dann ist da ja auch die schier endlose Suche nach einem Endlager:
Carl Friedrich von Weizsäcker: "Dass man die Dinge macht, die schon deshalb notwendig sind, weil wir schon Kernenergie haben. Das ist Zwischenlagerung und Endlagerung. Denn die Brennstäbe fallen an, und irgendetwas muss damit passieren!"
Nur was? Auch ein viertel Jahrhundert später sind wir in Deutschland in dieser Frage noch nicht wesentlich weiter. Konrad Kleinknecht sieht das anders:
"Das deutsche Entsorgungskonzept ist genehmigungsreif. Es besteht aus dem schon genehmigten geologischen Tieflager Schacht Konrad bei Salzgitter für nicht wärmeentwickelnde Abfälle und dem Salzstock Gorleben für die Endlagerung von hochaktivem wärmeentwickelndem Abfall und abgebrannten Brennelementen."
Dumm nur, dass sich im Salzbergwerk Asse, dem Musterwerk für ein Endlager, gerade in diesem Frühjahr eine Katastrophe anbahnt. Die ehemalige Salzgrube galt als Vorbild für Gorleben und wurde als extrem sichere Endstation für den strahlenden Abfall gehandelt, bis in diesem April ein großes Leck entstand. Wenn die Pumpen das nachsickernde Wasser nicht mehr aufhalten können, säuft das Bergwerk ab - mitsamt seiner radioaktiven Fracht. Uran und Plutonium gefährden dann das Grundwasser und damit die ganze Gegend. Umweltminister Sigmar Gabriel veranschlagt Kosten in Milliardenhöhe, wenn die Blechfässer mit dem Atommüll geborgen werden müssten. Doch auch wenn der befürchtete Wassereinbruch im Bergwerk Asse die Diskussion um Gorleben anheizt, die Atomlobby ist wegen der Klimadebatte weiter im Aufwind. Sie hat zwar keine sichere Lösung für die Endlagerung, aber:
"Die Verfeuerung von Braunkohle ist die klimaschädlichste Art, elektrische Energie zu erzeugen. Der Ausstoß von Kohlendioxid beträgt 1080 Gramm pro erzeugter Kilowattstunde elektrischer Energie, weil einerseits der Brennwert der Braunkohle gering und andererseits der Wirkungsgrad mit 43 Prozent niedriger ist als der von Steinkohlekraftwerken (47 Prozent)."
In Bezug auf Vor- und Nachteile der fossilen Energieträger ist der Autor wieder der nüchterne Wissenschaftler, der die Fakten erzählend einordnet und dem Leser eine eigene Meinung ermöglicht. Umweltminister Sigmar Gabriel fasst das Dilemma so zusammen:
"Ich gehöre zu denen, die glauben, dass wir aus der Kernenergie wegen ihrer großen Risiken aussteigen müssen. Das hat was damit zu tun, wie ich glaube, wie sich das entwickelt. Aber ich sage Ihnen, zu glauben, man könnte sozusagen zeitgleich bis zum Jahre 2020 aus der Kernenergie aussteigen bei der Stromerzeugung und aus der Kohleenergie, das ist Utopie!"
Welche Chancen die Nutzung von Wind-, Wasser- und Sonnenkraft für die zukünftige Energieversorgung noch bietet, schildert Kleinknecht unterstützt von guten Grafiken. Und von da an kann das Buch dem Leser durchaus empfohlen werden: Die Nachteile der fossilen Brennstoffe, die Vorteile der erneuerbaren Energiequellen, die Probleme bei der Energiespeicherung, all das schildert Kleinknecht differenziert und dennoch sehr anschaulich. Nur bei den Nachteilen der Kernenergie ist der Physiker betriebsblind. Wenn Sie also die Argumente der Atomlobby im Detail kennen lernen wollen? Lesen sie die Kapitel 9 bis 13!
Konrad Kleinknecht: Wer im Treibhaus sitzt. Wie wir der Klima- und Energiefalle entkommen
Piper Verlag, München 2007
256 Seiten, 14 Euro
"Österreich schloss mit der Ukraine 1992 einen über 15 Jahre laufenden Stromlieferungsvertrag, den diese nur mit dem Strom aus den weiterlaufenden Kernkraftwerken in Tschernobyl erfüllen konnten. Als Gegenleistung half die österreichische Elektrizitätswirtschaft der Ukraine bei der Modernisierung ihrer Kohle- und Gaskraftwerke."
Das nennt sich dann Globalisierung oder Doppelmoral. Ein Land steigt aus der Kernkraft aus und bezieht den Atomstrom vom Nachbarland, dessen Sicherheitsstandards auch noch weit unter den westeuropäischen liegen. Eine weitverbreitete Methode der Problemverlagerung, weitere Beispiele liefert der Kleinknechtsche Exkurs durch die europäische Energiewirtschaft. All die Verquickungen von Politik, Gaspreisen und Lieferverträgen sowie die jüngsten Ereignisse in der Ukraine und Weißrussland setzt der Physiker spannend erzählt in einen allgemeinverständlichen Zusammenhang. Und über allem steht die Grundsatzfrage,
"ob der Energieeinsatz so gesteigert werden kann, dass im Jahr 2050 etwa neun Milliarden Menschen auf dem Niveau des europäischen Lebensstandards leben können."
Und wie können wir diese Energie so klimaschonend, sprich CO2-arm, wie möglich erzeugen? Konrad Kleinschmidt sucht Inspiration bei unseren Nachbarn:
"Die Vorteile der französischen Energiepolitik fallen ins Auge. Der billige Strom aus Kernkraftwerken hat zur Entwicklung der französischen Industrie wesentlich beigetragen."
Nur dass in heißen Sommern wie 2003 mehrere französische Meiler runtergefahren werden mussten, weil das Kühlwasser in den Flüssen zu warm war.
"Auch die Luftverschmutzung ist geringer als in den Nachbarländern."
Und deshalb kommt Kleinknecht einige Kapitel weiter zu dem Schluss, dass, was für die Franzosen gut ist, für die Welt nicht schlecht sein kann.
"Der Bau neuer Reaktoren wird den Anteil emissionsfreier Stromerzeugung wesentlich erhöhen."
Doch leider verliert der Physiker dabei einige wesentliche Argumente gegen die Nutzung der Kernkraft aus dem Auge. Ein Kollege, der gerade verstorbene Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker, bewies schon vor 28 Jahren mehr Weitsicht:
"Und ich weiß nicht, ob die vielen Misslichkeiten, die natürlich mit der Kernenergie verbunden sind, insbesondere die Gefahren, die mit Gewaltanwendung zu tun haben, auf sich nehmen soll."
Und das bedachte von Weizsäcker schon 22 Jahre vor dem Terroranschlag auf das World Trade Center und zu einem Zeitpunkt, als Tschernobyl noch eine unbekannte Kleinstadt in der Ukraine war. Konrad Kleinknecht dagegen redet die Gefahr der unkontrollierten Kernschmelze schlicht runter:
"Wie wir heute wissen, war die Strahlenbelastung in Deutschland 1986 und 1987 durch den Unfall regional unterschiedlich, sie erreichte maximal das Niveau der natürlichen Umweltstrahlung."
Und was war in Schweden und in der Ukraine und in Weißrussland? Die nach dem Gau freigesetzte Radioaktivität war 400-mal größer, als die der Explosion von Hiroshima und Nagasaki zusammen. Etwa zwei Drittel des radioaktiven Fallout von Tschernobyl gingen nach dem 26. April 1986 in Weißrussland nieder. Die Krebsrate ist danach um das 70-fache angestiegen. Und während die Internationale Atomenergiebehörde die Zahl der Toten runterrechnet, ziehen die weißrussischen Wissenschaftler eine dramatische Bilanz: Rund 100.000 Menschen fielen dem Gau zum Opfer. In ihre Berechnungen fallen nicht nur die Krebsopfer, sondern auch die Menschen, die sich nach der Explosion das Leben nahmen. Bei aller Begeisterung des Autors für die klimaschonende Kernkraft sollte doch ein Wissenschaftler diese Fakten nicht unerwähnt lassen. Stattdessen das:
"Niemand schlägt vor, die Bewohner des Schwarzwaldes wegen der doppelt so hohen Umweltradioaktivität nach Hamburg umzusiedeln, weil sie dort geringer ist."
Natürlich nicht, warum auch? Die berechtigte Sorge gilt schließlich einem Reaktorunfall, wie die jüngsten Störfälle im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark zeigen eine nicht ganz unberechtigte Sorge. Denn die Pannenserie beweist, dass auch die neueren Meiler nicht so sicher sind, wie uns die Atomlobby glauben machen will. Und dann ist da ja auch die schier endlose Suche nach einem Endlager:
Carl Friedrich von Weizsäcker: "Dass man die Dinge macht, die schon deshalb notwendig sind, weil wir schon Kernenergie haben. Das ist Zwischenlagerung und Endlagerung. Denn die Brennstäbe fallen an, und irgendetwas muss damit passieren!"
Nur was? Auch ein viertel Jahrhundert später sind wir in Deutschland in dieser Frage noch nicht wesentlich weiter. Konrad Kleinknecht sieht das anders:
"Das deutsche Entsorgungskonzept ist genehmigungsreif. Es besteht aus dem schon genehmigten geologischen Tieflager Schacht Konrad bei Salzgitter für nicht wärmeentwickelnde Abfälle und dem Salzstock Gorleben für die Endlagerung von hochaktivem wärmeentwickelndem Abfall und abgebrannten Brennelementen."
Dumm nur, dass sich im Salzbergwerk Asse, dem Musterwerk für ein Endlager, gerade in diesem Frühjahr eine Katastrophe anbahnt. Die ehemalige Salzgrube galt als Vorbild für Gorleben und wurde als extrem sichere Endstation für den strahlenden Abfall gehandelt, bis in diesem April ein großes Leck entstand. Wenn die Pumpen das nachsickernde Wasser nicht mehr aufhalten können, säuft das Bergwerk ab - mitsamt seiner radioaktiven Fracht. Uran und Plutonium gefährden dann das Grundwasser und damit die ganze Gegend. Umweltminister Sigmar Gabriel veranschlagt Kosten in Milliardenhöhe, wenn die Blechfässer mit dem Atommüll geborgen werden müssten. Doch auch wenn der befürchtete Wassereinbruch im Bergwerk Asse die Diskussion um Gorleben anheizt, die Atomlobby ist wegen der Klimadebatte weiter im Aufwind. Sie hat zwar keine sichere Lösung für die Endlagerung, aber:
"Die Verfeuerung von Braunkohle ist die klimaschädlichste Art, elektrische Energie zu erzeugen. Der Ausstoß von Kohlendioxid beträgt 1080 Gramm pro erzeugter Kilowattstunde elektrischer Energie, weil einerseits der Brennwert der Braunkohle gering und andererseits der Wirkungsgrad mit 43 Prozent niedriger ist als der von Steinkohlekraftwerken (47 Prozent)."
In Bezug auf Vor- und Nachteile der fossilen Energieträger ist der Autor wieder der nüchterne Wissenschaftler, der die Fakten erzählend einordnet und dem Leser eine eigene Meinung ermöglicht. Umweltminister Sigmar Gabriel fasst das Dilemma so zusammen:
"Ich gehöre zu denen, die glauben, dass wir aus der Kernenergie wegen ihrer großen Risiken aussteigen müssen. Das hat was damit zu tun, wie ich glaube, wie sich das entwickelt. Aber ich sage Ihnen, zu glauben, man könnte sozusagen zeitgleich bis zum Jahre 2020 aus der Kernenergie aussteigen bei der Stromerzeugung und aus der Kohleenergie, das ist Utopie!"
Welche Chancen die Nutzung von Wind-, Wasser- und Sonnenkraft für die zukünftige Energieversorgung noch bietet, schildert Kleinknecht unterstützt von guten Grafiken. Und von da an kann das Buch dem Leser durchaus empfohlen werden: Die Nachteile der fossilen Brennstoffe, die Vorteile der erneuerbaren Energiequellen, die Probleme bei der Energiespeicherung, all das schildert Kleinknecht differenziert und dennoch sehr anschaulich. Nur bei den Nachteilen der Kernenergie ist der Physiker betriebsblind. Wenn Sie also die Argumente der Atomlobby im Detail kennen lernen wollen? Lesen sie die Kapitel 9 bis 13!
Konrad Kleinknecht: Wer im Treibhaus sitzt. Wie wir der Klima- und Energiefalle entkommen
Piper Verlag, München 2007
256 Seiten, 14 Euro