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Plädoyer für eine ethische Marktwirtschaft

Die Frage nach der Existenz einer Ethik der Wirtschaft, in der die Akteure im Interesse der Gesellschaft handeln, wird gerne diskutiert - in der politischen Literatur wurde sie bisher kaum aufgegriffen. Ein Sammelband des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften bessert da nun nach.

Von Klemens Kindermann | 20.12.2010
    Die "Suche nach Wirklichkeit" – das war das zentrale Credo von Joseph Höffner bei der Gründung des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften in Münster. Eine Sternstunde des deutschen Katholizismus nach dem Zweiten Weltkrieg, denn der spätere Kölner Kardinal und langjährige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz machte das Institut zu einem einzigartigen Nukleus bei dieser "Suche nach Wirklichkeit": Hier wurden Konzepte für die Gestaltung der Sozialen Marktwirtschaft der jungen Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Höffner war Berater von Bundesministerien, Inspirator der Sozialpolitik, auf Bitten von Kanzler Konrad Adenauer Vordenker für die Gestaltung der Sozialversicherung im jungen Nachkriegsdeutschland. Sein Institut war vielleicht der erste wirkliche Think Tank der Bundesrepublik. Wenn sich heute also dieses Institut zu Wort meldet zu einer ethischen Beurteilung der Finanz- und Wirtschaftskrise, dann lohnt dies das Gehör. Nicht von ungefähr haben die Macher des aktuellen Jahrbuchs, allen voran Institutschefin Marianne Heimbach-Steins, ihrem programmatischen Titel "Weltwirtschaft und Gemeinwohl" den Zusatz "Eine Zwischenbilanz der Wirtschaftskrise" gegeben. Das war klug. Denn, dass die Krise bereits hinter uns läge, das glauben vielleicht gutwillige Wirtschaftsforscher und gut verdienende Exporteure - vor allem in Deutschland - , aber sicher nicht: europäische Realisten.

    Deutschland und die anderen Länder der Eurozone werden ihre Haushalte in Ordnung bringen müssen. Sie werden sich auf den demografischen Wandel einstellen und ihre Klimaschutzziele auch finanzpolitisch hinterlegen müssen. Die nette Phase der Krise geht zu Ende. Das Fundament der Gesellschaft muss gesichert und neu formuliert werden, fordert die Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld in ihrem Eröffnungsbeitrag. Und trifft damit einen Grundton des Sammelbandes. Nämlich die Warnung davor, angesichts einer immer noch brüchigen Lage die Chance auf Neugestaltung zu verspielen. Die vorläufige Stabilisierung der Weltkonjunktur, so Christina Ramb und Peter Clever von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in ihrem Buch-Beitrag, sei auf die expansive Geldpolitik der Notenbanken, die Konjunkturprogramme, den niedrigen Ölpreis und die Robustheit der Schwellenländer zurückzuführen. Alle diese Faktoren aber hätten eines gemeinsam: Sie seien nicht nachhaltig. Umso wichtiger, so das Plädoyer der im Band vertretenen Wissenschaftler, sei es, jetzt nicht den "Kairos", den günstigen Augenblick zur Neu-Justierung des Wirtschafts- und Wachstumsmodells zu verpassen. Peter Ulrich aus St. Gallen, dort immerhin einst der erste Inhaber eines Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an einer deutschsprachigen Wirtschaftsfakultät überhaupt, stellt fest:

    Was fortschreitend verloren gegangen zu sein scheint, ist ein republikanisch-liberales Wirtschaftsbürgerethos. Der Kern dieses bürgerliberalen Wirtschaftsethos ist die Integrität im Wirtschaftsleben und analog auch die Geschäftsintegrität von Unternehmen.

    Wie aber kann es zu dieser neuen Integrität kommen? Geht das überhaupt mit dem vorhandenen Personal im Finanzdienstleistungsgeschäft? Den Sammelband zeichnet ein wohltuender Hang zur Differenzierung aus. Gegen platte Diskriminierungen, wie sie derzeit im öffentlichen Raum unter dem Stichwort des "Bad Bankers" umlaufen. André Habisch von der Universität Eichstätt legt offen, dass die internationalen Märkte durchaus auch ethische Leistungsanforderungen an solche Unternehmen herantragen, die sich an der Börse Geld besorgen wollen. Die Beachtung von Umweltrisiken, die Einhaltung von Menschenrechten – hier hatte der Sportartikler Nike ein Reputationsproblem - , oder die Vermeidung von Korruption – zu denken sei etwa an die horrenden Kosten für Siemens – all' solche Faktoren sind für Analysten mittlerweile Standards bei der Unternehmensbewertung. André Habisch:

    Aus sozialethischer Sicht stellt also der Siegeszug von Fondsmanagern, Investmentbankern und globalen Finanzmarkttransaktionen keineswegs per se eine Dekadenzerscheinung des Spätkapitalismus dar. Es tauchen nicht plötzlich – sozusagen als sozialethischer 'Deus ex machina' – die bösen Investmentbanker auf, die die gute alte Aktionärsdemokratie pervertieren.

    Aber auch wenn Finanzmärkte ethisch sein können, verlassen wollen sich die Sozialethiker darauf nicht. Sehr klar plädiert Bernhard Emunds, der Leiter des Oswald von Nell-Breuning-Instituts in Frankfurt, für eine Neuausrichtung der Finanzmärkte auf das Gemeinwohl hin. Viele Aktivitäten im Finanzbereich lieferten zum Gemeinwohl keinen Beitrag, trügen nichts zur Wertschöpfung und damit zur Erweiterung der realen Freiheit der Menschen bei:

    Die Regulierung der Finanzwirtschaft – einer wirtschaftlichen Branche, die in den letzten beiden Jahrzehnten völlig 'aus dem Ruder gelaufen' ist – erweist sich damit als Nagelprobe für die Demokratie. An ihr wird sich zeigen, ob sich die Wirtschaft so weit verselbständigt hat und so dominant geworden ist, dass die Bürgerinnen und Bürger in Fragen der Wirtschaftsordnung faktisch nicht mehr in der Lage sind, mit Hilfe politischer Institutionen demokratisch über sich selbst zu bestimmen.
    Für den notwendigen Umbau der Finanzwirtschaft, die Entflechtung des Ineinanders von Geschäfts- und Investmentbanken schlägt also auch die Stunde des Staates. Dessen neue Rolle und die Frage, wie viel er denn zu leisten in der Lage ist, wird in den hier versammelten wertvollen Analysen der führenden Sozialethiker Deutschland anschaulich diskutiert. Auch die Möglichkeiten europäischer und globaler Steuerung werden ausgelotet. Eindrucksvoll haben die Wissenschaftler und Fachleute damit indirekt einen Appell befolgt, den Horst Köhler in einer seiner letzten Reden als Bundespräsident formuliert hat: Verschwendet die Finanzkrise nicht! Die Autoren von "Weltwirtschaft und Gemeinwohl" wissen sie zu nutzen. Das Miteinander von Marktwirtschaft und Ethik neu zu definieren, Wege dazu aus der aktuellen Wirtschaftskrise herauszulesen und aufzuzeigen, das ist das Verdienst dieses großartigen Sammelbandes. Im besten Sinne folgen die Autoren damit dem Credo des Kölner Kardinals Höffner: der "Suche nach der Wirklichkeit".

    Klemens Kindermann war das über Marianne Heimbach-Steins: "Weltwirtschaft und Gemeinwohl. Eine Zwischenbilanz der Wirtschaftskrise". Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, Band 51, erschienen im Aschendorff Verlag Münster. 375 Seiten kosten 39 Euro, ISBN: 978-3-402-10983-0.