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Plädoyer für einen säkularen Staat

Bangladesch, der 1971 durch Abspaltung von Pakistan gegründete Staat, war zwar schon immer überwiegend von Moslems bewohnt, aber heute nimmt der islamische Fanatismus doch spürbar zu. Eine Innenansicht der besonderen Art zeigt die Filmdokumentation"Korankinder", die in einer Madrassa, einer Koranschule, gedreht wurde.

Von Rüdiger Suchsland |
    Vierzig, fünfzig Jungen knien in einer langen Reihe. Einige sind erst fünf Jahre alt, andere schon in der Pubertät. Sie alle haben helle Kopfbedeckungen auf ihrem Schädel. Monoton nicken sie immer wieder mit ihrem Kopf nach vorn, ebenso monoton rezitieren sie gleichzeitig Suren aus dem vor ihnen aufgeschlagenen Koran. Jeder für sich ist ganz und gar in seinem eigenen Rhythmus gefangen, darum herrscht ein chaotisches Stimmengewirr, aber die Welt um ihn herum scheint nur noch schemenhaft zu existieren - und im Gesichtsausdruck dieser Knaben ist Konzentration nicht mehr von Apathie zu unterscheiden. Zwölf Stunden am Tag geht das so. Nachts um 20 vor vier sind sie bereits aufgestanden.

    6234 - soviel Verse hat der Koran. Wer ein "Hafiz" werden will, ein Korankenner, der muss, zumindest dem streng islamischen Bildungsverständnis zufolge, jeden einzelnen von ihnen auswendig können. Dies und nichts anderes tut man an einer Madrasas, einer Koranschule. Jeden Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr um Jahr. Bis man alle Suren kann, um sie dann ein Leben lang bei verschiedensten Gelegenheiten zu zitieren. Denn "Koran" heißt wörtlich nichts anderes, als "Rezitation".

    Ein paar wenige kluge Wunderkinder schaffen es bereits in sechs Monaten zum Hafiz. Normalerweise braucht man dafür zwei bis fünf Jahre.

    "Korankinder" - diese Dokumentation ist eine kleine Sensation. Denn der Regisseur, der aus Bangladesch stammende, an der Filmhochschule von Potsdam ausgebildete, und seit langem in Deutschland lebende Shaheen Dill-Riaz, hat etwas geschafft, was zuvor noch nie einem Filmemacher gelungen war: Er hat seiner Kamera und damit unserem Blick Einlass verschafft in das unbekannte Innere einer Koranschule. Normalerweise darf hier keine Kamera hinein, denn im Islam herrscht ein striktes Bilderverbot - obwohl im Koran selbst nichts dergleichen geschrieben steht. Durch persönliche Beziehungen gelang es Dill-Riaz in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, trotzdem, die Türen zu dieser verschlossenen Welt zu öffnen. Einer Welt, die in Staaten wie Banglasch immer mehr Einfluss gewinnt:

    "Obwohl es in diesem Land seit 800 Jahren Moslems gibt - heute sind es 120 Millionen -, war der Islam noch nie so sichtbar, wie heute."

    Vieles von dem, was einem hier begegnet, überrascht. So verstehen die Schüler zumeist kein Wort von dem, was sie hier wieder und wiederholen. Denn die Sprache des Koran ist Arabisch. Die Kinder aber können nur ihre Muttersprache Bengali. Das Ritual der Wiederholung ist von seltsamer, strenger Schönheit- wie ein Ornament aus Worten. Lehrer und Geistliche geben bereitwillig Auskunft, die Schüler erzählen was sie einmal werden wollen.

    Zugleich lässt einen westeuropäischen Zuschauer das Gesamtbild erschrecken. Denn in der Madrasas werden zwar keine kleinen Terroristen ausgebildet. Aber das Unspektakulärere dem man hier begegnet, ist kaum weniger schlimm:

    Dill-Riaz Dokumentation handelt von dem antiaufklärerischen Ungeist, der längst weite Teile nicht nur der islamischen Welt erfasst hat. Einen Ungeist, der von den Schülern Demut fordert, nicht Neugier, der Disziplin predigt, nicht Autonomie, der Unterordnung lehrt, nicht Freiheit. "Korankinder" zeigt, wie Religion zum Instrument von Gehirnwäsche wird.

    Und der Film zeigt, welche Gefahren für die Gesellschaft entstehen, wo bereits bei Kindern Psyche und Gedankenwelt manipuliert werden.

    So erzählt der Regisseur auch viel Grundsätzliches über den Islam heute.

    "Der Islam bestimmt nicht nur unsere Feste und Rituale. Er ist zunehmend zur entscheidenden politischen Kraft geworden ... Es gibt zahlreiche islamische Parteien. ... schließen sich Madarasa Studenten zunehmend einer islamischen Partei an. In den letzten Jahrzehnten haben ihre Aktivisten auch manche Universität erobert."

    Handelt es sich bei dieser Islamisierung und den Koranschulen um eine Welle, die vorüber geht? Die Frage steht im Raum, wenn man diesen Film sieht. Aber auch wenn das so wäre - ihren Höhepunkt hat sie offenbar noch nicht überschritten.

    In Bangladesch, wie auch in vielen anderen Ländern, ist die Macht der Mullahs inzwischen so groß geworden, dass sich nur wenige trauen, offen gegen sie Position zu beziehen.

    Dill-Riaz Film ist dem gegenüber ein stilles, wohlabgewobenes, aber dennoch klares Plädoyer für einen säkularen Staat, der Politik und Religion nicht vermischt, sondern klar trennt, in dem die Religion in den Schulen und im Unterricht nichts zu suchen hat.