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Plädoyers für einen zeitgemäßen und liberalen Islam

Neben der Deutschen Islam Konferenz und der Jungen Islamkonferenz gibt es jetzt in der Bundesrepublik auch die Kritische Islamkonferenz. In ihr haben sich Muslime und auch Ex-Muslime zusammengeschlossen, die einen modernen und liberalen Islam einfordern.

Von Thomas Klatt | 16.05.2013
    "Ich sage immer, dass es keine islamische Revolution ist, aber auch keine Revolution gegen die Revolution ist. Das ist eine Religion, die trotz der Religion zustande gekommen ist. Es ist keine französische Revolution, wo die Menschen sich abkapseln von der Religion. Aber es ist auch keine iranische Revolution, wo die Islamisten gleich danach eine Theokratie zustande bringen können. Die Welt funktioniert heute Gott sein Dank anders."

    Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel Samad hält es für dramatisch, dass die islamistischen Parteien etwa in Ägypten die Wahlen gewinnen, obwohl sie alles andere als Träger der Revolution waren und sind. Die meisten jungen Araber wollten die Moderne und nicht religiösen Konservatismus, meint Hamed Abdel Samad.

    "Ich war in Kairo, habe einen jungen Mann getroffen, 21 Jahre alt, bekennender Atheist, obwohl er an Al-Azhar-Universität studiert, die religiöse Universität, das Zentrum des sunnitischen Islams. Und er erfuhr, dass in einer Moschee in Alt-Kairo die Muslimbrüder eine Veranstaltung planen, wo sie über den Atheismus aufklären wollen. Und dieser junge Mann hat seine atheistischen Freunde auf Facebook kontaktiert und gesagt, gehen wir mal hin und versuchen wir mal mit denen zu diskutieren. Und sie dachten, sie werden drei oder vier Leute sein. Aber dann haben sie in der Moschee gemerkt, dass sie in der Mehrheit waren. Und dieser Imam war perplex, dass er festgestellt hat, dass viele unter den Atheisten ein Kopftuch tragen."

    Auch in Deutschland seien die Muslime weit weniger traditionell und religiös konservativ eingestellt, als es die in der Öffentlichkeit auftretenden muslimischen Verbände vermuten lassen, meint die türkischstämmige SPD-Politikerin Lale Akgün.

    "Die Alternative zum gängigen Islam kann nicht die Ablehnung des Islam sein, jedenfalls nicht für mich und Millionen gläubiger Muslime. Nein, die Alternative kann nur ein liberaler Islam sein, denn die Muslime hadern nicht mit ihrer Religion, sie hadern mit der Auslegung des Islam mit den Altvorderen."

    Zwar sei die Mehrheit der Muslime liberal und modern eingestellt, aber kaum organisiert. Die Konservativen aber beherrschten die Verbände wie den Zentralrat der Muslime oder den Islamrat, die zusammen aber höchstens 20 Prozent aller Muslime in Deutschland repräsentieren würden. Ihnen werde zu viel Macht eingeräumt. Ausdrücklich begrüßt Akgün etwa die Einrichtung islamisch theologischer Fakultäten in Deutschland. Sie warnt aber, dass in den Beiräten zur islamischen Religionslehrerausbildung die muslimischen Verbände zu viel Einfluss haben. Das sehe man zum Beispiel an den letztmaligen Angriffen auf den liberalen Hochschullehrer Mouhanad Khorchide in Münster.

    "Und ich sehe, wie der angegriffen wird, wenn er die orthodoxe Linie verlässt. Nur weil er sagt, dass die Gesetzestexte des Koran zeitgebundene Texte sind und in einem modernen Rechtsstaat eine zeitgemäße Interpretation einfordert. Wer den islamischen Verbänden auf die Füße tritt, wird mundtot gemacht. Religionslehrer sollten aber nicht zu einem Kadavergehorsam erziehen, sondern dazu, sich kritisch mit den Gottesbildern auseinanderzusetzen."

    Dagegen müsse man die liberalen und modernen Kräfte stärken, die an einer historisch-kritischen Koranauslegung interessiert sind. Ein Vorbild könnte dabei die so genannte Ankara-Schule sein.

    "Deren ehemalige Dekanin, Professor Dr. Bilgin scheut sich nicht, sogar die fünf Säulen des Islam zu hinterfragen, sie somit auf den Prüfstand zu stellen. Beten, ja, aber wie oft? Fasten, ja, aber wann? Pilgern, ist es nötig? Von islamischen Verbänden in Deutschland hingegen werden sie als unveränderbar und sakrosankt betrachtet. Auf den Prüfstand stellen heißt nicht abstellen, sondern überprüfen, ob ein Glaubensgrundsatz noch zeitgemäß ist und den ursprünglich angedachten Zweck noch erfüllt."

    Es reiche eben nicht, den Koran nur auswendig zu lernen und auf Arabisch rezitieren zu können. Man müsse den Koran auch verstehen können, um über ihn diskutieren zu können. Dagegen dürfe man die Deutungshoheit nicht den Konservativen und Orthodoxen überlassen, meint die liberale Muslima Lale Akgün.

    "Glaube ist aber mehr als Gebete nachzusprechen und Riten nachzukommen. Die konservativen und traditionalistischen Muslime aber halten die Gläubigen genau dazu an und indem sie das tun, halten sie die Menschen vom richtigen Verständnis des Korans ab. Die Konservativen sagen, die Muslime sollen den Koran nur rezitieren und nur auf Arabisch, weil arabisch angeblich die Sprache Gottes ist. Gott spricht aber nicht arabisch. Gott spricht überhaupt keine menschliche Sprache. Sprache sind Kommunikationssysteme von Menschen, um miteinander in Kontakt zu treten. Für die Offenbarung Gottes ist nicht eine bestimmte Sprache entscheidend, sondern es sind die inhaltlichen Botschaften. Der Koran kann, nein er muss in die Muttersprachen der Gläubigen übersetzt werden."

    Daher sei es Aufgabe der Gläubigen, sich um die eigene Bildung zu kümmern. Gerade da gebe es aber in vielen muslimischen Familien Defizite, mahnt die deutschtürkische Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek.

    "Ich finde, dass zu viele Eltern muslimischer Familien glauben, sie haben die Pflicht ihre Kinder nach dem Gebot Allahs zu erziehen und die Bildung muss aber von Deutschen kommen und wenn das scheitert, ist die Gesellschaft schuld. Also ich gebe mein Kind ab und es kommt als Arzt zurück, was dazwischen passiert ist, damit habe ich überhaupt nichts zu tun. Also ich habe in den Schulen gemerkt, wie wenig die Eltern eine Rolle spielen. Auch dass die Lehrer irgendwann aufgegeben haben die Eltern einzuladen, weil sie nicht kommen."

    Muslime müssen nicht nur ihre gesellschaftliche Verantwortung in Bildungsdingen wahrnehmen. Vor allem müssten sie in einem modernen Rechtsstaat akzeptieren, dass es auch ein Recht auf Nicht-Glauben geben muss. Dagegen entwickele sich in Deutschland seit geraumer Zeit eine konservative Gegenströmung, mahnt Lale Akgün.

    "Multiplikatoren, also Lehrer, Sozialarbeiter, Kita-Mitarbeiter, Ärzte erzählen mir, dass jetzt eine konservative Strömung da ist, die es so vor etwa 20 Jahren unter Muslimen in Deutschland noch nicht gegeben hat. Sie befürchten, dass die Gesellschaft auseinanderbricht, dass eine Gruppe heranwächst, die sagen, mit Ungläubigen wollen wir nichts zu tun haben."

    Für konservative Muslime scheint es immer noch unerträglich zu sein, dass sich ehemalige Glaubensgeschwister demonstrativ von ihrem Glauben abwenden. Da gebe es also noch viel Bedarf für demokratische Aufklärungsarbeit, weiß die gebürtige Iranerin Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrates der Ex-Muslime Deutschland.

    "Religion verlassen sollte in elementares Menschenrecht und erlaubt sein. Aber ist nicht der Fall. Als wir den Zentralrat der Ex-Muslime gegründet haben, Polizei war bei mir und Personenschutz. Das war für mich ein großer Schock. Wieso können wir uns in Deutschland nicht als Atheisten repräsentieren? Was ist hier los, und ich habe sechs bis sieben Monate 100 Prozent Personenschutz bekommen und hunderte Hass-Emails, du wirst einen Unfall haben oder wir werden dich schießen. Also es gibt ein Problem."