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Plagiate, eine Übermutter und eine heimliche Affäre

Die rumänische Produktion "Mutter & Sohn" erhielt bei der Berlinale den Goldenen Bären und ist ab dem 23. Mai auch im Kino zu sehen. Ebenfalls neu sind das akzeptable Spielfilmdebüt "Freier Fall" über homosexuelle Polizisten und das enttäuschende Drama "Der Dieb der Worte".

Von Jörg Albrecht | 22.05.2013
    "Du kannst dir nicht vorstellen, wie er mich genannt hat. Blöde Kuh, Idiotin und lauter solche Sachen. Als wäre ich seine Feindin."

    Obwohl Barbu, der 35-jährige Sohn von Cornelia, erst nach gut 20 Minuten im Film überhaupt zu sehen ist, weiß es der Zuschauer bereits von der allerersten Szene an: Barbu hasst seine Mutter regelrecht. Er ist auf Abstand gegangen. Ständig hat sie bei ihm zuhause rumgeschnüffelt, gegen seine Freundin gehetzt und sich ungefragt in sein Leben eingemischt. Und sie tut es auch jetzt wieder, als sie erfährt, dass Barbu mit seinem Auto ein Kind überfahren hat. Da die Polizei wegen fahrlässiger Tötung ermittelt, setzt Cornelia alles daran, ihren Sohn vor einer Haftstrafe zu bewahren. Dabei scheut sie auch vor Bestechung nicht zurück.

    "Der andere Fahrer hat sich jetzt gemeldet. Wir treffen ihn morgen."
    "Wieso sollen wir ihn treffen?"
    "Damit er seine Aussage ändert."

    "Ich will ihn nicht treffen."

    "Barbu, die Sache ist ernst."

    Barbus anfängliche Teilnahmslosigkeit schlägt in Wut auf seine Mutter um. "Mutter & Sohn" handelt von dominanter, krankhafter Mutterliebe. Aber nicht nur. Regisseur Călin Peter Netzer zeichnet – quasi nebenbei – auch ein Bild von der rumänischen Gesellschaft und der wachsenden Kluft zwischen Ober- und Unterschicht. Während Cornelia zu den Bessergestellten gehört und daran glaubt, sich ihr Recht erkaufen zu können, lebt die Familie des getöteten Kindes in Armut. Mit der Handkamera gedreht, trägt "Mutter & Sohn" fast dokumentarische Züge. Der Film wird vor allem von der rumänischen Schauspielerin Luminita Gheorghiu getragen. Ihr Porträt einer selbstherrlichen und berechnenden, regelrecht unsympathischen Frau, ist großartig. Wie der ganze Film absolut empfehlenswert ist.

    "Freier Fall" von Stephan Lacant
    "So haben wir dich nicht erzogen, Marc."

    Noch einmal Mutter und Sohn. Grausam muss für Marc dieser Satz sein. Seine Mutter hat ihn dabei beobachtet, wie er einen anderen Mann küsst. Grausam ist dieser Satz aber auch für unsere Ohren.

    "So haben wir dich nicht erzogen, Marc."

    Denn plumper, abgedroschener und klischeebehafteter geht es kaum. Es kann einem also durchaus angst und bange werden, sollte dieser Satz stellvertretend für einen ganzen Film stehen. Das aber tut er glücklicherweise nicht in Stephan Lacants "Freier Fall", der Geschichte eines verheirateten Polizisten und werdenden Vaters, der sich zu seinem schwulen Kollegen Kay hingezogen fühlt. Marc beginnt ein Doppelleben zu führen.

    "Willst du es ihr eigentlich nicht irgendwann mal sagen?"

    Marc aber will nicht. Er kann sich seine Gefühle nicht eingestehen. Schon allein aus Angst vor den Konsequenzen, die ein Outing sowohl für seine Familie als auch für seinen Job bei der Polizei hätte.

    "Seit Tagen nichts. Nicht einmal eine scheiß SMS."

    "Kay, ich bin Vater geworden. Wie stellst du dir das vor? Soll ich Bettina und den Kleinen einfach im Stich lassen?"

    "So habe ich das nicht gemeint. ... Steh endlich dazu, dass du schwul bist!"

    "Ich bin nicht schwul, Kay. Hast du kapiert? Dass mit dir war ein Ausrutscher. Also lass mich in Ruhe!"

    Natürlich lässt einen die Geschichte von "Freier Fall" sofort an "Brokeback Mountain" denken, Ang Lees sensibel und subtil erzähltem Film über eine Liebe jenseits aller Konventionen. Da die Cowboys, hier die Polizisten. Was ihre Darstellung betrifft, müssen sich Hanno Koffler und Max Riemelt nicht vor ihren amerikanischen Kollegen verstecken. Auch das weitgehend präzise Drehbuch überzeugt. Nur erinnern Dramaturgie und Bildsprache zu stark an die auf 90 Minuten nach Schema F gestalteten Fernsehfilme, die wöchentlich alle gesellschaftlich relevanten Themen von Alkoholsucht über Demenz bis Mobbing durchdeklinieren. Für ein Erstlingswerk aber ist "Freier Fall" durchaus akzeptabel.

    "Der Dieb der Worte" von Brian Klugman und Lee Sternthal
    "Er schrieb jedes Wort ab, das auf diesen Seiten stand. Er änderte nicht einen Punkt, kein Komma. Er korrigierte nicht mal die Rechtschreibfehler."

    Nein – hier wird nicht die Geschichte eines ehemaligen politischen Hoffnungsträgers erzählt. Dieser "Dieb der Worte" – so auch der Filmtitel – ist ein erfolgloser Schriftsteller, der bislang keinen Verlag für sich begeistern konnte. Das aber ändert sich, als er in einer alten Aktentasche ein vergilbtes Manuskript findet. Die Erzählung, in der sich ein Mann an seine Jugendjahre in Paris vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert, wird unter seinem Namen veröffentlicht und ein Bestseller. Eines Tages spricht den Erfolgsautor ein alter Mann an:

    "Ich habe eine Geschichte – eine sehr gute Geschichte. Es geht um einen Mann. Der schrieb ein Buch, das er leider verloren hat, und um den Kerl, der es irgendwann fand."

    Eine hübsche Geschichte ist das, die hier allerdings langatmig und unnötig verschachtelt erzählt wird. Und sie dürfte vor allem Autor Martin Suter bekannt vorkommen. "Der Dieb der Worte" weist derart viele Parallelen zu seinem – übrigens auch schon verfilmten – Roman "Lila, Lila" auf, dass die beiden amerikanischen Regiedebütanten Brian Klugman und Lee Sternthal in Erklärungsnotstand geraten könnten. Einziger Unterschied: Suter betont vor allem die komischen Seiten, die ein solcher geistiger Diebstahl hat. Und einer gewissen Komik entbehrt es wohl auch nicht, wenn ein Film über ein Plagiat selbst eines ist. "Der Dieb der Worte": Enttäuschend.